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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.

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allgemeinen Verstand, der ersten und vornehmsten Kraft, der Weltseele, welche sich als die allgemeine Form des Weltalls zu erkennen giebt. Alles ist von dieser Kraft erfüllt; sie erleuchtet das Universum; weiset die Natur an, wie sie ihre Werke verrichten soll; und verhält sich zu der Hervorbringung der natürlichen Dinge, wie die denkende Kraft des Menschen sich zu der Hervorbringung der Begriffe verhält. Die Pythagoräer nannten diesen allgemeinen Verstand den Reger und Beweger des Alls; die Platoniker, in einem ganz ähnlichen Sinne, den Werkmeister der Welt; die Magier, den Saamen aller Saamen, weil er die Materie mit der Unendlichkeit ihrer Formen beschwängert. Orpheus nannte ihn das Auge der Welt, weil er alles durchschaut, um den Dingen von innen und von außen Ebenmaaß und Haltung zu ertheilen; Empedokles, den Unterscheider, weil er nie ermüdet die verworrenen Gestalten im Schooße der Materie zu sondern, und aus dem Tode neues Leben zu erwecken. Vater und Erzeuger war er dem Plotin, weil er die Saamen auf den Acker der Natur ausstreut, und aus seiner Hand alle Formen zuletzt unmittelbar hervorgehen. Mir erscheint er als ein innerlicher Künstler, weil er von innen die Materie bildet und gestaltet. Aus dem Jnnern der Wurzel oder des Saamkorns sendet er die Sprosse hervor; aus der Sprosse treibt er die Aeste, aus den Aesten die Zweige, aus den Jnnern der


allgemeinen Verstand, der ersten und vornehmsten Kraft, der Weltseele, welche sich als die allgemeine Form des Weltalls zu erkennen giebt. Alles ist von dieser Kraft erfuͤllt; sie erleuchtet das Universum; weiset die Natur an, wie sie ihre Werke verrichten soll; und verhaͤlt sich zu der Hervorbringung der natuͤrlichen Dinge, wie die denkende Kraft des Menschen sich zu der Hervorbringung der Begriffe verhaͤlt. Die Pythagoraͤer nannten diesen allgemeinen Verstand den Reger und Beweger des Alls; die Platoniker, in einem ganz aͤhnlichen Sinne, den Werkmeister der Welt; die Magier, den Saamen aller Saamen, weil er die Materie mit der Unendlichkeit ihrer Formen beschwaͤngert. Orpheus nannte ihn das Auge der Welt, weil er alles durchschaut, um den Dingen von innen und von außen Ebenmaaß und Haltung zu ertheilen; Empedokles, den Unterscheider, weil er nie ermuͤdet die verworrenen Gestalten im Schooße der Materie zu sondern, und aus dem Tode neues Leben zu erwecken. Vater und Erzeuger war er dem Plotin, weil er die Saamen auf den Acker der Natur ausstreut, und aus seiner Hand alle Formen zuletzt unmittelbar hervorgehen. Mir erscheint er als ein innerlicher Kuͤnstler, weil er von innen die Materie bildet und gestaltet. Aus dem Jnnern der Wurzel oder des Saamkorns sendet er die Sprosse hervor; aus der Sprosse treibt er die Aeste, aus den Aesten die Zweige, aus den Jnnern der

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[57/0057] allgemeinen Verstand, der ersten und vornehmsten Kraft, der Weltseele, welche sich als die allgemeine Form des Weltalls zu erkennen giebt. Alles ist von dieser Kraft erfuͤllt; sie erleuchtet das Universum; weiset die Natur an, wie sie ihre Werke verrichten soll; und verhaͤlt sich zu der Hervorbringung der natuͤrlichen Dinge, wie die denkende Kraft des Menschen sich zu der Hervorbringung der Begriffe verhaͤlt. Die Pythagoraͤer nannten diesen allgemeinen Verstand den Reger und Beweger des Alls; die Platoniker, in einem ganz aͤhnlichen Sinne, den Werkmeister der Welt; die Magier, den Saamen aller Saamen, weil er die Materie mit der Unendlichkeit ihrer Formen beschwaͤngert. Orpheus nannte ihn das Auge der Welt, weil er alles durchschaut, um den Dingen von innen und von außen Ebenmaaß und Haltung zu ertheilen; Empedokles, den Unterscheider, weil er nie ermuͤdet die verworrenen Gestalten im Schooße der Materie zu sondern, und aus dem Tode neues Leben zu erwecken. Vater und Erzeuger war er dem Plotin, weil er die Saamen auf den Acker der Natur ausstreut, und aus seiner Hand alle Formen zuletzt unmittelbar hervorgehen. Mir erscheint er als ein innerlicher Kuͤnstler, weil er von innen die Materie bildet und gestaltet. Aus dem Jnnern der Wurzel oder des Saamkorns sendet er die Sprosse hervor; aus der Sprosse treibt er die Aeste, aus den Aesten die Zweige, aus den Jnnern der

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/57>, abgerufen am 14.05.2024.