Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite


widerlegen sucht, je dreister berufen sie sich immer auf ihr Gefühl - als ob es das untrüglichste Ding von der Welt sey - und den eingetroffenen Erfolg, ohne zu untersuchen, was Einbildung und Zufall dazu beigetragen hat, und wie schwer sich überhaupt ein Ahndungsvermögen mit der Natur unsrer Seele und der bekannten Art ihrer Jdeenentwickelung vereinigen läßt. Jener Glaube findet um so viel leichter Beifall, - weil ihn der Großvater und die Großmutter gehabt haben, weil er das Gemüth vermöge des Wunderbaren erschüttert, weil er der Einbildungskraft jedesmal eine neue Schwungkraft giebt, weil er von vernünftigen Leuten vertheidigt wird, und weil man ihn, wie mehr dergleichen Dinge, für unschädlich hält. Allein jeder Jrrthum ist wenigstens insofern schädlich, als an seiner Stelle keine Wahrheit steht, - und jener Glaube an ein nicht vorhandenes Gespenst ist es um so mehr, da er so viele Menschen mit einer unnöthigen Furcht anfällt, sie leicht zu abergläubigen Grillen, und zu dem Wahn eines unmittelbaren Einflusses höherer geistiger Wesen auf unsre Vorstellungen verleitet, und so manche andre locale Uebel stiftet. Leute, denen die Aufklärung des menschlichen Verstandes am Herzen liegt, und was sollte uns allen mehr am Herzen liegen! sollten daher Beispiele von vermeinten Ahndungen nicht in öffentlichen Blättern, ohne genaue psychologische Untersuchungen jener Fälle, bekannt machen.



widerlegen sucht, je dreister berufen sie sich immer auf ihr Gefuͤhl – als ob es das untruͤglichste Ding von der Welt sey – und den eingetroffenen Erfolg, ohne zu untersuchen, was Einbildung und Zufall dazu beigetragen hat, und wie schwer sich uͤberhaupt ein Ahndungsvermoͤgen mit der Natur unsrer Seele und der bekannten Art ihrer Jdeenentwickelung vereinigen laͤßt. Jener Glaube findet um so viel leichter Beifall, – weil ihn der Großvater und die Großmutter gehabt haben, weil er das Gemuͤth vermoͤge des Wunderbaren erschuͤttert, weil er der Einbildungskraft jedesmal eine neue Schwungkraft giebt, weil er von vernuͤnftigen Leuten vertheidigt wird, und weil man ihn, wie mehr dergleichen Dinge, fuͤr unschaͤdlich haͤlt. Allein jeder Jrrthum ist wenigstens insofern schaͤdlich, als an seiner Stelle keine Wahrheit steht, – und jener Glaube an ein nicht vorhandenes Gespenst ist es um so mehr, da er so viele Menschen mit einer unnoͤthigen Furcht anfaͤllt, sie leicht zu aberglaͤubigen Grillen, und zu dem Wahn eines unmittelbaren Einflusses hoͤherer geistiger Wesen auf unsre Vorstellungen verleitet, und so manche andre locale Uebel stiftet. Leute, denen die Aufklaͤrung des menschlichen Verstandes am Herzen liegt, und was sollte uns allen mehr am Herzen liegen! sollten daher Beispiele von vermeinten Ahndungen nicht in oͤffentlichen Blaͤttern, ohne genaue psychologische Untersuchungen jener Faͤlle, bekannt machen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0095" n="93"/><lb/>
widerlegen sucht, je                   dreister berufen sie sich immer auf ihr Gefu&#x0364;hl &#x2013; als ob es das untru&#x0364;glichste Ding                   von der Welt sey &#x2013; und den eingetroffenen Erfolg, ohne zu untersuchen, was                   Einbildung und Zufall dazu beigetragen hat, und wie schwer sich u&#x0364;berhaupt ein                   Ahndungsvermo&#x0364;gen mit der Natur unsrer Seele und der bekannten Art ihrer                   Jdeenentwickelung vereinigen la&#x0364;ßt. Jener Glaube findet um so viel leichter                   Beifall, &#x2013; weil ihn der Großvater und die Großmutter gehabt haben, weil er das                   Gemu&#x0364;th vermo&#x0364;ge des Wunderbaren erschu&#x0364;ttert, weil er der Einbildungskraft jedesmal                   eine neue Schwungkraft giebt, weil er von vernu&#x0364;nftigen Leuten vertheidigt wird,                   und weil man ihn, wie mehr dergleichen Dinge, fu&#x0364;r unscha&#x0364;dlich ha&#x0364;lt. Allein jeder                   Jrrthum ist wenigstens insofern scha&#x0364;dlich, als an seiner Stelle keine Wahrheit                   steht, &#x2013; und jener Glaube an ein nicht vorhandenes Gespenst ist es um so mehr, da                   er so viele Menschen mit einer unno&#x0364;thigen Furcht anfa&#x0364;llt, sie leicht zu                   abergla&#x0364;ubigen Grillen, und zu dem Wahn eines unmittelbaren Einflusses ho&#x0364;herer                   geistiger Wesen auf unsre Vorstellungen verleitet, und so manche andre locale                   Uebel stiftet. Leute, denen die Aufkla&#x0364;rung des menschlichen Verstandes am Herzen                   liegt, und was sollte uns allen mehr am Herzen liegen! sollten daher Beispiele von                   vermeinten Ahndungen nicht in o&#x0364;ffentlichen Bla&#x0364;ttern, ohne genaue psychologische                   Untersuchungen jener Fa&#x0364;lle, bekannt machen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0095] widerlegen sucht, je dreister berufen sie sich immer auf ihr Gefuͤhl – als ob es das untruͤglichste Ding von der Welt sey – und den eingetroffenen Erfolg, ohne zu untersuchen, was Einbildung und Zufall dazu beigetragen hat, und wie schwer sich uͤberhaupt ein Ahndungsvermoͤgen mit der Natur unsrer Seele und der bekannten Art ihrer Jdeenentwickelung vereinigen laͤßt. Jener Glaube findet um so viel leichter Beifall, – weil ihn der Großvater und die Großmutter gehabt haben, weil er das Gemuͤth vermoͤge des Wunderbaren erschuͤttert, weil er der Einbildungskraft jedesmal eine neue Schwungkraft giebt, weil er von vernuͤnftigen Leuten vertheidigt wird, und weil man ihn, wie mehr dergleichen Dinge, fuͤr unschaͤdlich haͤlt. Allein jeder Jrrthum ist wenigstens insofern schaͤdlich, als an seiner Stelle keine Wahrheit steht, – und jener Glaube an ein nicht vorhandenes Gespenst ist es um so mehr, da er so viele Menschen mit einer unnoͤthigen Furcht anfaͤllt, sie leicht zu aberglaͤubigen Grillen, und zu dem Wahn eines unmittelbaren Einflusses hoͤherer geistiger Wesen auf unsre Vorstellungen verleitet, und so manche andre locale Uebel stiftet. Leute, denen die Aufklaͤrung des menschlichen Verstandes am Herzen liegt, und was sollte uns allen mehr am Herzen liegen! sollten daher Beispiele von vermeinten Ahndungen nicht in oͤffentlichen Blaͤttern, ohne genaue psychologische Untersuchungen jener Faͤlle, bekannt machen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/95
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 6, St. 1. Berlin, 1788, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0601_1788/95>, abgerufen am 24.11.2024.