Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.Wenn wir auf uns genau Acht geben, kann es uns nicht schwer werden, zu bemerken, daß in dem Mitleiden, sonderlich bey feinen, gebildeten Seelen, eine Art Wollust liegt, die uns oft so gern und so lange bey den Gedanken an einen Unglücklichen verweilen läßt, besonders wenn wir selbst etwas zur Traurigkeit geneigt sind, und der Unglückliche uns interessirt. Wir hören einem Klagenden oft lieber zu, als einem Frölichen. Wir fühlen es deutlich, wie sich bey jenen unsre Empfindungen immer mehr heben, sich immer mehr zu ihm hindrängen. Endlich ergießt sich die Thräne des Mitleids aus unserm Auge, und es ist uns sehr wohl bey diesem Opfer, welches die Natur der leidenden Menschheit bringt. Diese wohlthätige Empfindung der Seele, die den Menschen so weit über das Thier hinaushebt, mag nun entstehen woher sie will, aus dem stillen Bewußtseyn: daß wir jetzt eine sehr wichtige, sehr heilige, den Bedürfnissen der Menschheit so angemessene Pflicht ausüben; oder daher, daß wir uns, obwohl auf eine dunkle Art, vorstellen, wie wohl es uns war, wenn andere Mitleiden mit uns hatten, oder aus einer geheimen sympathetischen Bewegung unsrer Nerven, oder aus andern Ergüssen des Herzens und Geistes, genug, es bleibt allemal ein süsser Schmerz, und dieser ist es, welcher uns unsere eigenen Leiden selbst versüßen hilft, wenn wir uns Wenn wir auf uns genau Acht geben, kann es uns nicht schwer werden, zu bemerken, daß in dem Mitleiden, sonderlich bey feinen, gebildeten Seelen, eine Art Wollust liegt, die uns oft so gern und so lange bey den Gedanken an einen Ungluͤcklichen verweilen laͤßt, besonders wenn wir selbst etwas zur Traurigkeit geneigt sind, und der Ungluͤckliche uns interessirt. Wir hoͤren einem Klagenden oft lieber zu, als einem Froͤlichen. Wir fuͤhlen es deutlich, wie sich bey jenen unsre Empfindungen immer mehr heben, sich immer mehr zu ihm hindraͤngen. Endlich ergießt sich die Thraͤne des Mitleids aus unserm Auge, und es ist uns sehr wohl bey diesem Opfer, welches die Natur der leidenden Menschheit bringt. Diese wohlthaͤtige Empfindung der Seele, die den Menschen so weit uͤber das Thier hinaushebt, mag nun entstehen woher sie will, aus dem stillen Bewußtseyn: daß wir jetzt eine sehr wichtige, sehr heilige, den Beduͤrfnissen der Menschheit so angemessene Pflicht ausuͤben; oder daher, daß wir uns, obwohl auf eine dunkle Art, vorstellen, wie wohl es uns war, wenn andere Mitleiden mit uns hatten, oder aus einer geheimen sympathetischen Bewegung unsrer Nerven, oder aus andern Erguͤssen des Herzens und Geistes, genug, es bleibt allemal ein suͤsser Schmerz, und dieser ist es, welcher uns unsere eigenen Leiden selbst versuͤßen hilft, wenn wir uns <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0080" n="80"/><lb/> <p>Wenn wir auf uns genau Acht geben, kann es uns nicht schwer werden, zu bemerken, daß in dem Mitleiden, sonderlich bey feinen, gebildeten Seelen, eine Art <hi rendition="#b">Wollust</hi> liegt, die uns oft so gern und so lange bey den Gedanken an einen Ungluͤcklichen verweilen laͤßt, besonders wenn wir selbst etwas zur Traurigkeit geneigt sind, und der Ungluͤckliche uns <hi rendition="#b">interessirt.</hi> Wir hoͤren einem Klagenden oft lieber zu, als einem Froͤlichen. Wir fuͤhlen es deutlich, wie sich bey jenen unsre Empfindungen immer mehr heben, sich immer mehr zu ihm hindraͤngen. Endlich ergießt sich die Thraͤne des Mitleids aus unserm Auge, und es ist uns sehr wohl bey diesem Opfer, welches die Natur der leidenden Menschheit bringt.</p> <p>Diese wohlthaͤtige Empfindung der Seele, die den Menschen so weit uͤber das Thier hinaushebt, mag nun entstehen woher sie will, aus dem stillen Bewußtseyn: daß wir jetzt eine sehr wichtige, sehr heilige, den Beduͤrfnissen der Menschheit so angemessene Pflicht ausuͤben; oder daher, daß wir uns, obwohl auf eine dunkle Art, vorstellen, wie wohl es uns war, wenn andere Mitleiden mit uns hatten, oder aus einer geheimen sympathetischen Bewegung unsrer Nerven, oder aus andern Erguͤssen des Herzens und Geistes, genug, es bleibt allemal ein <hi rendition="#b">suͤsser Schmerz,</hi> und dieser ist es, welcher uns unsere eigenen Leiden selbst versuͤßen hilft, wenn wir uns<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [80/0080]
Wenn wir auf uns genau Acht geben, kann es uns nicht schwer werden, zu bemerken, daß in dem Mitleiden, sonderlich bey feinen, gebildeten Seelen, eine Art Wollust liegt, die uns oft so gern und so lange bey den Gedanken an einen Ungluͤcklichen verweilen laͤßt, besonders wenn wir selbst etwas zur Traurigkeit geneigt sind, und der Ungluͤckliche uns interessirt. Wir hoͤren einem Klagenden oft lieber zu, als einem Froͤlichen. Wir fuͤhlen es deutlich, wie sich bey jenen unsre Empfindungen immer mehr heben, sich immer mehr zu ihm hindraͤngen. Endlich ergießt sich die Thraͤne des Mitleids aus unserm Auge, und es ist uns sehr wohl bey diesem Opfer, welches die Natur der leidenden Menschheit bringt.
Diese wohlthaͤtige Empfindung der Seele, die den Menschen so weit uͤber das Thier hinaushebt, mag nun entstehen woher sie will, aus dem stillen Bewußtseyn: daß wir jetzt eine sehr wichtige, sehr heilige, den Beduͤrfnissen der Menschheit so angemessene Pflicht ausuͤben; oder daher, daß wir uns, obwohl auf eine dunkle Art, vorstellen, wie wohl es uns war, wenn andere Mitleiden mit uns hatten, oder aus einer geheimen sympathetischen Bewegung unsrer Nerven, oder aus andern Erguͤssen des Herzens und Geistes, genug, es bleibt allemal ein suͤsser Schmerz, und dieser ist es, welcher uns unsere eigenen Leiden selbst versuͤßen hilft, wenn wir uns
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