Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 3. Berlin, 1784.
Vor diesem Stübchen lag ein andres, an dessen verschlossene Thüre hart angeklopft wurde, ehe ich sie erreicht hatte. Jch öfne sie, und sehe einen Postbothen vor mir stehen, der mir einen Brief mit 10 Rthlr. -- für mich, an dem Orte, zu der Zeit (es war 1754) ein wahres Kapital! -- übergab, und darüber quittirt seyn wollte. Es war ein Brief von meiner Stiefgroßmutter, die mir wohl manches kleine, aber niemals ein so grosses, Geschenk in Gelde, immer nur persönlich, nie mit der Post, gemacht hatte, von mir sonst nie, am wenigsten jetzt um Eines gebeten war, und ihrer, mir bekannten Umstände wegen, um ein so wichtiges weder jemals gebeten worden wäre, noch gebeten werden konnte; die aber an dem Orte zum Behuf des Handels, den sie in ihrer kleinen Stadt trieb, mancherlei zu bezahlen oder einzukaufen hatte. Der natürlichste Gedanke wäre mithin für mich unter diesen Umständen der gewesen: du wirst diese Summe für sie in einer oder der andren Weise anzuwenden haben, und ein ganz kleiner Theil davon wird für deine Bemühung seyn. Aber dieses gerade dachte ich nicht, konnte ich nicht denken, sondern das, was das unwahrschein-
Vor diesem Stuͤbchen lag ein andres, an dessen verschlossene Thuͤre hart angeklopft wurde, ehe ich sie erreicht hatte. Jch oͤfne sie, und sehe einen Postbothen vor mir stehen, der mir einen Brief mit 10 Rthlr. ― fuͤr mich, an dem Orte, zu der Zeit (es war 1754) ein wahres Kapital! ― uͤbergab, und daruͤber quittirt seyn wollte. Es war ein Brief von meiner Stiefgroßmutter, die mir wohl manches kleine, aber niemals ein so grosses, Geschenk in Gelde, immer nur persoͤnlich, nie mit der Post, gemacht hatte, von mir sonst nie, am wenigsten jetzt um Eines gebeten war, und ihrer, mir bekannten Umstaͤnde wegen, um ein so wichtiges weder jemals gebeten worden waͤre, noch gebeten werden konnte; die aber an dem Orte zum Behuf des Handels, den sie in ihrer kleinen Stadt trieb, mancherlei zu bezahlen oder einzukaufen hatte. Der natuͤrlichste Gedanke waͤre mithin fuͤr mich unter diesen Umstaͤnden der gewesen: du wirst diese Summe fuͤr sie in einer oder der andren Weise anzuwenden haben, und ein ganz kleiner Theil davon wird fuͤr deine Bemuͤhung seyn. Aber dieses gerade dachte ich nicht, konnte ich nicht denken, sondern das, was das unwahrschein- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0025" n="25"/><lb/> wozu du keinen weißt, daß ich aufsprang, Huth und Stock nahm, um in ein Kollegium zu gehen, das in einer Viertelstunde angehn sollte, und huͤpfend und singend aus meinem Stuͤbchen eilte. </p> <p>Vor diesem Stuͤbchen lag ein andres, an dessen verschlossene Thuͤre hart angeklopft wurde, ehe ich sie erreicht hatte. Jch oͤfne sie, und sehe einen Postbothen vor mir stehen, der mir einen Brief mit 10 Rthlr. ― fuͤr mich, an dem Orte, zu der Zeit (es war 1754) ein wahres Kapital! ― uͤbergab, und daruͤber quittirt seyn wollte. </p> <p>Es war ein Brief von meiner Stiefgroßmutter, die mir wohl manches kleine, aber niemals ein so grosses, Geschenk in Gelde, immer nur persoͤnlich, nie mit der Post, gemacht hatte, von mir sonst nie, am wenigsten jetzt um Eines gebeten war, und ihrer, mir bekannten Umstaͤnde wegen, um ein so wichtiges weder jemals gebeten worden waͤre, noch gebeten werden konnte; die aber an dem Orte zum Behuf des Handels, den sie in ihrer kleinen Stadt trieb, mancherlei zu bezahlen oder einzukaufen hatte. </p> <p>Der natuͤrlichste Gedanke waͤre mithin fuͤr mich unter diesen Umstaͤnden der gewesen: du wirst diese Summe fuͤr sie in einer oder der andren Weise anzuwenden haben, und ein ganz kleiner Theil davon wird fuͤr deine Bemuͤhung seyn. </p> <p>Aber dieses gerade dachte ich nicht, konnte ich nicht denken, sondern das, was das unwahrschein-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [25/0025]
wozu du keinen weißt, daß ich aufsprang, Huth und Stock nahm, um in ein Kollegium zu gehen, das in einer Viertelstunde angehn sollte, und huͤpfend und singend aus meinem Stuͤbchen eilte.
Vor diesem Stuͤbchen lag ein andres, an dessen verschlossene Thuͤre hart angeklopft wurde, ehe ich sie erreicht hatte. Jch oͤfne sie, und sehe einen Postbothen vor mir stehen, der mir einen Brief mit 10 Rthlr. ― fuͤr mich, an dem Orte, zu der Zeit (es war 1754) ein wahres Kapital! ― uͤbergab, und daruͤber quittirt seyn wollte.
Es war ein Brief von meiner Stiefgroßmutter, die mir wohl manches kleine, aber niemals ein so grosses, Geschenk in Gelde, immer nur persoͤnlich, nie mit der Post, gemacht hatte, von mir sonst nie, am wenigsten jetzt um Eines gebeten war, und ihrer, mir bekannten Umstaͤnde wegen, um ein so wichtiges weder jemals gebeten worden waͤre, noch gebeten werden konnte; die aber an dem Orte zum Behuf des Handels, den sie in ihrer kleinen Stadt trieb, mancherlei zu bezahlen oder einzukaufen hatte.
Der natuͤrlichste Gedanke waͤre mithin fuͤr mich unter diesen Umstaͤnden der gewesen: du wirst diese Summe fuͤr sie in einer oder der andren Weise anzuwenden haben, und ein ganz kleiner Theil davon wird fuͤr deine Bemuͤhung seyn.
Aber dieses gerade dachte ich nicht, konnte ich nicht denken, sondern das, was das unwahrschein-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |