Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
mochte dieser doch gegen Mithradates überlegene Streitkräfte kei-
nen dauernden Widerstand zu leisten. Der baldige Tod des von
dem Volke auf den Thron gesetzten Jünglings gab dem pontischen
König um so mehr freie Hand, als mit diesem das kappadokische
Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent ward, eben wie in
Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamirt,
unter dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich
verwaltete. Gewaltiger als seit lange ein einheimischer Monarch
herrschte König Mithradates am nördlichen wie am südlichen Ge-
stade des schwarzen Meeres und weit in das innere Kleinasien
hinein. Die Hülfsquellen des Königs für den Krieg zu Lande und
zu Wasser schienen unermesslich. Sein Werbeplatz reichte von
der Donaumündung bis zum Kaukasus und dem kaspischen Meer;
Thraker, Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier, Iberer (im
heutigen Georgien) drängten sich unter seine Fahnen; vor allem
rekrutirte er seine Kriegsschaaren aus den tapferen Bastarnern.
Für die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie ausser Flachs,
Hanf, Pech und Wachs, das trefflichste vom Kaukasus herabge-
flösste Bauholz; Steuermänner und Offiziere wurden in Phönikien
und Syrien gedungen. In Kappadokien, hiess es, sei der König
eingerückt mit 600 Sichelwagen, 10000 Pferden und 80000 Mann
zu Fuss; und er hatte für diesen Krieg bei weitem noch nicht
aufgeboten, was er aufzubieten vermochte. Bei dem Mangel einer
römischen oder sonst namhaften Seemacht beherrschte die pon-
tische Flotte, gestützt auf Sinope und die Häfen der Krim, das
schwarze Meer ausschliesslich.

Diesen allseitigen Uebergriffen und dieser imposanten Macht-
bildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjährigen Zeit-
raum ausfüllt, sah der römische Senat geduldig zu. Er liess es
geschehen, dass einer seiner Clientelstaaten sich militärisch zu
einer Grossmacht entwickelte, die über hunderttausend Bewaff-
nete gebot; dass er in die engste Verbindung trat mit dem neuen
zum Theil durch seine Hülfe an die Spitze der innerasiatischen
Staaten gestellten Grosskönig des Ostens; dass er die benach-
barten asiatischen Königreiche und Fürstenthümer unter Vor-
wänden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht berichtete
und weit entfernte Schutzmacht klangen; dass er endlich sogar
in Europa sich festsetzte und als König auf der taurischen Halb-
insel, als Schutzherr fast bis an die makedonisch-thrakische
Grenze gebot. Wohl ward über diese Verhältnisse im Senat ver-
handelt; aber wenn diese Behörde in der paphlagonischen Erb-
angelegenheit sich dabei beruhigte, dass Mithradates sich auf das

DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
mochte dieser doch gegen Mithradates überlegene Streitkräfte kei-
nen dauernden Widerstand zu leisten. Der baldige Tod des von
dem Volke auf den Thron gesetzten Jünglings gab dem pontischen
König um so mehr freie Hand, als mit diesem das kappadokische
Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent ward, eben wie in
Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamirt,
unter dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich
verwaltete. Gewaltiger als seit lange ein einheimischer Monarch
herrschte König Mithradates am nördlichen wie am südlichen Ge-
stade des schwarzen Meeres und weit in das innere Kleinasien
hinein. Die Hülfsquellen des Königs für den Krieg zu Lande und
zu Wasser schienen unermeſslich. Sein Werbeplatz reichte von
der Donaumündung bis zum Kaukasus und dem kaspischen Meer;
Thraker, Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier, Iberer (im
heutigen Georgien) drängten sich unter seine Fahnen; vor allem
rekrutirte er seine Kriegsschaaren aus den tapferen Bastarnern.
Für die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie auſser Flachs,
Hanf, Pech und Wachs, das trefflichste vom Kaukasus herabge-
flöſste Bauholz; Steuermänner und Offiziere wurden in Phönikien
und Syrien gedungen. In Kappadokien, hieſs es, sei der König
eingerückt mit 600 Sichelwagen, 10000 Pferden und 80000 Mann
zu Fuſs; und er hatte für diesen Krieg bei weitem noch nicht
aufgeboten, was er aufzubieten vermochte. Bei dem Mangel einer
römischen oder sonst namhaften Seemacht beherrschte die pon-
tische Flotte, gestützt auf Sinope und die Häfen der Krim, das
schwarze Meer ausschlieſslich.

Diesen allseitigen Uebergriffen und dieser imposanten Macht-
bildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjährigen Zeit-
raum ausfüllt, sah der römische Senat geduldig zu. Er lieſs es
geschehen, daſs einer seiner Clientelstaaten sich militärisch zu
einer Groſsmacht entwickelte, die über hunderttausend Bewaff-
nete gebot; daſs er in die engste Verbindung trat mit dem neuen
zum Theil durch seine Hülfe an die Spitze der innerasiatischen
Staaten gestellten Groſskönig des Ostens; daſs er die benach-
barten asiatischen Königreiche und Fürstenthümer unter Vor-
wänden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht berichtete
und weit entfernte Schutzmacht klangen; daſs er endlich sogar
in Europa sich festsetzte und als König auf der taurischen Halb-
insel, als Schutzherr fast bis an die makedonisch-thrakische
Grenze gebot. Wohl ward über diese Verhältnisse im Senat ver-
handelt; aber wenn diese Behörde in der paphlagonischen Erb-
angelegenheit sich dabei beruhigte, daſs Mithradates sich auf das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0275" n="265"/><fw place="top" type="header">DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.</fw><lb/>
mochte dieser doch gegen Mithradates überlegene Streitkräfte kei-<lb/>
nen dauernden Widerstand zu leisten. Der baldige Tod des von<lb/>
dem Volke auf den Thron gesetzten Jünglings gab dem pontischen<lb/>
König um so mehr freie Hand, als mit diesem das kappadokische<lb/>
Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent ward, eben wie in<lb/>
Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamirt,<lb/>
unter dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich<lb/>
verwaltete. Gewaltiger als seit lange ein einheimischer Monarch<lb/>
herrschte König Mithradates am nördlichen wie am südlichen Ge-<lb/>
stade des schwarzen Meeres und weit in das innere Kleinasien<lb/>
hinein. Die Hülfsquellen des Königs für den Krieg zu Lande und<lb/>
zu Wasser schienen unerme&#x017F;slich. Sein Werbeplatz reichte von<lb/>
der Donaumündung bis zum Kaukasus und dem kaspischen Meer;<lb/>
Thraker, Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier, Iberer (im<lb/>
heutigen Georgien) drängten sich unter seine Fahnen; vor allem<lb/>
rekrutirte er seine Kriegsschaaren aus den tapferen Bastarnern.<lb/>
Für die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie au&#x017F;ser Flachs,<lb/>
Hanf, Pech und Wachs, das trefflichste vom Kaukasus herabge-<lb/>
flö&#x017F;ste Bauholz; Steuermänner und Offiziere wurden in Phönikien<lb/>
und Syrien gedungen. In Kappadokien, hie&#x017F;s es, sei der König<lb/>
eingerückt mit 600 Sichelwagen, 10000 Pferden und 80000 Mann<lb/>
zu Fu&#x017F;s; und er hatte für diesen Krieg bei weitem noch nicht<lb/>
aufgeboten, was er aufzubieten vermochte. Bei dem Mangel einer<lb/>
römischen oder sonst namhaften Seemacht beherrschte die pon-<lb/>
tische Flotte, gestützt auf Sinope und die Häfen der Krim, das<lb/>
schwarze Meer ausschlie&#x017F;slich.</p><lb/>
          <p>Diesen allseitigen Uebergriffen und dieser imposanten Macht-<lb/>
bildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjährigen Zeit-<lb/>
raum ausfüllt, sah der römische Senat geduldig zu. Er lie&#x017F;s es<lb/>
geschehen, da&#x017F;s einer seiner Clientelstaaten sich militärisch zu<lb/>
einer Gro&#x017F;smacht entwickelte, die über hunderttausend Bewaff-<lb/>
nete gebot; da&#x017F;s er in die engste Verbindung trat mit dem neuen<lb/>
zum Theil durch seine Hülfe an die Spitze der innerasiatischen<lb/>
Staaten gestellten Gro&#x017F;skönig des Ostens; da&#x017F;s er die benach-<lb/>
barten asiatischen Königreiche und Fürstenthümer unter Vor-<lb/>
wänden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht berichtete<lb/>
und weit entfernte Schutzmacht klangen; da&#x017F;s er endlich sogar<lb/>
in Europa sich festsetzte und als König auf der taurischen Halb-<lb/>
insel, als Schutzherr fast bis an die makedonisch-thrakische<lb/>
Grenze gebot. Wohl ward über diese Verhältnisse im Senat ver-<lb/>
handelt; aber wenn diese Behörde in der paphlagonischen Erb-<lb/>
angelegenheit sich dabei beruhigte, da&#x017F;s Mithradates sich auf das<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[265/0275] DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. mochte dieser doch gegen Mithradates überlegene Streitkräfte kei- nen dauernden Widerstand zu leisten. Der baldige Tod des von dem Volke auf den Thron gesetzten Jünglings gab dem pontischen König um so mehr freie Hand, als mit diesem das kappadokische Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent ward, eben wie in Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamirt, unter dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich verwaltete. Gewaltiger als seit lange ein einheimischer Monarch herrschte König Mithradates am nördlichen wie am südlichen Ge- stade des schwarzen Meeres und weit in das innere Kleinasien hinein. Die Hülfsquellen des Königs für den Krieg zu Lande und zu Wasser schienen unermeſslich. Sein Werbeplatz reichte von der Donaumündung bis zum Kaukasus und dem kaspischen Meer; Thraker, Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier, Iberer (im heutigen Georgien) drängten sich unter seine Fahnen; vor allem rekrutirte er seine Kriegsschaaren aus den tapferen Bastarnern. Für die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie auſser Flachs, Hanf, Pech und Wachs, das trefflichste vom Kaukasus herabge- flöſste Bauholz; Steuermänner und Offiziere wurden in Phönikien und Syrien gedungen. In Kappadokien, hieſs es, sei der König eingerückt mit 600 Sichelwagen, 10000 Pferden und 80000 Mann zu Fuſs; und er hatte für diesen Krieg bei weitem noch nicht aufgeboten, was er aufzubieten vermochte. Bei dem Mangel einer römischen oder sonst namhaften Seemacht beherrschte die pon- tische Flotte, gestützt auf Sinope und die Häfen der Krim, das schwarze Meer ausschlieſslich. Diesen allseitigen Uebergriffen und dieser imposanten Macht- bildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjährigen Zeit- raum ausfüllt, sah der römische Senat geduldig zu. Er lieſs es geschehen, daſs einer seiner Clientelstaaten sich militärisch zu einer Groſsmacht entwickelte, die über hunderttausend Bewaff- nete gebot; daſs er in die engste Verbindung trat mit dem neuen zum Theil durch seine Hülfe an die Spitze der innerasiatischen Staaten gestellten Groſskönig des Ostens; daſs er die benach- barten asiatischen Königreiche und Fürstenthümer unter Vor- wänden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht berichtete und weit entfernte Schutzmacht klangen; daſs er endlich sogar in Europa sich festsetzte und als König auf der taurischen Halb- insel, als Schutzherr fast bis an die makedonisch-thrakische Grenze gebot. Wohl ward über diese Verhältnisse im Senat ver- handelt; aber wenn diese Behörde in der paphlagonischen Erb- angelegenheit sich dabei beruhigte, daſs Mithradates sich auf das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/275
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/275>, abgerufen am 18.06.2024.