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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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LITTERATUR UND KUNST.
schüre in Versen. Die launigen poetischen Episteln, die einer der
jüngeren Männer des scipionischen Kreises, Spurius Mummius,
der Bruder des Zerstörers von Korinth, aus dem Lager von Ko-
rinth an seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden noch ein
Jahrhundert später gern gelesen; und es mögen dergleichen nicht
zur Veröffentlichung bestimmte poetische Scherze aus dem rei-
chen geselligen und geistigen Leben der besseren Zirkel Roms
damals zahlreich hervorgegangen sein. Ihr Vertreter in der Litte-
ratur ist Gaius Lucilius (606-651), einer angesehenen Familie
der latinischen Colonie Suessa entsprossen und gleichfalls ein
Glied des scipionischen Kreises. Auch seine Gedichte sind gleich-
sam offene Briefe an das Publicum, ihr Inhalt, wie ein geist-
reicher Nachfahre anmuthig sagt, das ganze Leben des gebildeten
unabhängigen Mannes, der den Ereignissen auf der politischen
Schaubühne vom Parket und gelegentlich von den Coulissen aus
zusieht, der mit den Besten seiner Zeit verkehrt als mit seines
Gleichen, der Litteratur und Wissenschaft mit Antheil und Ein-
sicht verfolgt, ohne doch selbst für einen Dichter oder Gelehrten
gelten zu wollen, und der endlich für alles, was im Guten und
Bösen ihm begegnet, für politische Erfahrungen und Erwartun-
gen, für grammatische Bemerkungen und Kunsturtheile, für eigene
Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie für vernommene Anek-
doten sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Insofern diese
Dichtform fähig war jeden Inhalt in sich aufzunehmen und jedes
Mass gestattete, gleich dem Textgedichte, das vor dem Aufkom-
men des Schauspiels den Flötenstücken zu Grunde gelegt und
durch Ennius auch in die Litteratur eingeführt worden war, ward
der Name des letzteren, der Satura, auch auf die lucilische Dich-
tung angewandt; allein die Aehnlichkeit zwischen der älteren und
der lucilischen Satura beruhte doch mehr in negativen als in po-
sitiven Momenten und in Wahrheit mag die letztere mit ihrem
kaustischen, capriciösen, durchaus individuellen Charakter neben
der älteren Satura gestanden haben etwa wie Byrons Beppo und
Don Juan neben dem wirklichen komischen Epos. Die lucilische
Poesie hat eine scharf ausgeprägte oppositionelle und insofern
auch lehrhafte Tendenz, litterarisch sowohl wie moralisch und
politisch; auch in ihr ist etwas von der Auflehnung der Land-
schaft gegen die Hauptstadt, herrscht das Selbstgefühl des rein re-
denden und ehrenhaft lebenden Suessaners im Gegensatz gegen
das grosse Babel der Sprachmengerei und Sittenverderbniss. Die
Richtung des scipionischen Kreises auf litterarische, namentlich
sprachliche Correctheit findet kritisch ihren vollendetsten und

LITTERATUR UND KUNST.
schüre in Versen. Die launigen poetischen Episteln, die einer der
jüngeren Männer des scipionischen Kreises, Spurius Mummius,
der Bruder des Zerstörers von Korinth, aus dem Lager von Ko-
rinth an seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden noch ein
Jahrhundert später gern gelesen; und es mögen dergleichen nicht
zur Veröffentlichung bestimmte poetische Scherze aus dem rei-
chen geselligen und geistigen Leben der besseren Zirkel Roms
damals zahlreich hervorgegangen sein. Ihr Vertreter in der Litte-
ratur ist Gaius Lucilius (606-651), einer angesehenen Familie
der latinischen Colonie Suessa entsprossen und gleichfalls ein
Glied des scipionischen Kreises. Auch seine Gedichte sind gleich-
sam offene Briefe an das Publicum, ihr Inhalt, wie ein geist-
reicher Nachfahre anmuthig sagt, das ganze Leben des gebildeten
unabhängigen Mannes, der den Ereignissen auf der politischen
Schaubühne vom Parket und gelegentlich von den Coulissen aus
zusieht, der mit den Besten seiner Zeit verkehrt als mit seines
Gleichen, der Litteratur und Wissenschaft mit Antheil und Ein-
sicht verfolgt, ohne doch selbst für einen Dichter oder Gelehrten
gelten zu wollen, und der endlich für alles, was im Guten und
Bösen ihm begegnet, für politische Erfahrungen und Erwartun-
gen, für grammatische Bemerkungen und Kunsturtheile, für eigene
Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie für vernommene Anek-
doten sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Insofern diese
Dichtform fähig war jeden Inhalt in sich aufzunehmen und jedes
Maſs gestattete, gleich dem Textgedichte, das vor dem Aufkom-
men des Schauspiels den Flötenstücken zu Grunde gelegt und
durch Ennius auch in die Litteratur eingeführt worden war, ward
der Name des letzteren, der Satura, auch auf die lucilische Dich-
tung angewandt; allein die Aehnlichkeit zwischen der älteren und
der lucilischen Satura beruhte doch mehr in negativen als in po-
sitiven Momenten und in Wahrheit mag die letztere mit ihrem
kaustischen, capriciösen, durchaus individuellen Charakter neben
der älteren Satura gestanden haben etwa wie Byrons Beppo und
Don Juan neben dem wirklichen komischen Epos. Die lucilische
Poesie hat eine scharf ausgeprägte oppositionelle und insofern
auch lehrhafte Tendenz, litterarisch sowohl wie moralisch und
politisch; auch in ihr ist etwas von der Auflehnung der Land-
schaft gegen die Hauptstadt, herrscht das Selbstgefühl des rein re-
denden und ehrenhaft lebenden Suessaners im Gegensatz gegen
das groſse Babel der Sprachmengerei und Sittenverderbniſs. Die
Richtung des scipionischen Kreises auf litterarische, namentlich
sprachliche Correctheit findet kritisch ihren vollendetsten und

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[423/0433] LITTERATUR UND KUNST. schüre in Versen. Die launigen poetischen Episteln, die einer der jüngeren Männer des scipionischen Kreises, Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von Korinth, aus dem Lager von Ko- rinth an seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden noch ein Jahrhundert später gern gelesen; und es mögen dergleichen nicht zur Veröffentlichung bestimmte poetische Scherze aus dem rei- chen geselligen und geistigen Leben der besseren Zirkel Roms damals zahlreich hervorgegangen sein. Ihr Vertreter in der Litte- ratur ist Gaius Lucilius (606-651), einer angesehenen Familie der latinischen Colonie Suessa entsprossen und gleichfalls ein Glied des scipionischen Kreises. Auch seine Gedichte sind gleich- sam offene Briefe an das Publicum, ihr Inhalt, wie ein geist- reicher Nachfahre anmuthig sagt, das ganze Leben des gebildeten unabhängigen Mannes, der den Ereignissen auf der politischen Schaubühne vom Parket und gelegentlich von den Coulissen aus zusieht, der mit den Besten seiner Zeit verkehrt als mit seines Gleichen, der Litteratur und Wissenschaft mit Antheil und Ein- sicht verfolgt, ohne doch selbst für einen Dichter oder Gelehrten gelten zu wollen, und der endlich für alles, was im Guten und Bösen ihm begegnet, für politische Erfahrungen und Erwartun- gen, für grammatische Bemerkungen und Kunsturtheile, für eigene Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie für vernommene Anek- doten sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Insofern diese Dichtform fähig war jeden Inhalt in sich aufzunehmen und jedes Maſs gestattete, gleich dem Textgedichte, das vor dem Aufkom- men des Schauspiels den Flötenstücken zu Grunde gelegt und durch Ennius auch in die Litteratur eingeführt worden war, ward der Name des letzteren, der Satura, auch auf die lucilische Dich- tung angewandt; allein die Aehnlichkeit zwischen der älteren und der lucilischen Satura beruhte doch mehr in negativen als in po- sitiven Momenten und in Wahrheit mag die letztere mit ihrem kaustischen, capriciösen, durchaus individuellen Charakter neben der älteren Satura gestanden haben etwa wie Byrons Beppo und Don Juan neben dem wirklichen komischen Epos. Die lucilische Poesie hat eine scharf ausgeprägte oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz, litterarisch sowohl wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas von der Auflehnung der Land- schaft gegen die Hauptstadt, herrscht das Selbstgefühl des rein re- denden und ehrenhaft lebenden Suessaners im Gegensatz gegen das groſse Babel der Sprachmengerei und Sittenverderbniſs. Die Richtung des scipionischen Kreises auf litterarische, namentlich sprachliche Correctheit findet kritisch ihren vollendetsten und

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/433>, abgerufen am 24.11.2024.