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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
Testament, Nikomedes auf seinen falschen Pylaemenes berief, so
war das hohe Collegium offenbar nicht so sehr getäuscht als
dankbar für jeden Vorwand, der ihm das Einschreiten ersparte.
Aber die Beschwerden wurden immer zahlreicher und dringen-
der. Die Fürsten der taurischen Skythen, die Mithradates aus
der Krim verdrängt hatte, wandten sich um Hülfe nach Rom;
wer von den Senatoren irgend noch der traditionellen Maximen
der römischen Politik gedachte, musste sich erinnern, dass einst
unter so ganz anderen Verhältnissen das Uebergehen des König
Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen Cher-
sones durch seine Truppen das Signal zu dem asiatischen Krieg
geworden war (I, 547) und musste begreifen, dass die Besetzung
des taurischen durch den pontischen König jetzt noch viel we-
niger geduldet werden konnte. Endlich gab die factische Reunion
des Königreichs Kappadokien den Ausschlag, wegen welcher
überdies Nikomedes von Bithynien, der auch seinerseits durch
einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in Besitz zu neh-
men gehofft hatte und durch den pontischen Prätendenten den
seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird die rö-
mische Regierung zur Intervention zu drängen. Der Senat be-
schloss, dass Mithradates die skythischen Fürsten wieder einzu-
setzen habe -- so weit war man durch die schlaffe Regierungs-
weise aus den Bahnen der richtigen Politik gedrängt, dass man
jetzt statt die Hellenen gegen die Barbaren umgekehrt die Sky-
then gegen die halben Landsleute unterstützen musste. Paphla-
gonien wurde unabhängig erklärt und der falsche Pylaemenes des
Nikomedes so wie Mithradates angewiesen die occupirten Lan-
destheile zu räumen. Ebenso sollte der falsche Ariarathes aus
Kappadokien weichen und, da die Vertreter des Landes die an-
gebotene Freiheit ausschlugen, durch freie Volkswahl ihm wie-
derum ein König gesetzt werden. Die Beschlüsse klangen ener-
gisch genug; nur war es übel, dass man statt ein Heer zu senden
den Propraetor von Kilikien Lucius Sulla mit der Handvoll Leute,
die er daselbst gegen die Räuber und Piraten commandirte, an-
wies in Kappadokien zu interveniren. Zum Glück vertrat im
Osten die Erinnerung an die ehemalige Energie der Römer besser
ihr Interesse als ihr gegenwärtiges Regiment und ergänzte die
Energie und Gewandtheit des Statthalters die mangelhaften Mass-
regeln des Senats. Mithradates hielt sich zurück und begnügte
sich den Grosskönig Tigranes von Armenien, der den Römern
gegenüber eine freiere Stellung hatte als er, zu veranlassen Trup-
pen nach Kappadokien zu senden. Sulla nahm rasch seine Trup-

VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
Testament, Nikomedes auf seinen falschen Pylaemenes berief, so
war das hohe Collegium offenbar nicht so sehr getäuscht als
dankbar für jeden Vorwand, der ihm das Einschreiten ersparte.
Aber die Beschwerden wurden immer zahlreicher und dringen-
der. Die Fürsten der taurischen Skythen, die Mithradates aus
der Krim verdrängt hatte, wandten sich um Hülfe nach Rom;
wer von den Senatoren irgend noch der traditionellen Maximen
der römischen Politik gedachte, muſste sich erinnern, daſs einst
unter so ganz anderen Verhältnissen das Uebergehen des König
Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen Cher-
sones durch seine Truppen das Signal zu dem asiatischen Krieg
geworden war (I, 547) und muſste begreifen, daſs die Besetzung
des taurischen durch den pontischen König jetzt noch viel we-
niger geduldet werden konnte. Endlich gab die factische Reunion
des Königreichs Kappadokien den Ausschlag, wegen welcher
überdies Nikomedes von Bithynien, der auch seinerseits durch
einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in Besitz zu neh-
men gehofft hatte und durch den pontischen Prätendenten den
seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird die rö-
mische Regierung zur Intervention zu drängen. Der Senat be-
schloſs, daſs Mithradates die skythischen Fürsten wieder einzu-
setzen habe — so weit war man durch die schlaffe Regierungs-
weise aus den Bahnen der richtigen Politik gedrängt, daſs man
jetzt statt die Hellenen gegen die Barbaren umgekehrt die Sky-
then gegen die halben Landsleute unterstützen muſste. Paphla-
gonien wurde unabhängig erklärt und der falsche Pylaemenes des
Nikomedes so wie Mithradates angewiesen die occupirten Lan-
destheile zu räumen. Ebenso sollte der falsche Ariarathes aus
Kappadokien weichen und, da die Vertreter des Landes die an-
gebotene Freiheit ausschlugen, durch freie Volkswahl ihm wie-
derum ein König gesetzt werden. Die Beschlüsse klangen ener-
gisch genug; nur war es übel, daſs man statt ein Heer zu senden
den Propraetor von Kilikien Lucius Sulla mit der Handvoll Leute,
die er daselbst gegen die Räuber und Piraten commandirte, an-
wies in Kappadokien zu interveniren. Zum Glück vertrat im
Osten die Erinnerung an die ehemalige Energie der Römer besser
ihr Interesse als ihr gegenwärtiges Regiment und ergänzte die
Energie und Gewandtheit des Statthalters die mangelhaften Maſs-
regeln des Senats. Mithradates hielt sich zurück und begnügte
sich den Groſskönig Tigranes von Armenien, der den Römern
gegenüber eine freiere Stellung hatte als er, zu veranlassen Trup-
pen nach Kappadokien zu senden. Sulla nahm rasch seine Trup-

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[266/0276] VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. Testament, Nikomedes auf seinen falschen Pylaemenes berief, so war das hohe Collegium offenbar nicht so sehr getäuscht als dankbar für jeden Vorwand, der ihm das Einschreiten ersparte. Aber die Beschwerden wurden immer zahlreicher und dringen- der. Die Fürsten der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdrängt hatte, wandten sich um Hülfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch der traditionellen Maximen der römischen Politik gedachte, muſste sich erinnern, daſs einst unter so ganz anderen Verhältnissen das Uebergehen des König Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen Cher- sones durch seine Truppen das Signal zu dem asiatischen Krieg geworden war (I, 547) und muſste begreifen, daſs die Besetzung des taurischen durch den pontischen König jetzt noch viel we- niger geduldet werden konnte. Endlich gab die factische Reunion des Königreichs Kappadokien den Ausschlag, wegen welcher überdies Nikomedes von Bithynien, der auch seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in Besitz zu neh- men gehofft hatte und durch den pontischen Prätendenten den seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird die rö- mische Regierung zur Intervention zu drängen. Der Senat be- schloſs, daſs Mithradates die skythischen Fürsten wieder einzu- setzen habe — so weit war man durch die schlaffe Regierungs- weise aus den Bahnen der richtigen Politik gedrängt, daſs man jetzt statt die Hellenen gegen die Barbaren umgekehrt die Sky- then gegen die halben Landsleute unterstützen muſste. Paphla- gonien wurde unabhängig erklärt und der falsche Pylaemenes des Nikomedes so wie Mithradates angewiesen die occupirten Lan- destheile zu räumen. Ebenso sollte der falsche Ariarathes aus Kappadokien weichen und, da die Vertreter des Landes die an- gebotene Freiheit ausschlugen, durch freie Volkswahl ihm wie- derum ein König gesetzt werden. Die Beschlüsse klangen ener- gisch genug; nur war es übel, daſs man statt ein Heer zu senden den Propraetor von Kilikien Lucius Sulla mit der Handvoll Leute, die er daselbst gegen die Räuber und Piraten commandirte, an- wies in Kappadokien zu interveniren. Zum Glück vertrat im Osten die Erinnerung an die ehemalige Energie der Römer besser ihr Interesse als ihr gegenwärtiges Regiment und ergänzte die Energie und Gewandtheit des Statthalters die mangelhaften Maſs- regeln des Senats. Mithradates hielt sich zurück und begnügte sich den Groſskönig Tigranes von Armenien, der den Römern gegenüber eine freiere Stellung hatte als er, zu veranlassen Trup- pen nach Kappadokien zu senden. Sulla nahm rasch seine Trup-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/276>, abgerufen am 24.11.2024.