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Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

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mich größtentheils seiner eignen Ausdrücke bedient,
die Sachen aber nach meiner Absicht geordnet.



Das beständige krumme Sitzen, oft schar-
fes Nachdenken, und weitläuftiges Ueberrechnen
bei schweren und künstlichen Mustern, veranlaßt
fast alle die Leute, welche auf dem sogenannten
Stuhl arbeiten, zur Hypochondrie und daraus ent-
springenden übeln. Jst nun vollends ihr Tempe-
rament sehr lebhaft, so entsteht um so leichter ein
Hang zum Projektmachen, wobei nicht selten der
Verstand leidet, und mit der Zeit, besonders wenn
sie noch in Noth und Unglück gerathen, Blödsinn,
oder würklicher Wahnsinn entstehet.

Unsern Schönfeld brachte wahrscheinlich eine
Neigung zum Müssiggange, und Unlust zu arbei-
ten, zuerst auf die Gedanken, Schätze zu graben.
Beständiges Nachdenken darüber, drückte diese
Jdee seiner ohnedem schon äußerst lebhaften Einbil-
dungskraft so fest ein, daß sie ihm am Ende be-
ständig gegenwärtig war, und er sich selber einen
Traum schuf, den er nach und nach anfing für
Wirklichkeit zu halten. Dieß verwirrte schon sei-
nen Verstand. Nun kam noch Krankheit, äußerste
Nothdürftigkeit und Kummer hinzu; diese zerrütte-
ten vollends denselben, und sein Wahrheitsgefühl
war nun so abgestumpft, daß er sich von der Wirk-
lichkeit folgender Einbildungen fest überzeugen konnte.


Er
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mich groͤßtentheils seiner eignen Ausdruͤcke bedient,
die Sachen aber nach meiner Absicht geordnet.



Das bestaͤndige krumme Sitzen, oft schar-
fes Nachdenken, und weitlaͤuftiges Ueberrechnen
bei schweren und kuͤnstlichen Mustern, veranlaßt
fast alle die Leute, welche auf dem sogenannten
Stuhl arbeiten, zur Hypochondrie und daraus ent-
springenden uͤbeln. Jst nun vollends ihr Tempe-
rament sehr lebhaft, so entsteht um so leichter ein
Hang zum Projektmachen, wobei nicht selten der
Verstand leidet, und mit der Zeit, besonders wenn
sie noch in Noth und Ungluͤck gerathen, Bloͤdsinn,
oder wuͤrklicher Wahnsinn entstehet.

Unsern Schoͤnfeld brachte wahrscheinlich eine
Neigung zum Muͤssiggange, und Unlust zu arbei-
ten, zuerst auf die Gedanken, Schaͤtze zu graben.
Bestaͤndiges Nachdenken daruͤber, druͤckte diese
Jdee seiner ohnedem schon aͤußerst lebhaften Einbil-
dungskraft so fest ein, daß sie ihm am Ende be-
staͤndig gegenwaͤrtig war, und er sich selber einen
Traum schuf, den er nach und nach anfing fuͤr
Wirklichkeit zu halten. Dieß verwirrte schon sei-
nen Verstand. Nun kam noch Krankheit, aͤußerste
Nothduͤrftigkeit und Kummer hinzu; diese zerruͤtte-
ten vollends denselben, und sein Wahrheitsgefuͤhl
war nun so abgestumpft, daß er sich von der Wirk-
lichkeit folgender Einbildungen fest uͤberzeugen konnte.


Er
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[21/0025] mich groͤßtentheils seiner eignen Ausdruͤcke bedient, die Sachen aber nach meiner Absicht geordnet. Das bestaͤndige krumme Sitzen, oft schar- fes Nachdenken, und weitlaͤuftiges Ueberrechnen bei schweren und kuͤnstlichen Mustern, veranlaßt fast alle die Leute, welche auf dem sogenannten Stuhl arbeiten, zur Hypochondrie und daraus ent- springenden uͤbeln. Jst nun vollends ihr Tempe- rament sehr lebhaft, so entsteht um so leichter ein Hang zum Projektmachen, wobei nicht selten der Verstand leidet, und mit der Zeit, besonders wenn sie noch in Noth und Ungluͤck gerathen, Bloͤdsinn, oder wuͤrklicher Wahnsinn entstehet. Unsern Schoͤnfeld brachte wahrscheinlich eine Neigung zum Muͤssiggange, und Unlust zu arbei- ten, zuerst auf die Gedanken, Schaͤtze zu graben. Bestaͤndiges Nachdenken daruͤber, druͤckte diese Jdee seiner ohnedem schon aͤußerst lebhaften Einbil- dungskraft so fest ein, daß sie ihm am Ende be- staͤndig gegenwaͤrtig war, und er sich selber einen Traum schuf, den er nach und nach anfing fuͤr Wirklichkeit zu halten. Dieß verwirrte schon sei- nen Verstand. Nun kam noch Krankheit, aͤußerste Nothduͤrftigkeit und Kummer hinzu; diese zerruͤtte- ten vollends denselben, und sein Wahrheitsgefuͤhl war nun so abgestumpft, daß er sich von der Wirk- lichkeit folgender Einbildungen fest uͤberzeugen konnte. Er B3

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/25>, abgerufen am 29.04.2024.