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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
tischen Truppen eingerückt und des rechtmässigen Königs Leben
durch Mithradates Meuchelmörder bedroht. In Paphlagonien be-
haupteten zwar im Innern sich die einheimischen Fürsten, da-
gegen beherrschte Mithradates die ganze Küste bis an die bithy-
nische Grenze, sei es nun, dass er diese Striche bei Gelegenheit
der Unterstützung des Sokrates wieder besetzt, sei es, dass er
sie nie ernstlich geräumt hatte. In der Krim gar und den benach-
barten Landschaften dachte der pontische König nicht daran zu-
rückzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter.
-- Die römische Regierung, von den Königen Ariobarzanes und
Nikomedes persönlich um Hülfe angerufen, schickte nach Klein-
asien den Consular Manius Aquillius, einen im kimbrischen und
im sicilischen Krieg erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn
an der Spitze einer Armee, sondern als Gesandten, und wies die
asiatischen Clientelstaaten und namentlich den Mithradates an
ihn nöthigenfalls mit gewaffneter Hand zu unterstützen. Es kam
eben wie zwei Jahre zuvor. Der römische Offizier vollzog den
ihm gewordenen Auftrag mit Hülfe des kleinen römischen Corps,
über das der Statthalter der Provinz Asia Lucius Cassius ver-
fügte, und des Aufgebots der freien Phryger und Galater; König
Nikomedes und König Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwan-
kenden Throne; Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung
Zuzug zu gewähren unter verschiedenen Vorwänden, allein er lei-
stete nicht bloss den Römern keinen offenen Widerstand, sondern
der bithynische Prätendent Sokrates wurde sogar auf sein Ge-
heiss getödtet (664).

Es war eine sonderbare Verwickelung. Mithradates war voll-
kommen überzeugt gegen die Römer in offenem Kampfe nichts
ausrichten zu können und darum fest entschlossen es nicht zum
offenen Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen zu lassen.
Wäre er nicht also entschlossen gewesen, so fand sich kein gün-
stigerer Augenblick den Kampf zu beginnen als der gegenwärtige:
eben damals, als Aquillius in Bithynien und Kappadokien ein-
rückte, stand die italische Insurrection auf dem Höhepunct ihrer
Macht und konnte selbst den Schwachen Muth machen gegen
Rom sich zu erklären; dennoch liess Mithradates das Jahr 664
ungenutzt verstreichen. Aber nichts desto weniger verfolgte er
so zäh wie rührig seinen Plan in Kleinasien sich auszubreiten.
Diese seltsame Verbindung der Politik des Friedens um jeden
Preis mit der der Eroberung war allerdings in sich unhaltbar
und beweist nur aufs Neue, dass Mithradates nicht zu den
Staatsmännern rechter Art gehörte und weder zum Kampf zu

VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
tischen Truppen eingerückt und des rechtmäſsigen Königs Leben
durch Mithradates Meuchelmörder bedroht. In Paphlagonien be-
haupteten zwar im Innern sich die einheimischen Fürsten, da-
gegen beherrschte Mithradates die ganze Küste bis an die bithy-
nische Grenze, sei es nun, daſs er diese Striche bei Gelegenheit
der Unterstützung des Sokrates wieder besetzt, sei es, daſs er
sie nie ernstlich geräumt hatte. In der Krim gar und den benach-
barten Landschaften dachte der pontische König nicht daran zu-
rückzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter.
— Die römische Regierung, von den Königen Ariobarzanes und
Nikomedes persönlich um Hülfe angerufen, schickte nach Klein-
asien den Consular Manius Aquillius, einen im kimbrischen und
im sicilischen Krieg erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn
an der Spitze einer Armee, sondern als Gesandten, und wies die
asiatischen Clientelstaaten und namentlich den Mithradates an
ihn nöthigenfalls mit gewaffneter Hand zu unterstützen. Es kam
eben wie zwei Jahre zuvor. Der römische Offizier vollzog den
ihm gewordenen Auftrag mit Hülfe des kleinen römischen Corps,
über das der Statthalter der Provinz Asia Lucius Cassius ver-
fügte, und des Aufgebots der freien Phryger und Galater; König
Nikomedes und König Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwan-
kenden Throne; Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung
Zuzug zu gewähren unter verschiedenen Vorwänden, allein er lei-
stete nicht bloſs den Römern keinen offenen Widerstand, sondern
der bithynische Prätendent Sokrates wurde sogar auf sein Ge-
heiſs getödtet (664).

Es war eine sonderbare Verwickelung. Mithradates war voll-
kommen überzeugt gegen die Römer in offenem Kampfe nichts
ausrichten zu können und darum fest entschlossen es nicht zum
offenen Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen zu lassen.
Wäre er nicht also entschlossen gewesen, so fand sich kein gün-
stigerer Augenblick den Kampf zu beginnen als der gegenwärtige:
eben damals, als Aquillius in Bithynien und Kappadokien ein-
rückte, stand die italische Insurrection auf dem Höhepunct ihrer
Macht und konnte selbst den Schwachen Muth machen gegen
Rom sich zu erklären; dennoch lieſs Mithradates das Jahr 664
ungenutzt verstreichen. Aber nichts desto weniger verfolgte er
so zäh wie rührig seinen Plan in Kleinasien sich auszubreiten.
Diese seltsame Verbindung der Politik des Friedens um jeden
Preis mit der der Eroberung war allerdings in sich unhaltbar
und beweist nur aufs Neue, daſs Mithradates nicht zu den
Staatsmännern rechter Art gehörte und weder zum Kampf zu

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[268/0278] VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. tischen Truppen eingerückt und des rechtmäſsigen Königs Leben durch Mithradates Meuchelmörder bedroht. In Paphlagonien be- haupteten zwar im Innern sich die einheimischen Fürsten, da- gegen beherrschte Mithradates die ganze Küste bis an die bithy- nische Grenze, sei es nun, daſs er diese Striche bei Gelegenheit der Unterstützung des Sokrates wieder besetzt, sei es, daſs er sie nie ernstlich geräumt hatte. In der Krim gar und den benach- barten Landschaften dachte der pontische König nicht daran zu- rückzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter. — Die römische Regierung, von den Königen Ariobarzanes und Nikomedes persönlich um Hülfe angerufen, schickte nach Klein- asien den Consular Manius Aquillius, einen im kimbrischen und im sicilischen Krieg erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der Spitze einer Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen Clientelstaaten und namentlich den Mithradates an ihn nöthigenfalls mit gewaffneter Hand zu unterstützen. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der römische Offizier vollzog den ihm gewordenen Auftrag mit Hülfe des kleinen römischen Corps, über das der Statthalter der Provinz Asia Lucius Cassius ver- fügte, und des Aufgebots der freien Phryger und Galater; König Nikomedes und König Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwan- kenden Throne; Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung Zuzug zu gewähren unter verschiedenen Vorwänden, allein er lei- stete nicht bloſs den Römern keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Prätendent Sokrates wurde sogar auf sein Ge- heiſs getödtet (664). Es war eine sonderbare Verwickelung. Mithradates war voll- kommen überzeugt gegen die Römer in offenem Kampfe nichts ausrichten zu können und darum fest entschlossen es nicht zum offenen Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen zu lassen. Wäre er nicht also entschlossen gewesen, so fand sich kein gün- stigerer Augenblick den Kampf zu beginnen als der gegenwärtige: eben damals, als Aquillius in Bithynien und Kappadokien ein- rückte, stand die italische Insurrection auf dem Höhepunct ihrer Macht und konnte selbst den Schwachen Muth machen gegen Rom sich zu erklären; dennoch lieſs Mithradates das Jahr 664 ungenutzt verstreichen. Aber nichts desto weniger verfolgte er so zäh wie rührig seinen Plan in Kleinasien sich auszubreiten. Diese seltsame Verbindung der Politik des Friedens um jeden Preis mit der der Eroberung war allerdings in sich unhaltbar und beweist nur aufs Neue, daſs Mithradates nicht zu den Staatsmännern rechter Art gehörte und weder zum Kampf zu

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/278>, abgerufen am 21.11.2024.