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Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783.

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mußte, und griff nach dem Orte, wo ich den
Zucker und Kaffee hingelegt zu haben glaubte. Zu
meiner größten Verwunderung fand ich weder
eins noch das andre. Jch schalt auf meine Mit-
schüler, und meinte nun, daß die ihn mir ent-
wandt hätten: Allein diese versicherten mir hoch
und theuer, daß sie unschuldig wären, und jeder
von ihnen half mir suchen.

Endlich ging ich traurig fort, und der Gedanke
an meinen verlornen Kaffee begleitete mich
eine ganze Straße lang, durch welche ich erst zu
dem Speisesaale gehen mußte.

Bei Tische fand ich gute Freunde, die ge-
rade geschickt genug waren, durch ihre muntere
und scherzhafte Laune, mich meines Verlustes ver-
gessen zu machen.

Jch ward mit ihnen aufgeräumt, und mit-
ten im Lachen -- das weiß ich noch recht eben --
fiel mir's ein, daß ich niemals Kaffee und Zucker
gekauft, und dieser Gedanke war mir auf einmal
so gegenwärtig, daß ich mich nicht genug wundern
konnte, wie's möglich gewesen, nach einer Sache,
woran ich den Tag über gar nicht, wenigstens
doch nicht stark gedacht hatte, und die nach meinen
damaligen Vermögensumständen, mir anzuschaffen,
völlig unmöglich war, mit so vielem Ernst, in einer
so langen Zeit, zu suchen. --


Ich

mußte, und griff nach dem Orte, wo ich den
Zucker und Kaffee hingelegt zu haben glaubte. Zu
meiner groͤßten Verwunderung fand ich weder
eins noch das andre. Jch schalt auf meine Mit-
schuͤler, und meinte nun, daß die ihn mir ent-
wandt haͤtten: Allein diese versicherten mir hoch
und theuer, daß sie unschuldig waͤren, und jeder
von ihnen half mir suchen.

Endlich ging ich traurig fort, und der Gedanke
an meinen verlornen Kaffee begleitete mich
eine ganze Straße lang, durch welche ich erst zu
dem Speisesaale gehen mußte.

Bei Tische fand ich gute Freunde, die ge-
rade geschickt genug waren, durch ihre muntere
und scherzhafte Laune, mich meines Verlustes ver-
gessen zu machen.

Jch ward mit ihnen aufgeraͤumt, und mit-
ten im Lachen — das weiß ich noch recht eben —
fiel mir's ein, daß ich niemals Kaffee und Zucker
gekauft, und dieser Gedanke war mir auf einmal
so gegenwaͤrtig, daß ich mich nicht genug wundern
konnte, wie's moͤglich gewesen, nach einer Sache,
woran ich den Tag uͤber gar nicht, wenigstens
doch nicht stark gedacht hatte, und die nach meinen
damaligen Vermoͤgensumstaͤnden, mir anzuschaffen,
voͤllig unmoͤglich war, mit so vielem Ernst, in einer
so langen Zeit, zu suchen. —


Ich
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[54/0058] mußte, und griff nach dem Orte, wo ich den Zucker und Kaffee hingelegt zu haben glaubte. Zu meiner groͤßten Verwunderung fand ich weder eins noch das andre. Jch schalt auf meine Mit- schuͤler, und meinte nun, daß die ihn mir ent- wandt haͤtten: Allein diese versicherten mir hoch und theuer, daß sie unschuldig waͤren, und jeder von ihnen half mir suchen. Endlich ging ich traurig fort, und der Gedanke an meinen verlornen Kaffee begleitete mich eine ganze Straße lang, durch welche ich erst zu dem Speisesaale gehen mußte. Bei Tische fand ich gute Freunde, die ge- rade geschickt genug waren, durch ihre muntere und scherzhafte Laune, mich meines Verlustes ver- gessen zu machen. Jch ward mit ihnen aufgeraͤumt, und mit- ten im Lachen — das weiß ich noch recht eben — fiel mir's ein, daß ich niemals Kaffee und Zucker gekauft, und dieser Gedanke war mir auf einmal so gegenwaͤrtig, daß ich mich nicht genug wundern konnte, wie's moͤglich gewesen, nach einer Sache, woran ich den Tag uͤber gar nicht, wenigstens doch nicht stark gedacht hatte, und die nach meinen damaligen Vermoͤgensumstaͤnden, mir anzuschaffen, voͤllig unmoͤglich war, mit so vielem Ernst, in einer so langen Zeit, zu suchen. — Ich

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/58>, abgerufen am 16.05.2024.