Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.
Jch kann freilich nur von meiner Empfindung reden, allein mich deucht, die Marter die ein einzelner (abstrakter) Begriff jedem Ungeübten macht, die Leere, die er in jeglicher Empfindung zurückläßt, unterstützte meine Meinung, vom Einzelnen, das wir freilich außerdem nirgends so ganz antreffen, so wenig wie das ganz Gleiche: wer indessen jemals einige Stunden weit, in einer schnurgeraden Allee reiste, der wird einen kleinen Vorschmack auch hiervon haben. Jch kann mich nicht erinnern, jemals mehr Geistesmarter ausgestanden zu haben, als, da ich einsmals von Karlsruhe nach Rastadt gieng, zwischen zwei Linien von Bäumen eine so schnur gerade als die andere dahin, und nun den vergoldeten Jupiter ewig und ewig vor den Augen! -- Vater der Götter und König der Menschen, ruft' ich in meiner damaligen jovialischen Laune, nie hast Du einen Sterblichen so gequält als mich! Aber Dein Volk hätte Dich auch nicht an das Ende einer Meilen langen schnur geraden Allee hingesetzt, wo Du, aus Langeweile, den Menschen das Leben sauer machst. Die Natur, die allein durch dies Aehnliche so schön wird, macht uns nicht allein für diese Schönheit empfänglich, sie gab auch jedem Wesen den Trieb zu seinem Aehnlichen, und dadurch gewinnt sie ihren Reiz -- Leben und Bewegung. Feuer
Jch kann freilich nur von meiner Empfindung reden, allein mich deucht, die Marter die ein einzelner (abstrakter) Begriff jedem Ungeuͤbten macht, die Leere, die er in jeglicher Empfindung zuruͤcklaͤßt, unterstuͤtzte meine Meinung, vom Einzelnen, das wir freilich außerdem nirgends so ganz antreffen, so wenig wie das ganz Gleiche: wer indessen jemals einige Stunden weit, in einer schnurgeraden Allee reiste, der wird einen kleinen Vorschmack auch hiervon haben. Jch kann mich nicht erinnern, jemals mehr Geistesmarter ausgestanden zu haben, als, da ich einsmals von Karlsruhe nach Rastadt gieng, zwischen zwei Linien von Baͤumen eine so schnur gerade als die andere dahin, und nun den vergoldeten Jupiter ewig und ewig vor den Augen! — Vater der Goͤtter und Koͤnig der Menschen, ruft' ich in meiner damaligen jovialischen Laune, nie hast Du einen Sterblichen so gequaͤlt als mich! Aber Dein Volk haͤtte Dich auch nicht an das Ende einer Meilen langen schnur geraden Allee hingesetzt, wo Du, aus Langeweile, den Menschen das Leben sauer machst. Die Natur, die allein durch dies Aehnliche so schoͤn wird, macht uns nicht allein fuͤr diese Schoͤnheit empfaͤnglich, sie gab auch jedem Wesen den Trieb zu seinem Aehnlichen, und dadurch gewinnt sie ihren Reiz — Leben und Bewegung. Feuer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0118" n="118"/><lb/> fuͤhl, moͤcht' ich sagen, aͤngstlich die Augen wegwendet.</p> <p>Jch kann freilich nur von meiner Empfindung reden, allein mich deucht, die Marter die ein einzelner (abstrakter) Begriff jedem Ungeuͤbten macht, die Leere, die er in jeglicher Empfindung zuruͤcklaͤßt, unterstuͤtzte meine Meinung, vom Einzelnen, das wir freilich außerdem nirgends so ganz antreffen, so wenig wie das ganz Gleiche: wer indessen jemals einige Stunden weit, in einer schnurgeraden Allee reiste, der wird einen kleinen Vorschmack auch hiervon haben. Jch kann mich nicht erinnern, jemals mehr Geistesmarter ausgestanden zu haben, als, da ich einsmals von Karlsruhe nach Rastadt gieng, zwischen zwei Linien von Baͤumen eine so schnur gerade als die andere dahin, und nun den vergoldeten Jupiter ewig und ewig vor den Augen! — Vater der Goͤtter und Koͤnig der Menschen, ruft' ich in meiner damaligen <choice><corr>jovialischen</corr><sic>jorialischen</sic></choice> Laune, nie hast Du einen Sterblichen so gequaͤlt als mich! Aber Dein Volk haͤtte Dich auch nicht an das Ende einer Meilen langen schnur geraden Allee hingesetzt, wo Du, aus Langeweile, den Menschen das Leben sauer machst.</p> <p>Die Natur, die allein durch dies Aehnliche so schoͤn wird, macht uns nicht allein fuͤr diese Schoͤnheit empfaͤnglich, sie gab auch jedem Wesen den Trieb zu seinem Aehnlichen, und dadurch gewinnt sie ihren Reiz — Leben und Bewegung. Feuer<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [118/0118]
fuͤhl, moͤcht' ich sagen, aͤngstlich die Augen wegwendet.
Jch kann freilich nur von meiner Empfindung reden, allein mich deucht, die Marter die ein einzelner (abstrakter) Begriff jedem Ungeuͤbten macht, die Leere, die er in jeglicher Empfindung zuruͤcklaͤßt, unterstuͤtzte meine Meinung, vom Einzelnen, das wir freilich außerdem nirgends so ganz antreffen, so wenig wie das ganz Gleiche: wer indessen jemals einige Stunden weit, in einer schnurgeraden Allee reiste, der wird einen kleinen Vorschmack auch hiervon haben. Jch kann mich nicht erinnern, jemals mehr Geistesmarter ausgestanden zu haben, als, da ich einsmals von Karlsruhe nach Rastadt gieng, zwischen zwei Linien von Baͤumen eine so schnur gerade als die andere dahin, und nun den vergoldeten Jupiter ewig und ewig vor den Augen! — Vater der Goͤtter und Koͤnig der Menschen, ruft' ich in meiner damaligen jovialischen Laune, nie hast Du einen Sterblichen so gequaͤlt als mich! Aber Dein Volk haͤtte Dich auch nicht an das Ende einer Meilen langen schnur geraden Allee hingesetzt, wo Du, aus Langeweile, den Menschen das Leben sauer machst.
Die Natur, die allein durch dies Aehnliche so schoͤn wird, macht uns nicht allein fuͤr diese Schoͤnheit empfaͤnglich, sie gab auch jedem Wesen den Trieb zu seinem Aehnlichen, und dadurch gewinnt sie ihren Reiz — Leben und Bewegung. Feuer
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/118>, abgerufen am 16.02.2025. |