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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786.

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er ist grün -- dieser Augenblick ist nun verschwunden -- und er war grün, während daß ich anfing zu denken: er ist grün. Jch kann mich erst in dem zweiten Augenblick fassen, und sagen: es ist wahr, daß der Baum grün ist: denn ich sehe ihn noch eben so, wie ich ihn vor einem Augenblick sah, es ist fast einerlei, wenn ich sage

daß der Baum grün ist, ist wahr,

und: der Baum ist grün und war grün.

Die deutsche Sprache scheint also den Begriff des Wahren von dem Begriffe des noch nicht völlig vergangnen, in Rücksicht auf das Gegenwärtige, herzuleiten: und diese Vorstellungsart ist schon der Natur unsrer Seele gemäß. Das noch nicht völlig Vergangne, in Rücksicht auf das Gegenwärtige, ist gleichsam das Wiederfangen der einen Jdee, die entschlüpfen will, indeß man die andre noch festhält, wodurch das Wahrheitsgefühl, oder das Gefühl, daß etwas ist und war, entsteht -- ich will mich von der Wahrheit einer Jdee von irgend einem äußern Gegenstande überzeugen, und es ist kein andres Mittel, als daß ich den noch nicht völlig vergangnen, sondern in der Einbildungskraft zurückgebliebenen Eindruck vergleiche, und untersuche, ob eben das, was ist, auch war, und ob das, was war, auch noch ist.

Wenn ich unter dem übereinandergelegten Mittel- und Zeigefinger statt eines Kügelchens zwei zu fühlen glaube, so hat dieß Gefühl zwar Jstheit,


er ist gruͤn — dieser Augenblick ist nun verschwunden — und er war gruͤn, waͤhrend daß ich anfing zu denken: er ist gruͤn. Jch kann mich erst in dem zweiten Augenblick fassen, und sagen: es ist wahr, daß der Baum gruͤn ist: denn ich sehe ihn noch eben so, wie ich ihn vor einem Augenblick sah, es ist fast einerlei, wenn ich sage

daß der Baum gruͤn ist, ist wahr,

und: der Baum ist gruͤn und war gruͤn.

Die deutsche Sprache scheint also den Begriff des Wahren von dem Begriffe des noch nicht voͤllig vergangnen, in Ruͤcksicht auf das Gegenwaͤrtige, herzuleiten: und diese Vorstellungsart ist schon der Natur unsrer Seele gemaͤß. Das noch nicht voͤllig Vergangne, in Ruͤcksicht auf das Gegenwaͤrtige, ist gleichsam das Wiederfangen der einen Jdee, die entschluͤpfen will, indeß man die andre noch festhaͤlt, wodurch das Wahrheitsgefuͤhl, oder das Gefuͤhl, daß etwas ist und war, entsteht — ich will mich von der Wahrheit einer Jdee von irgend einem aͤußern Gegenstande uͤberzeugen, und es ist kein andres Mittel, als daß ich den noch nicht voͤllig vergangnen, sondern in der Einbildungskraft zuruͤckgebliebenen Eindruck vergleiche, und untersuche, ob eben das, was ist, auch war, und ob das, was war, auch noch ist.

Wenn ich unter dem uͤbereinandergelegten Mittel- und Zeigefinger statt eines Kuͤgelchens zwei zu fuͤhlen glaube, so hat dieß Gefuͤhl zwar Jstheit,

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[109/0109] er ist gruͤn — dieser Augenblick ist nun verschwunden — und er war gruͤn, waͤhrend daß ich anfing zu denken: er ist gruͤn. Jch kann mich erst in dem zweiten Augenblick fassen, und sagen: es ist wahr, daß der Baum gruͤn ist: denn ich sehe ihn noch eben so, wie ich ihn vor einem Augenblick sah, es ist fast einerlei, wenn ich sage daß der Baum gruͤn ist, ist wahr, und: der Baum ist gruͤn und war gruͤn. Die deutsche Sprache scheint also den Begriff des Wahren von dem Begriffe des noch nicht voͤllig vergangnen, in Ruͤcksicht auf das Gegenwaͤrtige, herzuleiten: und diese Vorstellungsart ist schon der Natur unsrer Seele gemaͤß. Das noch nicht voͤllig Vergangne, in Ruͤcksicht auf das Gegenwaͤrtige, ist gleichsam das Wiederfangen der einen Jdee, die entschluͤpfen will, indeß man die andre noch festhaͤlt, wodurch das Wahrheitsgefuͤhl, oder das Gefuͤhl, daß etwas ist und war, entsteht — ich will mich von der Wahrheit einer Jdee von irgend einem aͤußern Gegenstande uͤberzeugen, und es ist kein andres Mittel, als daß ich den noch nicht voͤllig vergangnen, sondern in der Einbildungskraft zuruͤckgebliebenen Eindruck vergleiche, und untersuche, ob eben das, was ist, auch war, und ob das, was war, auch noch ist. Wenn ich unter dem uͤbereinandergelegten Mittel- und Zeigefinger statt eines Kuͤgelchens zwei zu fuͤhlen glaube, so hat dieß Gefuͤhl zwar Jstheit,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 3. Berlin, 1786, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0403_1786/109>, abgerufen am 21.11.2024.