Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. rüsten wusste wie König Philippos noch sich zu fügen wie KönigAttalos, sondern in ächter Sultansart ewig hin und her gezogen ward zwischen begehrlicher Eroberungslust und dem Gefühl sei- ner eigenen Schwäche. Aber auch so lässt sich sein Beginnen nur begreifen, wenn man sich erinnert, dass Mithradates in zwan- zigjährigen Erfahrungen die damalige römische Politik kennen gelernt hatte. Er wusste sehr genau, dass die römische Regierung nichts weniger als kriegslustig war, ja dass sie, im Hinblick auf die ernstliche Gefahr, die jeder berühmte General ihrer Herr- schaft bereitete, in frischer Erinnerung an den kimbrischen Krieg und Marius, den Krieg wo möglich noch mehr fürchtete als er selbst. Darauf hin handelte er. Er scheute sich nicht in einer Weise aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch ego- istische Rücksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache und Anlass zur Kriegserklärung gegeben haben würde; aber er vermied sorgfältig jeden offenen Bruch, der den Senat in die Nothwendigkeit dazu versetzt hätte. So wie Ernst gezeigt ward, wich er zurück, vor Sulla wie vor Aquillius; er hoffte unzweifel- haft darauf, dass nicht immer energische Feldherren ihm gegen- überstehen, dass auch er so gut wie Jugurtha auf seine Scaurus und Albinus treffen würde. Es muss zugestanden werden, dass diese Hoffnung nicht unverständig war, obwohl freilich eben Ju- gurthas Beispiel auch wieder die Thorheit gezeigt hatte die Be- stechung eines römischen Heerführers und die Corruption einer römischen Armee mit der Ueberwindung des römischen Volkes zu verwechseln. -- So standen die Dinge zwischen Frieden und Krieg und liessen ganz dazu an noch lange sich in gleicher Art weiter zu schleppen. Selbst als König Nikomedes, der von dem römischen Feldherrn wegen Ersatzes der Kriegskosten und wegen der ihm persönlich zugesagten Summen aufs Aeusserste gedrängt ward und daher dem Ansinnen desselben an Mithradates den Krieg zu erklären nachzugeben sich genöthigt sah, mit seinen Schiffen den pontischen den Bosporus sperrte und seine Truppen in die pontischen Grenzdistricte einrücken und die Gegend von Amastris brandschatzen liess, blieb Mithradates unerschüttert bei seiner Frie- denspolitik; statt die Bithyner über die Grenze zu werfen, führte er Klage bei der römischen Gesandtschaft und bat dieselbe entweder vermitteln oder ihm die Selbstvertheidigung gestatten zu wollen. Allein er ward von Aquillius dahin beschieden, dass er unter allen Umständen sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten habe. Das freilich war die Einleitung zum Kriege. Genau dieselbe Politik hatte man gegen Karthago angewendet; man liess das Schlacht- DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. rüsten wuſste wie König Philippos noch sich zu fügen wie KönigAttalos, sondern in ächter Sultansart ewig hin und her gezogen ward zwischen begehrlicher Eroberungslust und dem Gefühl sei- ner eigenen Schwäche. Aber auch so läſst sich sein Beginnen nur begreifen, wenn man sich erinnert, daſs Mithradates in zwan- zigjährigen Erfahrungen die damalige römische Politik kennen gelernt hatte. Er wuſste sehr genau, daſs die römische Regierung nichts weniger als kriegslustig war, ja daſs sie, im Hinblick auf die ernstliche Gefahr, die jeder berühmte General ihrer Herr- schaft bereitete, in frischer Erinnerung an den kimbrischen Krieg und Marius, den Krieg wo möglich noch mehr fürchtete als er selbst. Darauf hin handelte er. Er scheute sich nicht in einer Weise aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch ego- istische Rücksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache und Anlaſs zur Kriegserklärung gegeben haben würde; aber er vermied sorgfältig jeden offenen Bruch, der den Senat in die Nothwendigkeit dazu versetzt hätte. So wie Ernst gezeigt ward, wich er zurück, vor Sulla wie vor Aquillius; er hoffte unzweifel- haft darauf, daſs nicht immer energische Feldherren ihm gegen- überstehen, daſs auch er so gut wie Jugurtha auf seine Scaurus und Albinus treffen würde. Es muſs zugestanden werden, daſs diese Hoffnung nicht unverständig war, obwohl freilich eben Ju- gurthas Beispiel auch wieder die Thorheit gezeigt hatte die Be- stechung eines römischen Heerführers und die Corruption einer römischen Armee mit der Ueberwindung des römischen Volkes zu verwechseln. — So standen die Dinge zwischen Frieden und Krieg und lieſsen ganz dazu an noch lange sich in gleicher Art weiter zu schleppen. Selbst als König Nikomedes, der von dem römischen Feldherrn wegen Ersatzes der Kriegskosten und wegen der ihm persönlich zugesagten Summen aufs Aeuſserste gedrängt ward und daher dem Ansinnen desselben an Mithradates den Krieg zu erklären nachzugeben sich genöthigt sah, mit seinen Schiffen den pontischen den Bosporus sperrte und seine Truppen in die pontischen Grenzdistricte einrücken und die Gegend von Amastris brandschatzen lieſs, blieb Mithradates unerschüttert bei seiner Frie- denspolitik; statt die Bithyner über die Grenze zu werfen, führte er Klage bei der römischen Gesandtschaft und bat dieselbe entweder vermitteln oder ihm die Selbstvertheidigung gestatten zu wollen. Allein er ward von Aquillius dahin beschieden, daſs er unter allen Umständen sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten habe. Das freilich war die Einleitung zum Kriege. 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DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
rüsten wuſste wie König Philippos noch sich zu fügen wie König
Attalos, sondern in ächter Sultansart ewig hin und her gezogen
ward zwischen begehrlicher Eroberungslust und dem Gefühl sei-
ner eigenen Schwäche. Aber auch so läſst sich sein Beginnen
nur begreifen, wenn man sich erinnert, daſs Mithradates in zwan-
zigjährigen Erfahrungen die damalige römische Politik kennen
gelernt hatte. Er wuſste sehr genau, daſs die römische Regierung
nichts weniger als kriegslustig war, ja daſs sie, im Hinblick auf
die ernstliche Gefahr, die jeder berühmte General ihrer Herr-
schaft bereitete, in frischer Erinnerung an den kimbrischen Krieg
und Marius, den Krieg wo möglich noch mehr fürchtete als er
selbst. Darauf hin handelte er. Er scheute sich nicht in einer
Weise aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch ego-
istische Rücksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache
und Anlaſs zur Kriegserklärung gegeben haben würde; aber er
vermied sorgfältig jeden offenen Bruch, der den Senat in die
Nothwendigkeit dazu versetzt hätte. So wie Ernst gezeigt ward,
wich er zurück, vor Sulla wie vor Aquillius; er hoffte unzweifel-
haft darauf, daſs nicht immer energische Feldherren ihm gegen-
überstehen, daſs auch er so gut wie Jugurtha auf seine Scaurus
und Albinus treffen würde. Es muſs zugestanden werden, daſs
diese Hoffnung nicht unverständig war, obwohl freilich eben Ju-
gurthas Beispiel auch wieder die Thorheit gezeigt hatte die Be-
stechung eines römischen Heerführers und die Corruption einer
römischen Armee mit der Ueberwindung des römischen Volkes
zu verwechseln. — So standen die Dinge zwischen Frieden und
Krieg und lieſsen ganz dazu an noch lange sich in gleicher Art
weiter zu schleppen. Selbst als König Nikomedes, der von dem
römischen Feldherrn wegen Ersatzes der Kriegskosten und wegen
der ihm persönlich zugesagten Summen aufs Aeuſserste gedrängt
ward und daher dem Ansinnen desselben an Mithradates den Krieg
zu erklären nachzugeben sich genöthigt sah, mit seinen Schiffen
den pontischen den Bosporus sperrte und seine Truppen in die
pontischen Grenzdistricte einrücken und die Gegend von Amastris
brandschatzen lieſs, blieb Mithradates unerschüttert bei seiner Frie-
denspolitik; statt die Bithyner über die Grenze zu werfen, führte er
Klage bei der römischen Gesandtschaft und bat dieselbe entweder
vermitteln oder ihm die Selbstvertheidigung gestatten zu wollen.
Allein er ward von Aquillius dahin beschieden, daſs er unter allen
Umständen sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten habe.
Das freilich war die Einleitung zum Kriege. Genau dieselbe Politik
hatte man gegen Karthago angewendet; man lieſs das Schlacht-
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