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Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

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versprach er, sein ganzes Vermögen zu vermachen,
wenn er bei ihn zöge. Der junge Mensch that's.
Nun muste dieser wie jener leben, und durfte nie-
mals wieder aus der Stube *). Die Folge war,
daß der junge Mensch nach einigen Jahren an der
Abzehrung starb. Daß derselbe krank war, wußte
man im Hause, weil der Arzt war gehohlt und
auf die Stube gelassen worden: aber sein Tod war
unbekannt, bis des Morgens ganz früh von Herrn
Klug ein Brief herausgereicht wurde, worinn er
den Herrn Geheimenrath ersuchte, den Verstorbe-
nen aus dem Hause schaffen zu lassen, und der
Frau Hofcommissariin Hartmann den Auftrag zu
geben, das Begräbniß zu besorgen. Jn der Nacht
nehmlich hatte Herr Klug seinen todten Vetter in
Bettücher gewickelt, und ihn hinter den Umgang
an der Treppe gelegt. Der Leichnam wurde dar-
auf in das Haus der gegenüber, jenseit der
Straße, wohnenden Frau Hartmann getragen,
und von daraus begraben.

Das andere, was mich veranlasset, zu glau-
ben, daß er doch die Gesellschaft geliebt habe, ist,

daß
*) Man erzählt, der junge Mensch habe manchmal
gebeten, er möchte ihn wieder gehen lassen; aber
seine Bitte sei immer mit erbärmlichen Schlägen zu-
rück gewiesen worden. Eine Sache, die doch kein
gutes Herz verräth.

versprach er, sein ganzes Vermoͤgen zu vermachen,
wenn er bei ihn zoͤge. Der junge Mensch that's.
Nun muste dieser wie jener leben, und durfte nie-
mals wieder aus der Stube *). Die Folge war,
daß der junge Mensch nach einigen Jahren an der
Abzehrung starb. Daß derselbe krank war, wußte
man im Hause, weil der Arzt war gehohlt und
auf die Stube gelassen worden: aber sein Tod war
unbekannt, bis des Morgens ganz fruͤh von Herrn
Klug ein Brief herausgereicht wurde, worinn er
den Herrn Geheimenrath ersuchte, den Verstorbe-
nen aus dem Hause schaffen zu lassen, und der
Frau Hofcommissariin Hartmann den Auftrag zu
geben, das Begraͤbniß zu besorgen. Jn der Nacht
nehmlich hatte Herr Klug seinen todten Vetter in
Bettuͤcher gewickelt, und ihn hinter den Umgang
an der Treppe gelegt. Der Leichnam wurde dar-
auf in das Haus der gegenuͤber, jenseit der
Straße, wohnenden Frau Hartmann getragen,
und von daraus begraben.

Das andere, was mich veranlasset, zu glau-
ben, daß er doch die Gesellschaft geliebt habe, ist,

daß
*) Man erzaͤhlt, der junge Mensch habe manchmal
gebeten, er moͤchte ihn wieder gehen lassen; aber
seine Bitte sei immer mit erbaͤrmlichen Schlaͤgen zu-
ruͤck gewiesen worden. Eine Sache, die doch kein
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[13/0017] versprach er, sein ganzes Vermoͤgen zu vermachen, wenn er bei ihn zoͤge. Der junge Mensch that's. Nun muste dieser wie jener leben, und durfte nie- mals wieder aus der Stube *). Die Folge war, daß der junge Mensch nach einigen Jahren an der Abzehrung starb. Daß derselbe krank war, wußte man im Hause, weil der Arzt war gehohlt und auf die Stube gelassen worden: aber sein Tod war unbekannt, bis des Morgens ganz fruͤh von Herrn Klug ein Brief herausgereicht wurde, worinn er den Herrn Geheimenrath ersuchte, den Verstorbe- nen aus dem Hause schaffen zu lassen, und der Frau Hofcommissariin Hartmann den Auftrag zu geben, das Begraͤbniß zu besorgen. Jn der Nacht nehmlich hatte Herr Klug seinen todten Vetter in Bettuͤcher gewickelt, und ihn hinter den Umgang an der Treppe gelegt. Der Leichnam wurde dar- auf in das Haus der gegenuͤber, jenseit der Straße, wohnenden Frau Hartmann getragen, und von daraus begraben. Das andere, was mich veranlasset, zu glau- ben, daß er doch die Gesellschaft geliebt habe, ist, daß *) Man erzaͤhlt, der junge Mensch habe manchmal gebeten, er moͤchte ihn wieder gehen lassen; aber seine Bitte sei immer mit erbaͤrmlichen Schlaͤgen zu- ruͤck gewiesen worden. Eine Sache, die doch kein gutes Herz verraͤth.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/17>, abgerufen am 29.04.2024.