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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
Gedanke sich bereits, dass auch die Masse der Armen so gut
wie die Oligarchie der Reichen sich als selbstständige Macht
constituiren und statt sich tyrannisiren zu lassen, auch wohl
selbst den Tyrannen spielen könne. Aber auch in den Kreisen
der vornehmen Jugend fanden ähnliche Gedanken einen Wieder-
hall. Das hauptstädtische Modeleben zerrüttete nicht bloss das
Vermögen, sondern auch die Kraft des Leibes und des Geistes.
Jene elegante Welt der duftenden Haarlocken, der modischen
Bärte und Manschetten, so lustig es auch bei Tanz und Cither-
spiel und früh und spät beim Becher in ihr herging, barg
doch in sich einen erschreckenden Abgrund sittlichen und öko-
nomischen Verfalls, gut oder schlecht verhehlter Verzweiflung
und wahnsinniger oder bübischer Entschlüsse. In diesen Krei-
sen seufzte man unverholen nach der Wiederkehr der cinnani-
schen Zeit mit ihren Aechtungen und Confiscationen und ihrer
Vernichtung der Schuldbücher; es gab Leute genug, darunter
nicht wenige von nicht gemeiner Herkunft und Anlage, die nur
auf das Signal warteten, um wie eine Räuberschaar über die bür-
gerliche Gesellschaft herzufallen und das verlotterte Vermögen
sich wieder zu erplündern. Wo eine Bande sich bildet, fehlt es
an Führern nicht; auch hier fanden sich bald die Männer, die zu
Räuberhauptleuten sich qualificirten. Der gewesene Prätor Lucius
Catilina, der Quaestor Gnaeus Piso zeichneten unter ihren Ge-
nossen nicht bloss durch ihre vornehme Geburt und ihren höhe-
ren Rang sich aus. Sie hatten die Brücke vollständig hinter sich
abgebrochen und imponirten ihren Spiessgesellen durch ihre
Ruchlosigkeit ebenso sehr wie durch ihre Talente. Vor allem
Catilina war einer der frevelhaftesten dieser frevelhaften Zeit.
Seine Bubenstücke gehören in die Criminalacten, nicht in die
Geschichte; aber schon sein Aeusseres, das bleiche Antlitz, der
wilde Blick, der bald träge, bald hastige Gang verriethen seine
unheimliche Vergangenheit. In hohem Grade besass er die Eigen-
schaften, die von dem Führer einer solchen Rotte verlangt wer-
den: die Fähigkeit alles zu geniessen und alles zu entbehren,
Muth, militärisches Talent, Menschenkenntniss, Energie des Ver-
brechens und jene entsetzliche Pädagogik des Lasters, die den
Schwachen zu Falle zu bringen, den Gefallenen zum Verbrecher
zu erziehen versteht. -- Aus solchen Elementen eine Verschwö-
rung zum Umsturz der bestehenden Ordnung zu bilden, konnte
Männern, die Geld und politischen Einfluss besassen, nicht schwer
fallen. Catilina, Piso und ihres Gleichen gingen bereitwillig auf
jeden Plan ein, der ihnen Aechtungen und Cassation der Schuld-

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Gedanke sich bereits, daſs auch die Masse der Armen so gut
wie die Oligarchie der Reichen sich als selbstständige Macht
constituiren und statt sich tyrannisiren zu lassen, auch wohl
selbst den Tyrannen spielen könne. Aber auch in den Kreisen
der vornehmen Jugend fanden ähnliche Gedanken einen Wieder-
hall. Das hauptstädtische Modeleben zerrüttete nicht bloſs das
Vermögen, sondern auch die Kraft des Leibes und des Geistes.
Jene elegante Welt der duftenden Haarlocken, der modischen
Bärte und Manschetten, so lustig es auch bei Tanz und Cither-
spiel und früh und spät beim Becher in ihr herging, barg
doch in sich einen erschreckenden Abgrund sittlichen und öko-
nomischen Verfalls, gut oder schlecht verhehlter Verzweiflung
und wahnsinniger oder bübischer Entschlüsse. In diesen Krei-
sen seufzte man unverholen nach der Wiederkehr der cinnani-
schen Zeit mit ihren Aechtungen und Confiscationen und ihrer
Vernichtung der Schuldbücher; es gab Leute genug, darunter
nicht wenige von nicht gemeiner Herkunft und Anlage, die nur
auf das Signal warteten, um wie eine Räuberschaar über die bür-
gerliche Gesellschaft herzufallen und das verlotterte Vermögen
sich wieder zu erplündern. Wo eine Bande sich bildet, fehlt es
an Führern nicht; auch hier fanden sich bald die Männer, die zu
Räuberhauptleuten sich qualificirten. Der gewesene Prätor Lucius
Catilina, der Quaestor Gnaeus Piso zeichneten unter ihren Ge-
nossen nicht bloſs durch ihre vornehme Geburt und ihren höhe-
ren Rang sich aus. Sie hatten die Brücke vollständig hinter sich
abgebrochen und imponirten ihren Spieſsgesellen durch ihre
Ruchlosigkeit ebenso sehr wie durch ihre Talente. Vor allem
Catilina war einer der frevelhaftesten dieser frevelhaften Zeit.
Seine Bubenstücke gehören in die Criminalacten, nicht in die
Geschichte; aber schon sein Aeuſseres, das bleiche Antlitz, der
wilde Blick, der bald träge, bald hastige Gang verriethen seine
unheimliche Vergangenheit. In hohem Grade besaſs er die Eigen-
schaften, die von dem Führer einer solchen Rotte verlangt wer-
den: die Fähigkeit alles zu genieſsen und alles zu entbehren,
Muth, militärisches Talent, Menschenkenntniſs, Energie des Ver-
brechens und jene entsetzliche Pädagogik des Lasters, die den
Schwachen zu Falle zu bringen, den Gefallenen zum Verbrecher
zu erziehen versteht. — Aus solchen Elementen eine Verschwö-
rung zum Umsturz der bestehenden Ordnung zu bilden, konnte
Männern, die Geld und politischen Einfluſs besaſsen, nicht schwer
fallen. Catilina, Piso und ihres Gleichen gingen bereitwillig auf
jeden Plan ein, der ihnen Aechtungen und Cassation der Schuld-

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[158/0168] FÜNFTES BUCH. KAPITEL V. Gedanke sich bereits, daſs auch die Masse der Armen so gut wie die Oligarchie der Reichen sich als selbstständige Macht constituiren und statt sich tyrannisiren zu lassen, auch wohl selbst den Tyrannen spielen könne. Aber auch in den Kreisen der vornehmen Jugend fanden ähnliche Gedanken einen Wieder- hall. Das hauptstädtische Modeleben zerrüttete nicht bloſs das Vermögen, sondern auch die Kraft des Leibes und des Geistes. Jene elegante Welt der duftenden Haarlocken, der modischen Bärte und Manschetten, so lustig es auch bei Tanz und Cither- spiel und früh und spät beim Becher in ihr herging, barg doch in sich einen erschreckenden Abgrund sittlichen und öko- nomischen Verfalls, gut oder schlecht verhehlter Verzweiflung und wahnsinniger oder bübischer Entschlüsse. In diesen Krei- sen seufzte man unverholen nach der Wiederkehr der cinnani- schen Zeit mit ihren Aechtungen und Confiscationen und ihrer Vernichtung der Schuldbücher; es gab Leute genug, darunter nicht wenige von nicht gemeiner Herkunft und Anlage, die nur auf das Signal warteten, um wie eine Räuberschaar über die bür- gerliche Gesellschaft herzufallen und das verlotterte Vermögen sich wieder zu erplündern. Wo eine Bande sich bildet, fehlt es an Führern nicht; auch hier fanden sich bald die Männer, die zu Räuberhauptleuten sich qualificirten. Der gewesene Prätor Lucius Catilina, der Quaestor Gnaeus Piso zeichneten unter ihren Ge- nossen nicht bloſs durch ihre vornehme Geburt und ihren höhe- ren Rang sich aus. Sie hatten die Brücke vollständig hinter sich abgebrochen und imponirten ihren Spieſsgesellen durch ihre Ruchlosigkeit ebenso sehr wie durch ihre Talente. Vor allem Catilina war einer der frevelhaftesten dieser frevelhaften Zeit. Seine Bubenstücke gehören in die Criminalacten, nicht in die Geschichte; aber schon sein Aeuſseres, das bleiche Antlitz, der wilde Blick, der bald träge, bald hastige Gang verriethen seine unheimliche Vergangenheit. In hohem Grade besaſs er die Eigen- schaften, die von dem Führer einer solchen Rotte verlangt wer- den: die Fähigkeit alles zu genieſsen und alles zu entbehren, Muth, militärisches Talent, Menschenkenntniſs, Energie des Ver- brechens und jene entsetzliche Pädagogik des Lasters, die den Schwachen zu Falle zu bringen, den Gefallenen zum Verbrecher zu erziehen versteht. — Aus solchen Elementen eine Verschwö- rung zum Umsturz der bestehenden Ordnung zu bilden, konnte Männern, die Geld und politischen Einfluſs besaſsen, nicht schwer fallen. Catilina, Piso und ihres Gleichen gingen bereitwillig auf jeden Plan ein, der ihnen Aechtungen und Cassation der Schuld-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/168>, abgerufen am 28.11.2024.