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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL XIII.
geistreichsten Vertreter in Lucilius. Er widmete gleich sein erstes
Buch dem Begründer der römischen Philologie Lucius Stilo
(S. 407) und bezeichnete als das Publicum, für das er schrieb,
nicht die gebildeten Kreise reiner und mustergültiger Rede, son-
dern die Tarentiner, die Brettier, die Siculer, das heisst die halb-
griechischen Lateiner, deren Lateinisch allerdings eines Correctivs
wohl bedürfen mochte. Ganze Bücher seiner Gedichte beschäf-
tigen sich mit der Feststellung der lateinischen Orthographie und
Prosodie, mit der Bekämpfung praenestinischer, sabinischer,
etruskischer Provinzialismen, mit der Ausmerzung gangbarer
Solöcismen, woneben der Dichter aber keineswegs vergisst den
geistlosen isokrateischen Wort- und Phrasenmechanismus zu
verhöhnen * und selbst dem Freunde Scipio die exclusive Feinheit
seiner Rede in sehr ernsthaften Scherzen vorzurücken **. Aber
weit ernstlicher noch als das reine einfache Latein predigt der
Dichter reine Sitte im Privat- und im öffentlichen Leben. Seine
Stellung begünstigte ihn hiebei in eigener Art. Obwohl durch
Herkunft, Vermögen und Bildung den vornehmen Römern seiner
Zeit gleichstehend war er doch nicht römischer Bürger, sondern
latinischer; selbst sein Verhältniss zu Scipio, unter dem er in
seiner ersten Jugend den numantinischen Krieg mitgemacht hatte
und in dessen Hause er häufig verkehrte, mag damit zusammen-
hängen, dass Scipio in vielfachen Beziehungen zu den Latinern
stand und in den politischen Fehden der Zeit ihr Patron war
(S. 93). Die öffentliche Laufbahn war ihm hiedurch verschlossen
und die Speculantencarriere verschmähte er -- er mochte nicht,
wie er einmal sagt, ,aufhören Lucilius zu sein um asiatischer
Steuerpächter zu werden'. So stand er in der schwülen Zeit der
gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden Bundesge-
nossenkrieges inmitten des römischen Palast- und Villenlebens,
zugleich mitten in den Wogen des politischen Coterien- und
Parteikampfes und doch nicht unmittelbar jenem und diesem an-
gehörig; ähnlich wie Beranger, an den gar vieles in Lucilius po-

* Quam lepide lexeis compostae ut tesserulae omnes
Arte pavimento atque emblemate vermiculato!

Ei die niedliche Phrasenfabrik!
Geordnet zierlich Stück für Stück,
Wie die Stifte im bunten Mosaik.
** Der Dichter räth ihm,
Quo facetior videare et scire plus quam ceteri,
Dass du gelehrter als die Andern heissest und ein feinerer Mann,

-- nicht pertaesum, sondern pertisum zu sagen.

VIERTES BUCH. KAPITEL XIII.
geistreichsten Vertreter in Lucilius. Er widmete gleich sein erstes
Buch dem Begründer der römischen Philologie Lucius Stilo
(S. 407) und bezeichnete als das Publicum, für das er schrieb,
nicht die gebildeten Kreise reiner und mustergültiger Rede, son-
dern die Tarentiner, die Brettier, die Siculer, das heiſst die halb-
griechischen Lateiner, deren Lateinisch allerdings eines Correctivs
wohl bedürfen mochte. Ganze Bücher seiner Gedichte beschäf-
tigen sich mit der Feststellung der lateinischen Orthographie und
Prosodie, mit der Bekämpfung praenestinischer, sabinischer,
etruskischer Provinzialismen, mit der Ausmerzung gangbarer
Solöcismen, woneben der Dichter aber keineswegs vergiſst den
geistlosen isokrateischen Wort- und Phrasenmechanismus zu
verhöhnen * und selbst dem Freunde Scipio die exclusive Feinheit
seiner Rede in sehr ernsthaften Scherzen vorzurücken **. Aber
weit ernstlicher noch als das reine einfache Latein predigt der
Dichter reine Sitte im Privat- und im öffentlichen Leben. Seine
Stellung begünstigte ihn hiebei in eigener Art. Obwohl durch
Herkunft, Vermögen und Bildung den vornehmen Römern seiner
Zeit gleichstehend war er doch nicht römischer Bürger, sondern
latinischer; selbst sein Verhältniſs zu Scipio, unter dem er in
seiner ersten Jugend den numantinischen Krieg mitgemacht hatte
und in dessen Hause er häufig verkehrte, mag damit zusammen-
hängen, daſs Scipio in vielfachen Beziehungen zu den Latinern
stand und in den politischen Fehden der Zeit ihr Patron war
(S. 93). Die öffentliche Laufbahn war ihm hiedurch verschlossen
und die Speculantencarriere verschmähte er — er mochte nicht,
wie er einmal sagt, ‚aufhören Lucilius zu sein um asiatischer
Steuerpächter zu werden‘. So stand er in der schwülen Zeit der
gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden Bundesge-
nossenkrieges inmitten des römischen Palast- und Villenlebens,
zugleich mitten in den Wogen des politischen Coterien- und
Parteikampfes und doch nicht unmittelbar jenem und diesem an-
gehörig; ähnlich wie Beranger, an den gar vieles in Lucilius po-

* Quam lepide λέξεις compostae ut tesserulae omnes
Arte pavimento atque emblemate vermiculato!

Ei die niedliche Phrasenfabrik!
Geordnet zierlich Stück für Stück,
Wie die Stifte im bunten Mosaik.
** Der Dichter räth ihm,
Quo facetior videare et scire plus quam ceteri,
Daſs du gelehrter als die Andern heiſsest und ein feinerer Mann,

— nicht pertaesum, sondern pertisum zu sagen.
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[424/0434] VIERTES BUCH. KAPITEL XIII. geistreichsten Vertreter in Lucilius. Er widmete gleich sein erstes Buch dem Begründer der römischen Philologie Lucius Stilo (S. 407) und bezeichnete als das Publicum, für das er schrieb, nicht die gebildeten Kreise reiner und mustergültiger Rede, son- dern die Tarentiner, die Brettier, die Siculer, das heiſst die halb- griechischen Lateiner, deren Lateinisch allerdings eines Correctivs wohl bedürfen mochte. Ganze Bücher seiner Gedichte beschäf- tigen sich mit der Feststellung der lateinischen Orthographie und Prosodie, mit der Bekämpfung praenestinischer, sabinischer, etruskischer Provinzialismen, mit der Ausmerzung gangbarer Solöcismen, woneben der Dichter aber keineswegs vergiſst den geistlosen isokrateischen Wort- und Phrasenmechanismus zu verhöhnen * und selbst dem Freunde Scipio die exclusive Feinheit seiner Rede in sehr ernsthaften Scherzen vorzurücken **. Aber weit ernstlicher noch als das reine einfache Latein predigt der Dichter reine Sitte im Privat- und im öffentlichen Leben. Seine Stellung begünstigte ihn hiebei in eigener Art. Obwohl durch Herkunft, Vermögen und Bildung den vornehmen Römern seiner Zeit gleichstehend war er doch nicht römischer Bürger, sondern latinischer; selbst sein Verhältniſs zu Scipio, unter dem er in seiner ersten Jugend den numantinischen Krieg mitgemacht hatte und in dessen Hause er häufig verkehrte, mag damit zusammen- hängen, daſs Scipio in vielfachen Beziehungen zu den Latinern stand und in den politischen Fehden der Zeit ihr Patron war (S. 93). Die öffentliche Laufbahn war ihm hiedurch verschlossen und die Speculantencarriere verschmähte er — er mochte nicht, wie er einmal sagt, ‚aufhören Lucilius zu sein um asiatischer Steuerpächter zu werden‘. So stand er in der schwülen Zeit der gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden Bundesge- nossenkrieges inmitten des römischen Palast- und Villenlebens, zugleich mitten in den Wogen des politischen Coterien- und Parteikampfes und doch nicht unmittelbar jenem und diesem an- gehörig; ähnlich wie Beranger, an den gar vieles in Lucilius po- * Quam lepide λέξεις compostae ut tesserulae omnes Arte pavimento atque emblemate vermiculato! Ei die niedliche Phrasenfabrik! Geordnet zierlich Stück für Stück, Wie die Stifte im bunten Mosaik. ** Der Dichter räth ihm, Quo facetior videare et scire plus quam ceteri, Daſs du gelehrter als die Andern heiſsest und ein feinerer Mann, — nicht pertaesum, sondern pertisum zu sagen.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/434>, abgerufen am 24.11.2024.