Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


bleibt also etwas Ewiges -- oder Gott. Dieser alte Beweis nebst dem cosmologischen überzeugt mich besser, als der neue Mendelssohnische.

Unter diesen Gesprächen wurde es Nachtessenszeit. Jch ersuchte ihn, mit mir vorlieb zu nehmen, welches er auch nach einiger Weigerung that. Während dem Essen fragte ich ihn: wann er denn studire? (Dies Wort brauchte er selbst.) Er antwortete mir: unter dem Marschiren von Ort zu Ort, wenn es schön Wetter ist, da nehme ich einen Paragraphen, (denn ich lerne vorher einen recht verstehen, ehe ich weiter gehe,) lese ihn etlichemal durch -- stecke dann mein Buch wieder in die Tasche, und denke über das Gelesene so nach, daß ich meine schwere Küste nicht mehr auf dem Buckel spüre. Wenn ich denn einen mathematischen oder philosophischen Satz recht im Kopf habe, dann lese ich weiter. Bey Nacht im Bett repetire ich's, und stelle mir dann ganze Seiten von Zahlen, Figuren u.s.w. so lebhaft vor Augen, wie sie im Buch stehen. Da freut mich's, wenn ich alles so deutlich beweisen kann. Jch. Dies ist wahrhaftig eine vortrefliche Art zu studiren, die zwar von vielen erkannt, aber von wenigen, besonders Jünglingen, beobachtet wird. Sonst würden wir gewiß mehr junge gründliche Gelehrte haben. Manche kommen erst durch viele Umwege und Fehltritte dahin, wo Er gleich war. Er. (lächelnd) Ja, anders thue ichs nicht, bis ich eine Sache recht


bleibt also etwas Ewiges — oder Gott. Dieser alte Beweis nebst dem cosmologischen uͤberzeugt mich besser, als der neue Mendelssohnische.

Unter diesen Gespraͤchen wurde es Nachtessenszeit. Jch ersuchte ihn, mit mir vorlieb zu nehmen, welches er auch nach einiger Weigerung that. Waͤhrend dem Essen fragte ich ihn: wann er denn studire? (Dies Wort brauchte er selbst.) Er antwortete mir: unter dem Marschiren von Ort zu Ort, wenn es schoͤn Wetter ist, da nehme ich einen Paragraphen, (denn ich lerne vorher einen recht verstehen, ehe ich weiter gehe,) lese ihn etlichemal durch — stecke dann mein Buch wieder in die Tasche, und denke uͤber das Gelesene so nach, daß ich meine schwere Kuͤste nicht mehr auf dem Buckel spuͤre. Wenn ich denn einen mathematischen oder philosophischen Satz recht im Kopf habe, dann lese ich weiter. Bey Nacht im Bett repetire ich's, und stelle mir dann ganze Seiten von Zahlen, Figuren u.s.w. so lebhaft vor Augen, wie sie im Buch stehen. Da freut mich's, wenn ich alles so deutlich beweisen kann. Jch. Dies ist wahrhaftig eine vortrefliche Art zu studiren, die zwar von vielen erkannt, aber von wenigen, besonders Juͤnglingen, beobachtet wird. Sonst wuͤrden wir gewiß mehr junge gruͤndliche Gelehrte haben. Manche kommen erst durch viele Umwege und Fehltritte dahin, wo Er gleich war. Er. (laͤchelnd) Ja, anders thue ichs nicht, bis ich eine Sache recht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0071" n="71"/><lb/><hi rendition="#b">bleibt</hi> also etwas Ewiges &#x2014; oder Gott. Dieser <hi rendition="#b">alte</hi> Beweis nebst dem cosmologischen u&#x0364;berzeugt mich besser, als der <hi rendition="#b">neue</hi> <persName ref="#ref0119"><note type="editorial">Mendelssohn, Moses</note>Mendelssohnische.</persName></p>
            <p>Unter diesen Gespra&#x0364;chen wurde es Nachtessenszeit. Jch ersuchte ihn, mit mir                   vorlieb zu nehmen, welches er auch nach einiger Weigerung that. Wa&#x0364;hrend dem Essen                   fragte ich ihn: <hi rendition="#b">wann</hi> er denn studire? (Dies Wort brauchte                   er selbst.) Er antwortete mir: unter dem Marschiren von Ort zu Ort, wenn es scho&#x0364;n                   Wetter ist, da nehme ich <hi rendition="#b">einen</hi> Paragraphen, (denn ich                   lerne <choice><corr>vorher</corr><sic>vor</sic></choice> <hi rendition="#b">einen</hi> recht verstehen, ehe ich weiter gehe,) lese ihn                   etlichemal durch &#x2014; stecke dann mein Buch wieder in die Tasche, und <hi rendition="#b">denke u&#x0364;ber das</hi> Gelesene so nach, daß ich <hi rendition="#b">meine schwere Ku&#x0364;ste nicht mehr auf dem Buckel spu&#x0364;re.</hi> Wenn ich denn                   einen mathematischen oder philosophischen Satz <hi rendition="#b">recht im Kopf                      habe,</hi> dann lese ich weiter. <hi rendition="#b">Bey Nacht</hi> im Bett <hi rendition="#b">repetire</hi> ich's, und stelle mir dann ganze Seiten von                   Zahlen, Figuren u.s.w. so lebhaft vor Augen, <hi rendition="#b">wie</hi> sie im                   Buch stehen. <hi rendition="#b">Da freut mich's, wenn ich alles so deutlich                      beweisen kann.</hi> Jch. Dies ist wahrhaftig eine vortrefliche Art zu                   studiren, die zwar von vielen erkannt, aber von wenigen, besonders Ju&#x0364;nglingen,                   beobachtet wird. Sonst wu&#x0364;rden wir gewiß mehr junge gru&#x0364;ndliche Gelehrte haben.                   Manche kommen erst durch viele Umwege und Fehltritte dahin, wo <hi rendition="#b">Er</hi> gleich war. Er. (la&#x0364;chelnd) Ja, anders thue ichs nicht, bis ich eine                   Sache <hi rendition="#b">recht<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0071] bleibt also etwas Ewiges — oder Gott. Dieser alte Beweis nebst dem cosmologischen uͤberzeugt mich besser, als der neue Mendelssohnische. Unter diesen Gespraͤchen wurde es Nachtessenszeit. Jch ersuchte ihn, mit mir vorlieb zu nehmen, welches er auch nach einiger Weigerung that. Waͤhrend dem Essen fragte ich ihn: wann er denn studire? (Dies Wort brauchte er selbst.) Er antwortete mir: unter dem Marschiren von Ort zu Ort, wenn es schoͤn Wetter ist, da nehme ich einen Paragraphen, (denn ich lerne vorher einen recht verstehen, ehe ich weiter gehe,) lese ihn etlichemal durch — stecke dann mein Buch wieder in die Tasche, und denke uͤber das Gelesene so nach, daß ich meine schwere Kuͤste nicht mehr auf dem Buckel spuͤre. Wenn ich denn einen mathematischen oder philosophischen Satz recht im Kopf habe, dann lese ich weiter. Bey Nacht im Bett repetire ich's, und stelle mir dann ganze Seiten von Zahlen, Figuren u.s.w. so lebhaft vor Augen, wie sie im Buch stehen. Da freut mich's, wenn ich alles so deutlich beweisen kann. Jch. Dies ist wahrhaftig eine vortrefliche Art zu studiren, die zwar von vielen erkannt, aber von wenigen, besonders Juͤnglingen, beobachtet wird. Sonst wuͤrden wir gewiß mehr junge gruͤndliche Gelehrte haben. Manche kommen erst durch viele Umwege und Fehltritte dahin, wo Er gleich war. Er. (laͤchelnd) Ja, anders thue ichs nicht, bis ich eine Sache recht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/71
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/71>, abgerufen am 18.12.2024.