Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0045" n="45"/><lb/> ben ist, denn diese (wenigstens nach meiner damaligen Empfindung) <hi rendition="#b">lange</hi> Predigt, faͤllt mir allemal wieder ein, so oft ich <hi rendition="#b">die</hi> Kanzel sehe. — Noch erinnere ich mich aus den ersten Jahren meiner Kindheit sehr lebhaft der Art und Weise, wie ich mich damals im <hi rendition="#b">Schreiben</hi> uͤbte. Jm 5ten Jahre sollte ich schreiben lernen, und es war meine Lieblingsbeschaͤftigung, wenn ich den ganzen Tag die Buchstaben mit dem Finger auf der Erde im Sande mahlen konnte. Jch weiß noch die Stelle in der Stube, die ich, um keinem in Weg zu kommen, zu dieser Beschaͤftigung besonders waͤhlte. Noch <hi rendition="#b">eines</hi>Umstandes will ich, in dieser Absicht, gegenwaͤrtig nur gedenken. Jch war in meiner Kindheit ausserordentlich <hi rendition="#b">furchtsam.</hi> Dies gieng so weit, daß ich auch <hi rendition="#b">am Tage</hi> nicht <hi rendition="#b">allein</hi> in der Stube bleiben konnte. Woher dieser Fehler entstanden, davon kann ich gar keinen Grund angeben; daß aber diese Furchtsamkeit sehr groß war, erinnere ich mich noch mit der aͤussersten Lebhaftigkeit. Meine Eltern gaben sich alle Muͤhe, mir solches abzugewoͤhnen, und ließen mich zuweilen zur Mittagszeit <hi rendition="#b">allein</hi>in der Stube; sie schloͤssen auch, um mir zu zeigen, daß mir niemand etwas zu Leide thun wuͤrde, die Thuͤr zu, damit ich ihnen nicht nachfolgen sollte. Jch stand aber Todesangst aus, und man mußte mich wieder herauslassen. Des Abends blieb ich noch viel weniger <hi rendition="#b">allein.</hi> Wenn man mich zu Bette brachte, mußte allezeit einer<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [45/0045]
ben ist, denn diese (wenigstens nach meiner damaligen Empfindung) lange Predigt, faͤllt mir allemal wieder ein, so oft ich die Kanzel sehe. — Noch erinnere ich mich aus den ersten Jahren meiner Kindheit sehr lebhaft der Art und Weise, wie ich mich damals im Schreiben uͤbte. Jm 5ten Jahre sollte ich schreiben lernen, und es war meine Lieblingsbeschaͤftigung, wenn ich den ganzen Tag die Buchstaben mit dem Finger auf der Erde im Sande mahlen konnte. Jch weiß noch die Stelle in der Stube, die ich, um keinem in Weg zu kommen, zu dieser Beschaͤftigung besonders waͤhlte. Noch einesUmstandes will ich, in dieser Absicht, gegenwaͤrtig nur gedenken. Jch war in meiner Kindheit ausserordentlich furchtsam. Dies gieng so weit, daß ich auch am Tage nicht allein in der Stube bleiben konnte. Woher dieser Fehler entstanden, davon kann ich gar keinen Grund angeben; daß aber diese Furchtsamkeit sehr groß war, erinnere ich mich noch mit der aͤussersten Lebhaftigkeit. Meine Eltern gaben sich alle Muͤhe, mir solches abzugewoͤhnen, und ließen mich zuweilen zur Mittagszeit alleinin der Stube; sie schloͤssen auch, um mir zu zeigen, daß mir niemand etwas zu Leide thun wuͤrde, die Thuͤr zu, damit ich ihnen nicht nachfolgen sollte. Jch stand aber Todesangst aus, und man mußte mich wieder herauslassen. Des Abends blieb ich noch viel weniger allein. Wenn man mich zu Bette brachte, mußte allezeit einer
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