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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
der Hauptstadt unmöglich viel ausrichten. In einem leidlich ge-
ordneten Gemeinwesen wäre die Sache hiemit zu Ende gewesen
und hätten das Militär und die Gerichte das Weitere übernom-
men. Allein in Rom war es so weit gekommen, dass die Regie-
rung nicht einmal ein paar angesehene Adliche in sicherem Ge-
wahrsam zu halten im Stande war. Die Sclaven und Freigelasse-
nen des Lentulus und der übrigen Verhafteten regten sich; Pläne
sollten geschmiedet sein um aus den Privathäusern, in denen sie
gefangen sassen, sie mit Gewalt zu befreien; es fehlte, Dank dem
anarchischen Treiben der letzten Jahre, in Rom nicht an Banden-
führern, die für eine gewisse Taxe Aufläufe und Gewaltthaten in
Accord nahmen; Catilina endlich war von dem Ereigniss benach-
richtigt und nahe genug um mit seinen Schaaren einen dreisten
Streich zu versuchen. Wie viel von diesen Befürchtungen ge-
gründet war, lässt sich nicht sagen; die Besorgnisse aber waren
natürlich, da der Regierung der Verfassung zufolge in der Haupt-
stadt weder Truppen noch auch nur eine achtunggebietende Po-
lizeimacht zu Gebote stand und sie in der That jedem Banditen-
haufen Preis gegeben war. Der Gedanke ward laut alle etwaigen
Befreiungsversuche durch sofortige Hinrichtung der Gefange-
nen abzuschneiden. Verfassungsmässig war dies nicht möglich.
Nach dem altgeheiligten Provocationsrecht konnte über den Ge-
meindebürger ein Todesurtheil nur von der gesammten Bürger-
schaft und sonst von keiner andern Behörde verhängt werden;
seit die Bürgerschaftsgerichte selbst zur Antiquität geworden
waren, ward überhaupt nicht mehr auf den Tod erkannt. Gern
hätte Cicero das bedenkliche Ansinnen zurückgewiesen; wie auch
der Advocat über die Rechtsfrage denken mochte, er wusste wohl,
wie nützlich es eben dem Advocaten ist liberal zu heissen und
verspürte wenig Lust durch dies vergossene Blut sich auf ewig
von der demokratischen Partei zu scheiden. Indess seine Umge-
bung, namentlich seine vornehme Gemahlin drängten ihn seine
Verdienste um das Vaterland durch diesen kühnen Schritt zu
krönen; der Consul, wie alle Feigen ängstlich bemüht den Schein
der Feigheit zu vermeiden und doch zitternd vor der furchtbaren
Verantwortung, berief in seiner Angst den Senat und überliess es
diesem über Tod und Leben der vier Gefangenen zu entscheiden.
Freilich hatte dies keinen Sinn, denn da der Senat verfassungs-
mässig noch viel weniger hierüber erkennen konnte als der Con-
sul, so fiel rechtlich doch immer alle Verantwortung auf den letz-
teren zurück; aber wann ist je die Feigheit consequent gewesen?
Caesar bot alles auf um die Gefangenen zu retten, und seine Rede

DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
der Hauptstadt unmöglich viel ausrichten. In einem leidlich ge-
ordneten Gemeinwesen wäre die Sache hiemit zu Ende gewesen
und hätten das Militär und die Gerichte das Weitere übernom-
men. Allein in Rom war es so weit gekommen, daſs die Regie-
rung nicht einmal ein paar angesehene Adliche in sicherem Ge-
wahrsam zu halten im Stande war. Die Sclaven und Freigelasse-
nen des Lentulus und der übrigen Verhafteten regten sich; Pläne
sollten geschmiedet sein um aus den Privathäusern, in denen sie
gefangen saſsen, sie mit Gewalt zu befreien; es fehlte, Dank dem
anarchischen Treiben der letzten Jahre, in Rom nicht an Banden-
führern, die für eine gewisse Taxe Aufläufe und Gewaltthaten in
Accord nahmen; Catilina endlich war von dem Ereigniſs benach-
richtigt und nahe genug um mit seinen Schaaren einen dreisten
Streich zu versuchen. Wie viel von diesen Befürchtungen ge-
gründet war, läſst sich nicht sagen; die Besorgnisse aber waren
natürlich, da der Regierung der Verfassung zufolge in der Haupt-
stadt weder Truppen noch auch nur eine achtunggebietende Po-
lizeimacht zu Gebote stand und sie in der That jedem Banditen-
haufen Preis gegeben war. Der Gedanke ward laut alle etwaigen
Befreiungsversuche durch sofortige Hinrichtung der Gefange-
nen abzuschneiden. Verfassungsmäſsig war dies nicht möglich.
Nach dem altgeheiligten Provocationsrecht konnte über den Ge-
meindebürger ein Todesurtheil nur von der gesammten Bürger-
schaft und sonst von keiner andern Behörde verhängt werden;
seit die Bürgerschaftsgerichte selbst zur Antiquität geworden
waren, ward überhaupt nicht mehr auf den Tod erkannt. Gern
hätte Cicero das bedenkliche Ansinnen zurückgewiesen; wie auch
der Advocat über die Rechtsfrage denken mochte, er wuſste wohl,
wie nützlich es eben dem Advocaten ist liberal zu heiſsen und
verspürte wenig Lust durch dies vergossene Blut sich auf ewig
von der demokratischen Partei zu scheiden. Indeſs seine Umge-
bung, namentlich seine vornehme Gemahlin drängten ihn seine
Verdienste um das Vaterland durch diesen kühnen Schritt zu
krönen; der Consul, wie alle Feigen ängstlich bemüht den Schein
der Feigheit zu vermeiden und doch zitternd vor der furchtbaren
Verantwortung, berief in seiner Angst den Senat und überlieſs es
diesem über Tod und Leben der vier Gefangenen zu entscheiden.
Freilich hatte dies keinen Sinn, denn da der Senat verfassungs-
mäſsig noch viel weniger hierüber erkennen konnte als der Con-
sul, so fiel rechtlich doch immer alle Verantwortung auf den letz-
teren zurück; aber wann ist je die Feigheit consequent gewesen?
Caesar bot alles auf um die Gefangenen zu retten, und seine Rede

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[171/0181] DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT. der Hauptstadt unmöglich viel ausrichten. In einem leidlich ge- ordneten Gemeinwesen wäre die Sache hiemit zu Ende gewesen und hätten das Militär und die Gerichte das Weitere übernom- men. Allein in Rom war es so weit gekommen, daſs die Regie- rung nicht einmal ein paar angesehene Adliche in sicherem Ge- wahrsam zu halten im Stande war. Die Sclaven und Freigelasse- nen des Lentulus und der übrigen Verhafteten regten sich; Pläne sollten geschmiedet sein um aus den Privathäusern, in denen sie gefangen saſsen, sie mit Gewalt zu befreien; es fehlte, Dank dem anarchischen Treiben der letzten Jahre, in Rom nicht an Banden- führern, die für eine gewisse Taxe Aufläufe und Gewaltthaten in Accord nahmen; Catilina endlich war von dem Ereigniſs benach- richtigt und nahe genug um mit seinen Schaaren einen dreisten Streich zu versuchen. Wie viel von diesen Befürchtungen ge- gründet war, läſst sich nicht sagen; die Besorgnisse aber waren natürlich, da der Regierung der Verfassung zufolge in der Haupt- stadt weder Truppen noch auch nur eine achtunggebietende Po- lizeimacht zu Gebote stand und sie in der That jedem Banditen- haufen Preis gegeben war. Der Gedanke ward laut alle etwaigen Befreiungsversuche durch sofortige Hinrichtung der Gefange- nen abzuschneiden. Verfassungsmäſsig war dies nicht möglich. Nach dem altgeheiligten Provocationsrecht konnte über den Ge- meindebürger ein Todesurtheil nur von der gesammten Bürger- schaft und sonst von keiner andern Behörde verhängt werden; seit die Bürgerschaftsgerichte selbst zur Antiquität geworden waren, ward überhaupt nicht mehr auf den Tod erkannt. Gern hätte Cicero das bedenkliche Ansinnen zurückgewiesen; wie auch der Advocat über die Rechtsfrage denken mochte, er wuſste wohl, wie nützlich es eben dem Advocaten ist liberal zu heiſsen und verspürte wenig Lust durch dies vergossene Blut sich auf ewig von der demokratischen Partei zu scheiden. Indeſs seine Umge- bung, namentlich seine vornehme Gemahlin drängten ihn seine Verdienste um das Vaterland durch diesen kühnen Schritt zu krönen; der Consul, wie alle Feigen ängstlich bemüht den Schein der Feigheit zu vermeiden und doch zitternd vor der furchtbaren Verantwortung, berief in seiner Angst den Senat und überlieſs es diesem über Tod und Leben der vier Gefangenen zu entscheiden. Freilich hatte dies keinen Sinn, denn da der Senat verfassungs- mäſsig noch viel weniger hierüber erkennen konnte als der Con- sul, so fiel rechtlich doch immer alle Verantwortung auf den letz- teren zurück; aber wann ist je die Feigheit consequent gewesen? Caesar bot alles auf um die Gefangenen zu retten, und seine Rede

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/181>, abgerufen am 30.11.2024.