Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.
Er brannte also, wie natürlich, vor Begierde darnach; aber da diese Wissenschaft wegen ihrer Heiligkeit nicht öffentlich gelehrt, sondern ins Geheim traktirt werden muß, so wußte er nicht, wo er die darin Eingeweiheten, und ihre Schriften aufsuchen sollte. Er erfuhr darauf, daß der Unterrabiner oder Prediger dieses Orts ein kabalistischer Adept sey, und machte sich also, zur Erreichung seines Endzwecks, mit ihm bekannt, nahm seinen Platz in der Synagoge neben ihm, und da er einst merkte, daß der Prediger immer nach dem Gebete in einem kleinen Buche las, und alsdann dasselbe auf der Stelle verwahrte; so wurde B. J. sehr begierig, zu wissen, was dieses für ein Buch seyn möge? Nachdem also der Prediger nach Haus gegangen war, ging B. J. und hohlte dieses Buch aus dem Orte, wo jener es versteckt hatte, und nachdem er gefunden hatte, daß es ein kabalistisches Buch sey, so nahm er dasselbe zu sich, und versteckte sich damit in einem Winkel in der Synagoge, bis alle Leute aus derselben gegangen, und die Synagoge zugeschlossen worden war. Nachher kroch er aus seinem Schlupfwinkel hervor, und las in seinem geliebten Buche so lange bis der Schließer des Abends die Synagoge wieder
Er brannte also, wie natuͤrlich, vor Begierde darnach; aber da diese Wissenschaft wegen ihrer Heiligkeit nicht oͤffentlich gelehrt, sondern ins Geheim traktirt werden muß, so wußte er nicht, wo er die darin Eingeweiheten, und ihre Schriften aufsuchen sollte. Er erfuhr darauf, daß der Unterrabiner oder Prediger dieses Orts ein kabalistischer Adept sey, und machte sich also, zur Erreichung seines Endzwecks, mit ihm bekannt, nahm seinen Platz in der Synagoge neben ihm, und da er einst merkte, daß der Prediger immer nach dem Gebete in einem kleinen Buche las, und alsdann dasselbe auf der Stelle verwahrte; so wurde B. J. sehr begierig, zu wissen, was dieses fuͤr ein Buch seyn moͤge? Nachdem also der Prediger nach Haus gegangen war, ging B. J. und hohlte dieses Buch aus dem Orte, wo jener es versteckt hatte, und nachdem er gefunden hatte, daß es ein kabalistisches Buch sey, so nahm er dasselbe zu sich, und versteckte sich damit in einem Winkel in der Synagoge, bis alle Leute aus derselben gegangen, und die Synagoge zugeschlossen worden war. Nachher kroch er aus seinem Schlupfwinkel hervor, und las in seinem geliebten Buche so lange bis der Schließer des Abends die Synagoge wieder <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0037" n="35"/><lb/> wodurch man nicht nur seine Wißbegierde befriedigen, sondern auch sich ungemein vervollkommnen und Gott naͤhern koͤnne.</p> <p>Er brannte also, wie natuͤrlich, vor Begierde darnach; aber da diese Wissenschaft wegen ihrer Heiligkeit nicht oͤffentlich gelehrt, sondern ins Geheim traktirt werden muß, so wußte er nicht, wo er die darin Eingeweiheten, und ihre Schriften aufsuchen sollte.</p> <p>Er erfuhr darauf, daß der Unterrabiner oder Prediger dieses Orts ein kabalistischer Adept sey, und machte sich also, zur Erreichung seines Endzwecks, mit ihm bekannt, nahm seinen Platz in der Synagoge neben ihm, und da er einst merkte, daß der Prediger immer nach dem Gebete in einem kleinen Buche las, und alsdann dasselbe auf der Stelle verwahrte; so wurde <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> sehr begierig, zu wissen, was dieses fuͤr ein Buch seyn moͤge?</p> <p>Nachdem also der Prediger nach Haus gegangen war, ging <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> und hohlte dieses Buch aus dem Orte, wo jener es versteckt hatte, und nachdem er gefunden hatte, daß es ein kabalistisches Buch sey, so nahm er dasselbe zu sich, und versteckte sich damit in einem Winkel in der Synagoge, bis alle Leute aus derselben gegangen, und die Synagoge zugeschlossen worden war.</p> <p>Nachher kroch er aus seinem Schlupfwinkel hervor, und las in seinem geliebten Buche so lange bis der Schließer des Abends die Synagoge wieder<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [35/0037]
wodurch man nicht nur seine Wißbegierde befriedigen, sondern auch sich ungemein vervollkommnen und Gott naͤhern koͤnne.
Er brannte also, wie natuͤrlich, vor Begierde darnach; aber da diese Wissenschaft wegen ihrer Heiligkeit nicht oͤffentlich gelehrt, sondern ins Geheim traktirt werden muß, so wußte er nicht, wo er die darin Eingeweiheten, und ihre Schriften aufsuchen sollte.
Er erfuhr darauf, daß der Unterrabiner oder Prediger dieses Orts ein kabalistischer Adept sey, und machte sich also, zur Erreichung seines Endzwecks, mit ihm bekannt, nahm seinen Platz in der Synagoge neben ihm, und da er einst merkte, daß der Prediger immer nach dem Gebete in einem kleinen Buche las, und alsdann dasselbe auf der Stelle verwahrte; so wurde B. J. sehr begierig, zu wissen, was dieses fuͤr ein Buch seyn moͤge?
Nachdem also der Prediger nach Haus gegangen war, ging B. J. und hohlte dieses Buch aus dem Orte, wo jener es versteckt hatte, und nachdem er gefunden hatte, daß es ein kabalistisches Buch sey, so nahm er dasselbe zu sich, und versteckte sich damit in einem Winkel in der Synagoge, bis alle Leute aus derselben gegangen, und die Synagoge zugeschlossen worden war.
Nachher kroch er aus seinem Schlupfwinkel hervor, und las in seinem geliebten Buche so lange bis der Schließer des Abends die Synagoge wieder
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