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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
Gefolge seinen abtrünnigen Sohn Machares vom Thron und
zwang ihn sich selber den Tod zu geben. Von hier aus ver-
suchte er noch einmal mit den Römern zu unterhandeln; er bat
ihm sein väterliches Reich zurückzugeben und erklärte sich be-
reit die Oberhoheit Roms anzuerkennen und als Lehnsfürst Zins
zu entrichten. Allein Pompeius weigerte sich dem König eine Stel-
lung zu gewähren, in der er das alte Spiel aufs Neue begonnen
haben würde, und bestand darauf, dass er sich persönlich unter-
werfen müsse. Mithradates aber dachte nicht daran sich dem
Feinde in die Hände zu liefern, sondern entwarf neue und immer
ausschweifendere Pläne. Mit Anspannung aller der Mittel, die
seine geretteten Schätze und der Rest seiner Staaten ihm dar-
boten, rüstete er ein neues zum Theil aus Sclaven bestehendes
Heer von 36000 Mann, das er nach römischer Art bewaffnete
und einübte, und eine Kriegsflotte; dem Gerücht zufolge beab-
sichtigte er durch Thrakien, Makedonien und Pannonien west-
wärts zu ziehen, die Skythen in den sarmatischen Steppen, die
Kelten an der Donau als Bundesgenossen mit sich fortzureissen
und mit dieser Völkerlawine sich auf Italien zu stürzen. Man hat
dies wohl grossartig gefunden und den Kriegsplan des ponti-
schen Königs mit dem Heereszug Hannibals verglichen; aber der-
selbe Entwurf, der in einem genialen Geiste genial ist, wird ab-
surd in einem verkehrten. Diese beabsichtigte Invasion der Orien-
talen in Italien war einfach eine Lächerlichkeit und nichts als die
Ausgeburt einer ohnmächtig phantasirenden Verzweiflung. Durch
die vorsichtige Kaltblütigkeit ihres Führers blieben die Römer da-
vor bewahrt dem abenteuerlichen Gegner abenteuernd zu folgen
und in der fernen Krim einen Angriff abzuwehren, dem, wenn er
nicht in sich selber erstickte, immer noch früh genug am Fusse der
Alpen begegnet ward. Aber während Pompeius, ohne weiter um
den König sich zu bekümmern, das gewonnene Gebiet zu ordnen
beschäftigt war, scheiterten jene weitaussehenden Entwürfe ohne
sein Zuthun und erfüllten sich im entlegenen Norden die Ge-
schicke des greisen Königs. Die unverhältnissmässigen Rüstun-
gen hatten unter den Bosporanern, denen man die Häuser einriss,
die Ochsen vom Pflug spannte und niederstiess, um Balken und
Flechsen zum Maschinenbau zu gewinnen, die heftigste Gährung
hervorgerufen. Auch die Soldaten gingen unlustig an die hoff-
nungslose italische Expedition. Stets war Mithradates umgeben
gewesen von Argwohn und Verrath; er hatte die Gabe nicht
Liebe und Treue bei den Seinigen zu erwecken. Wie er in frü-
heren Jahren seinen ausgezeichneten Feldherrn Archelaos genö-

FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
Gefolge seinen abtrünnigen Sohn Machares vom Thron und
zwang ihn sich selber den Tod zu geben. Von hier aus ver-
suchte er noch einmal mit den Römern zu unterhandeln; er bat
ihm sein väterliches Reich zurückzugeben und erklärte sich be-
reit die Oberhoheit Roms anzuerkennen und als Lehnsfürst Zins
zu entrichten. Allein Pompeius weigerte sich dem König eine Stel-
lung zu gewähren, in der er das alte Spiel aufs Neue begonnen
haben würde, und bestand darauf, daſs er sich persönlich unter-
werfen müsse. Mithradates aber dachte nicht daran sich dem
Feinde in die Hände zu liefern, sondern entwarf neue und immer
ausschweifendere Pläne. Mit Anspannung aller der Mittel, die
seine geretteten Schätze und der Rest seiner Staaten ihm dar-
boten, rüstete er ein neues zum Theil aus Sclaven bestehendes
Heer von 36000 Mann, das er nach römischer Art bewaffnete
und einübte, und eine Kriegsflotte; dem Gerücht zufolge beab-
sichtigte er durch Thrakien, Makedonien und Pannonien west-
wärts zu ziehen, die Skythen in den sarmatischen Steppen, die
Kelten an der Donau als Bundesgenossen mit sich fortzureiſsen
und mit dieser Völkerlawine sich auf Italien zu stürzen. Man hat
dies wohl groſsartig gefunden und den Kriegsplan des ponti-
schen Königs mit dem Heereszug Hannibals verglichen; aber der-
selbe Entwurf, der in einem genialen Geiste genial ist, wird ab-
surd in einem verkehrten. Diese beabsichtigte Invasion der Orien-
talen in Italien war einfach eine Lächerlichkeit und nichts als die
Ausgeburt einer ohnmächtig phantasirenden Verzweiflung. Durch
die vorsichtige Kaltblütigkeit ihres Führers blieben die Römer da-
vor bewahrt dem abenteuerlichen Gegner abenteuernd zu folgen
und in der fernen Krim einen Angriff abzuwehren, dem, wenn er
nicht in sich selber erstickte, immer noch früh genug am Fuſse der
Alpen begegnet ward. Aber während Pompeius, ohne weiter um
den König sich zu bekümmern, das gewonnene Gebiet zu ordnen
beschäftigt war, scheiterten jene weitaussehenden Entwürfe ohne
sein Zuthun und erfüllten sich im entlegenen Norden die Ge-
schicke des greisen Königs. Die unverhältniſsmäſsigen Rüstun-
gen hatten unter den Bosporanern, denen man die Häuser einriſs,
die Ochsen vom Pflug spannte und niederstieſs, um Balken und
Flechsen zum Maschinenbau zu gewinnen, die heftigste Gährung
hervorgerufen. Auch die Soldaten gingen unlustig an die hoff-
nungslose italische Expedition. Stets war Mithradates umgeben
gewesen von Argwohn und Verrath; er hatte die Gabe nicht
Liebe und Treue bei den Seinigen zu erwecken. Wie er in frü-
heren Jahren seinen ausgezeichneten Feldherrn Archelaos genö-

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[122/0132] FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV. Gefolge seinen abtrünnigen Sohn Machares vom Thron und zwang ihn sich selber den Tod zu geben. Von hier aus ver- suchte er noch einmal mit den Römern zu unterhandeln; er bat ihm sein väterliches Reich zurückzugeben und erklärte sich be- reit die Oberhoheit Roms anzuerkennen und als Lehnsfürst Zins zu entrichten. Allein Pompeius weigerte sich dem König eine Stel- lung zu gewähren, in der er das alte Spiel aufs Neue begonnen haben würde, und bestand darauf, daſs er sich persönlich unter- werfen müsse. Mithradates aber dachte nicht daran sich dem Feinde in die Hände zu liefern, sondern entwarf neue und immer ausschweifendere Pläne. Mit Anspannung aller der Mittel, die seine geretteten Schätze und der Rest seiner Staaten ihm dar- boten, rüstete er ein neues zum Theil aus Sclaven bestehendes Heer von 36000 Mann, das er nach römischer Art bewaffnete und einübte, und eine Kriegsflotte; dem Gerücht zufolge beab- sichtigte er durch Thrakien, Makedonien und Pannonien west- wärts zu ziehen, die Skythen in den sarmatischen Steppen, die Kelten an der Donau als Bundesgenossen mit sich fortzureiſsen und mit dieser Völkerlawine sich auf Italien zu stürzen. Man hat dies wohl groſsartig gefunden und den Kriegsplan des ponti- schen Königs mit dem Heereszug Hannibals verglichen; aber der- selbe Entwurf, der in einem genialen Geiste genial ist, wird ab- surd in einem verkehrten. Diese beabsichtigte Invasion der Orien- talen in Italien war einfach eine Lächerlichkeit und nichts als die Ausgeburt einer ohnmächtig phantasirenden Verzweiflung. Durch die vorsichtige Kaltblütigkeit ihres Führers blieben die Römer da- vor bewahrt dem abenteuerlichen Gegner abenteuernd zu folgen und in der fernen Krim einen Angriff abzuwehren, dem, wenn er nicht in sich selber erstickte, immer noch früh genug am Fuſse der Alpen begegnet ward. Aber während Pompeius, ohne weiter um den König sich zu bekümmern, das gewonnene Gebiet zu ordnen beschäftigt war, scheiterten jene weitaussehenden Entwürfe ohne sein Zuthun und erfüllten sich im entlegenen Norden die Ge- schicke des greisen Königs. Die unverhältniſsmäſsigen Rüstun- gen hatten unter den Bosporanern, denen man die Häuser einriſs, die Ochsen vom Pflug spannte und niederstieſs, um Balken und Flechsen zum Maschinenbau zu gewinnen, die heftigste Gährung hervorgerufen. Auch die Soldaten gingen unlustig an die hoff- nungslose italische Expedition. Stets war Mithradates umgeben gewesen von Argwohn und Verrath; er hatte die Gabe nicht Liebe und Treue bei den Seinigen zu erwecken. Wie er in frü- heren Jahren seinen ausgezeichneten Feldherrn Archelaos genö-

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/132>, abgerufen am 27.11.2024.