Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite


er immer, als machts ihm zu heiß am Kopf glatt hinter die Ohren streicht. Sein Blick, seine zerstörte lächelnde Miene, die immer nur seinen innern Zustand mahlt, eigentlich nie etwas außer ihm betrift, oder zu irgend einer Sache spricht, seine dürre halbreife Gestalt, die wie ein C zu forn etwas übergebogen ist, seine Kleidung -- er trägt auf dem Kopf eine Kappe, die von forn kaum die Haare bedeckt, die Ohren nicht berührt, und hinten bis in den Nacken herunter geht, sein Hals ist blos, weil er nur ein Hemde anhat, statt dessen, und aller übrigen Kleidung trägt er eine graue Jacke, die oben bis an die Gurgel fest zugeknöpft ist, und ihn bis zur Hälfte der Schenkel rund herum bedeckt, und Beinkleider von eben der Farbe, die bis auf die Knöchel herabreichen, ohne Schuh und Strümpfe; sein Stock, ein dicker Prügel, der fast so lang ist, wie er selbst, und auch so gekrümmt, wie zwei Freunde, wo einer des andern Eigenthümlichkeiten nach und nach annimmt; eine kleine Tasche von Baumbast, die ihm an einem Strick über der Achsel auf dem Rücken hängt, und worinnen er ein wenig Brod und andere Dinge, die er sich in der Stadt erbettelt, verwahrt: -- alles dies macht ihn zu einer seltsamen interessanten Figur. Mich hatt' er schon oft interessirt, wenn ich ihn so in seinem stillen Wesen über die Straße hingehen sah. Er heischt denn nie Etwas, sondern die Leute, die ihn alle kennen, und alle Mitleiden mit ihm


er immer, als machts ihm zu heiß am Kopf glatt hinter die Ohren streicht. Sein Blick, seine zerstoͤrte laͤchelnde Miene, die immer nur seinen innern Zustand mahlt, eigentlich nie etwas außer ihm betrift, oder zu irgend einer Sache spricht, seine duͤrre halbreife Gestalt, die wie ein C zu forn etwas uͤbergebogen ist, seine Kleidung — er traͤgt auf dem Kopf eine Kappe, die von forn kaum die Haare bedeckt, die Ohren nicht beruͤhrt, und hinten bis in den Nacken herunter geht, sein Hals ist blos, weil er nur ein Hemde anhat, statt dessen, und aller uͤbrigen Kleidung traͤgt er eine graue Jacke, die oben bis an die Gurgel fest zugeknoͤpft ist, und ihn bis zur Haͤlfte der Schenkel rund herum bedeckt, und Beinkleider von eben der Farbe, die bis auf die Knoͤchel herabreichen, ohne Schuh und Struͤmpfe; sein Stock, ein dicker Pruͤgel, der fast so lang ist, wie er selbst, und auch so gekruͤmmt, wie zwei Freunde, wo einer des andern Eigenthuͤmlichkeiten nach und nach annimmt; eine kleine Tasche von Baumbast, die ihm an einem Strick uͤber der Achsel auf dem Ruͤcken haͤngt, und worinnen er ein wenig Brod und andere Dinge, die er sich in der Stadt erbettelt, verwahrt: — alles dies macht ihn zu einer seltsamen interessanten Figur. Mich hatt' er schon oft interessirt, wenn ich ihn so in seinem stillen Wesen uͤber die Straße hingehen sah. Er heischt denn nie Etwas, sondern die Leute, die ihn alle kennen, und alle Mitleiden mit ihm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0112" n="112"/><lb/>
er immer, als machts ihm zu heiß am Kopf glatt                         hinter die Ohren streicht. Sein Blick, seine zersto&#x0364;rte la&#x0364;chelnde Miene, die                         immer nur seinen innern Zustand mahlt, eigentlich nie etwas außer ihm                         betrift, oder zu irgend einer Sache spricht, seine du&#x0364;rre halbreife Gestalt,                         die wie ein <hi rendition="#b">C</hi> zu forn etwas u&#x0364;bergebogen ist, seine                         Kleidung &#x2014; er tra&#x0364;gt auf dem Kopf eine Kappe, die von forn kaum die Haare                         bedeckt, die Ohren nicht beru&#x0364;hrt, und hinten bis in den Nacken herunter                         geht, sein Hals ist blos, weil er nur ein Hemde anhat, statt dessen, und                         aller u&#x0364;brigen Kleidung tra&#x0364;gt er eine graue Jacke, die oben bis an die Gurgel                         fest zugekno&#x0364;pft ist, und <choice><corr>ihn</corr><sic>Jhr</sic></choice> bis zur Ha&#x0364;lfte der Schenkel rund herum bedeckt, und                         Beinkleider von eben der Farbe, die bis auf die Kno&#x0364;chel herabreichen, ohne                         Schuh und Stru&#x0364;mpfe; sein Stock, ein dicker Pru&#x0364;gel, der fast so lang ist, wie                         er selbst, und auch so gekru&#x0364;mmt, wie zwei Freunde, wo einer des andern                         Eigenthu&#x0364;mlichkeiten nach und nach annimmt; eine kleine Tasche von Baumbast,                         die ihm an einem Strick u&#x0364;ber der Achsel auf dem Ru&#x0364;cken ha&#x0364;ngt, und worinnen                         er ein wenig Brod und andere Dinge, die er sich in der Stadt erbettelt,                         verwahrt: &#x2014; alles dies macht ihn zu einer seltsamen interessanten Figur.                         Mich hatt' er schon oft interessirt, wenn ich ihn so in seinem stillen Wesen                         u&#x0364;ber die Straße hingehen sah. Er heischt denn nie Etwas, sondern die Leute,                         die ihn alle kennen, und alle Mitleiden mit ihm<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0112] er immer, als machts ihm zu heiß am Kopf glatt hinter die Ohren streicht. Sein Blick, seine zerstoͤrte laͤchelnde Miene, die immer nur seinen innern Zustand mahlt, eigentlich nie etwas außer ihm betrift, oder zu irgend einer Sache spricht, seine duͤrre halbreife Gestalt, die wie ein C zu forn etwas uͤbergebogen ist, seine Kleidung — er traͤgt auf dem Kopf eine Kappe, die von forn kaum die Haare bedeckt, die Ohren nicht beruͤhrt, und hinten bis in den Nacken herunter geht, sein Hals ist blos, weil er nur ein Hemde anhat, statt dessen, und aller uͤbrigen Kleidung traͤgt er eine graue Jacke, die oben bis an die Gurgel fest zugeknoͤpft ist, und ihn bis zur Haͤlfte der Schenkel rund herum bedeckt, und Beinkleider von eben der Farbe, die bis auf die Knoͤchel herabreichen, ohne Schuh und Struͤmpfe; sein Stock, ein dicker Pruͤgel, der fast so lang ist, wie er selbst, und auch so gekruͤmmt, wie zwei Freunde, wo einer des andern Eigenthuͤmlichkeiten nach und nach annimmt; eine kleine Tasche von Baumbast, die ihm an einem Strick uͤber der Achsel auf dem Ruͤcken haͤngt, und worinnen er ein wenig Brod und andere Dinge, die er sich in der Stadt erbettelt, verwahrt: — alles dies macht ihn zu einer seltsamen interessanten Figur. Mich hatt' er schon oft interessirt, wenn ich ihn so in seinem stillen Wesen uͤber die Straße hingehen sah. Er heischt denn nie Etwas, sondern die Leute, die ihn alle kennen, und alle Mitleiden mit ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/112
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/112>, abgerufen am 11.05.2024.