Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Von dem maternellen Prinzip überhaupt: hernach insbesondere. Von dem materiellen Prinzip als Potenz betrachtet.

"Demokritus und die Epikuräer, welche behaupten, was nicht Körper sey, sey nichts, nehmen die Materie als den einzigen Grund der Dinge an und sagen: sie selbst sey die göttliche Natur. Auch die Cyrenaiker, Cyniker und Stoiker, halten die Formen für nichts anders als gewisse zufällige Beschaffenheiten der Materie. Jch selbst habe dieser Meinung lange angehangen, weil ihre Gründe sich weit besser aus der Natur, als die Aristotelischen herleiten und beweisen lassen. Nachdem aber mein Gesichtskreis sich erweitert hatte, und ich nun anfieng, der Sache reiflicher nachzudenken; schien es mir dennoch nothwendig, zwey Arten der Substanz anzunehmen, wovon die eine Form, die andre Materie wäre. Denn eben so wie eine höchste Kraft angenommen werden muß, woraus das würksame Vermögen aller andern Kräfte fließt; so muß auch ein entsprechendes Subjekt, welches eben so viel leiden, wie jenes würken kann, schlechterdings angenommen werden. Das Vermögen des Einen ist, zu bestimmen; das Vermögen des Andern, sich bestimmen zu lassen."

Hier gerathen die Methaphysiker die (aus Gallanterie) der Theologie den Hof machen wollen, ziemlich ins Gedränge. Die Frage ist: wie ist


II. Von dem maternellen Prinzip uͤberhaupt: hernach insbesondere. Von dem materiellen Prinzip als Potenz betrachtet.

»Demokritus und die Epikuraͤer, welche behaupten, was nicht Koͤrper sey, sey nichts, nehmen die Materie als den einzigen Grund der Dinge an und sagen: sie selbst sey die goͤttliche Natur. Auch die Cyrenaiker, Cyniker und Stoiker, halten die Formen fuͤr nichts anders als gewisse zufaͤllige Beschaffenheiten der Materie. Jch selbst habe dieser Meinung lange angehangen, weil ihre Gruͤnde sich weit besser aus der Natur, als die Aristotelischen herleiten und beweisen lassen. Nachdem aber mein Gesichtskreis sich erweitert hatte, und ich nun anfieng, der Sache reiflicher nachzudenken; schien es mir dennoch nothwendig, zwey Arten der Substanz anzunehmen, wovon die eine Form, die andre Materie waͤre. Denn eben so wie eine hoͤchste Kraft angenommen werden muß, woraus das wuͤrksame Vermoͤgen aller andern Kraͤfte fließt; so muß auch ein entsprechendes Subjekt, welches eben so viel leiden, wie jenes wuͤrken kann, schlechterdings angenommen werden. Das Vermoͤgen des Einen ist, zu bestimmen; das Vermoͤgen des Andern, sich bestimmen zu lassen.«

Hier gerathen die Methaphysiker die (aus Gallanterie) der Theologie den Hof machen wollen, ziemlich ins Gedraͤnge. Die Frage ist: wie ist

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0070" n="70"/><lb/>
            <div n="4">
              <head><hi rendition="#aq">II</hi>. Von dem maternellen Prinzip u&#x0364;berhaupt: hernach insbesondere.                         Von dem materiellen Prinzip als Potenz betrachtet. </head><lb/>
              <p>»Demokritus und die Epikura&#x0364;er, welche behaupten, was nicht                         Ko&#x0364;rper sey, sey nichts, nehmen die Materie als den einzigen Grund der Dinge                         an und sagen: sie selbst sey die go&#x0364;ttliche Natur. Auch die Cyrenaiker,                         Cyniker und Stoiker, halten die Formen fu&#x0364;r nichts anders als gewisse                         zufa&#x0364;llige Beschaffenheiten der Materie. Jch selbst habe dieser Meinung lange                         angehangen, weil ihre Gru&#x0364;nde sich weit besser aus der Natur, als die                         Aristotelischen herleiten und beweisen lassen. Nachdem aber mein                         Gesichtskreis sich erweitert hatte, und ich nun anfieng, der Sache                         reiflicher nachzudenken; schien es mir dennoch nothwendig, zwey Arten der                         Substanz anzunehmen, wovon die eine Form, die andre Materie wa&#x0364;re. Denn eben                         so wie eine ho&#x0364;chste Kraft angenommen werden muß, woraus das wu&#x0364;rksame                         Vermo&#x0364;gen aller andern Kra&#x0364;fte fließt; so muß auch ein entsprechendes Subjekt,                         welches eben so viel leiden, wie jenes wu&#x0364;rken kann, schlechterdings                         angenommen werden. Das Vermo&#x0364;gen des Einen ist, zu bestimmen; das Vermo&#x0364;gen                         des Andern, sich bestimmen zu lassen.«</p>
              <p>Hier gerathen die <choice><corr>Methaphysiker</corr><sic>Methophysiker</sic></choice> die (aus Gallanterie) der Theologie den                         Hof machen wollen, ziemlich ins Gedra&#x0364;nge. Die Frage ist: wie ist<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0070] II. Von dem maternellen Prinzip uͤberhaupt: hernach insbesondere. Von dem materiellen Prinzip als Potenz betrachtet. »Demokritus und die Epikuraͤer, welche behaupten, was nicht Koͤrper sey, sey nichts, nehmen die Materie als den einzigen Grund der Dinge an und sagen: sie selbst sey die goͤttliche Natur. Auch die Cyrenaiker, Cyniker und Stoiker, halten die Formen fuͤr nichts anders als gewisse zufaͤllige Beschaffenheiten der Materie. Jch selbst habe dieser Meinung lange angehangen, weil ihre Gruͤnde sich weit besser aus der Natur, als die Aristotelischen herleiten und beweisen lassen. Nachdem aber mein Gesichtskreis sich erweitert hatte, und ich nun anfieng, der Sache reiflicher nachzudenken; schien es mir dennoch nothwendig, zwey Arten der Substanz anzunehmen, wovon die eine Form, die andre Materie waͤre. Denn eben so wie eine hoͤchste Kraft angenommen werden muß, woraus das wuͤrksame Vermoͤgen aller andern Kraͤfte fließt; so muß auch ein entsprechendes Subjekt, welches eben so viel leiden, wie jenes wuͤrken kann, schlechterdings angenommen werden. Das Vermoͤgen des Einen ist, zu bestimmen; das Vermoͤgen des Andern, sich bestimmen zu lassen.« Hier gerathen die Methaphysiker die (aus Gallanterie) der Theologie den Hof machen wollen, ziemlich ins Gedraͤnge. Die Frage ist: wie ist

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/70
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01002_1793/70>, abgerufen am 14.05.2024.