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Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

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Den 22sten August 1781. Abends.

Als ich über die Wiese gegen die Dämme-
rung zu ging, dachte ich eine Reihe sehr angeneh-
mer Gedanken, die ich mir jetzt so gut wie mög-
lich wieder zurückrufen will:

Beschränke deine Aussichten und deine Wün-
sche, so kannst du hier einst wandeln, als Mann
und als Greis, dein Weib an deiner Seite, und
deine Kinder um dich her; kannst dann auch an die-
sen Abend dich zurückerinnern.

Hinter mir dämmerte die Abendröthe so schön,
wie ich sie lange nicht dämmern sahe -- ich ging
noch etwas weiter, um bei der Rückkehr ihren An-
blick desto länger zu genießen --

Und nun, da ich gegen den Glanz der Abend-
röthe zurückkehrte, wie ganz verändert waren auf ein-
mal meine Gedanken! lebhaftere, stärkere Bilder
traten an die Stelle der sanftern, die Freuden des
Ruhms an die Stelle der ruhigen häuslichen Freu-
den. -- Doch wurden die erstern nicht ganz ver-
drängt; sie milderten noch das aufwallende Streben
nach den letztern, wie die zunehmende Dämmerung
den Glanz der funkelnden Abendröthe.

Wie sehr hängt oft die ganze Richtung unsrer
Gedanken von den äußern Gegenständen ab!


Viel-

Den 22sten August 1781. Abends.

Als ich uͤber die Wiese gegen die Daͤmme-
rung zu ging, dachte ich eine Reihe sehr angeneh-
mer Gedanken, die ich mir jetzt so gut wie moͤg-
lich wieder zuruͤckrufen will:

Beschraͤnke deine Aussichten und deine Wuͤn-
sche, so kannst du hier einst wandeln, als Mann
und als Greis, dein Weib an deiner Seite, und
deine Kinder um dich her; kannst dann auch an die-
sen Abend dich zuruͤckerinnern.

Hinter mir daͤmmerte die Abendroͤthe so schoͤn,
wie ich sie lange nicht daͤmmern sahe — ich ging
noch etwas weiter, um bei der Ruͤckkehr ihren An-
blick desto laͤnger zu genießen —

Und nun, da ich gegen den Glanz der Abend-
roͤthe zuruͤckkehrte, wie ganz veraͤndert waren auf ein-
mal meine Gedanken! lebhaftere, staͤrkere Bilder
traten an die Stelle der sanftern, die Freuden des
Ruhms an die Stelle der ruhigen haͤuslichen Freu-
den. — Doch wurden die erstern nicht ganz ver-
draͤngt; sie milderten noch das aufwallende Streben
nach den letztern, wie die zunehmende Daͤmmerung
den Glanz der funkelnden Abendroͤthe.

Wie sehr haͤngt oft die ganze Richtung unsrer
Gedanken von den aͤußern Gegenstaͤnden ab!


Viel-
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[46/0050] Den 22sten August 1781. Abends. Als ich uͤber die Wiese gegen die Daͤmme- rung zu ging, dachte ich eine Reihe sehr angeneh- mer Gedanken, die ich mir jetzt so gut wie moͤg- lich wieder zuruͤckrufen will: Beschraͤnke deine Aussichten und deine Wuͤn- sche, so kannst du hier einst wandeln, als Mann und als Greis, dein Weib an deiner Seite, und deine Kinder um dich her; kannst dann auch an die- sen Abend dich zuruͤckerinnern. Hinter mir daͤmmerte die Abendroͤthe so schoͤn, wie ich sie lange nicht daͤmmern sahe — ich ging noch etwas weiter, um bei der Ruͤckkehr ihren An- blick desto laͤnger zu genießen — Und nun, da ich gegen den Glanz der Abend- roͤthe zuruͤckkehrte, wie ganz veraͤndert waren auf ein- mal meine Gedanken! lebhaftere, staͤrkere Bilder traten an die Stelle der sanftern, die Freuden des Ruhms an die Stelle der ruhigen haͤuslichen Freu- den. — Doch wurden die erstern nicht ganz ver- draͤngt; sie milderten noch das aufwallende Streben nach den letztern, wie die zunehmende Daͤmmerung den Glanz der funkelnden Abendroͤthe. Wie sehr haͤngt oft die ganze Richtung unsrer Gedanken von den aͤußern Gegenstaͤnden ab! Viel-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/50>, abgerufen am 29.04.2024.