Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.
Hier wurde auch B. J. einst als Prowodnik aufgefangen. Er wußte zwar den rechten Weg nicht, aber zum Glücke traf er denselben zufälliger Weise. Er kam also mit der bloßen Drohung, daß wenn er sie irre führen würde, er alsdann lebendig geschunden werden sollte (welches den Russen gern zuzutrauen war), und mit häufigen Faustschlägen und Rippenstößen glücklich am gehörigen Orte an. B. J. übrigen Hofmeisterstellen waren mehr oder weniger dieser ähnlich. Jn einer dieser Stellen ereignete sich eine merkwürdige psychologische Begebenheit, worin er die Hauptperson war, und die in der Folge beschrieben werden soll. Jn einer andern ereignete sich eine Begebenheit von eben derselben Art, wovon er aber bloß Augenzeuge war. Der Hofmeister des nächsten Dorfs nehmlich, der ein Nachtwandler war, stand einst des Nachts von seinem Lager auf, und gieng nach dem Kirchhofe dieses Dorfs, mit einem Kodex der jüdischen Ritualgesetze in der Hand. Nachdem er da einige Zeit verweilt hatte, kam er wieder nach dem Lager zurück. Des Morgens stand er auf, ohne sich das Mindeste von dem, was in der Nacht vorgefallen war, zu erinnern, und gieng bey seinen Koffer, wo dieser Kodex eingeschlossen zu seyn pflegte, um sich den ersten Theil davon, Orach chaiim*) genannt, worinnen *) Orach chaiim, der Weg zum Leben.
Hier wurde auch B. J. einst als Prowodnik aufgefangen. Er wußte zwar den rechten Weg nicht, aber zum Gluͤcke traf er denselben zufaͤlliger Weise. Er kam also mit der bloßen Drohung, daß wenn er sie irre fuͤhren wuͤrde, er alsdann lebendig geschunden werden sollte (welches den Russen gern zuzutrauen war), und mit haͤufigen Faustschlaͤgen und Rippenstoͤßen gluͤcklich am gehoͤrigen Orte an. B. J. uͤbrigen Hofmeisterstellen waren mehr oder weniger dieser aͤhnlich. Jn einer dieser Stellen ereignete sich eine merkwuͤrdige psychologische Begebenheit, worin er die Hauptperson war, und die in der Folge beschrieben werden soll. Jn einer andern ereignete sich eine Begebenheit von eben derselben Art, wovon er aber bloß Augenzeuge war. Der Hofmeister des naͤchsten Dorfs nehmlich, der ein Nachtwandler war, stand einst des Nachts von seinem Lager auf, und gieng nach dem Kirchhofe dieses Dorfs, mit einem Kodex der juͤdischen Ritualgesetze in der Hand. Nachdem er da einige Zeit verweilt hatte, kam er wieder nach dem Lager zuruͤck. Des Morgens stand er auf, ohne sich das Mindeste von dem, was in der Nacht vorgefallen war, zu erinnern, und gieng bey seinen Koffer, wo dieser Kodex eingeschlossen zu seyn pflegte, um sich den ersten Theil davon, Orach chaiim*) genannt, worinnen *) Orach chaiim, der Weg zum Leben.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0057" n="57"/><lb/> <p>Hier wurde auch <hi rendition="#b">B. J.</hi> einst als Prowodnik aufgefangen. Er wußte zwar den rechten Weg nicht, aber zum Gluͤcke traf er denselben zufaͤlliger Weise. Er kam also mit der bloßen Drohung, daß wenn er sie irre fuͤhren wuͤrde, er alsdann <hi rendition="#b">lebendig geschunden werden sollte</hi> (welches den Russen gern zuzutrauen war), und mit haͤufigen Faustschlaͤgen und Rippenstoͤßen gluͤcklich am gehoͤrigen Orte an.</p> <p><hi rendition="#b">B. J.</hi> uͤbrigen Hofmeisterstellen waren mehr oder weniger dieser aͤhnlich.</p> <p>Jn einer dieser Stellen ereignete sich eine merkwuͤrdige psychologische Begebenheit, worin er die Hauptperson war, und die in der Folge beschrieben werden soll. Jn einer andern ereignete sich eine Begebenheit von eben derselben Art, wovon er aber bloß Augenzeuge war.</p> <p>Der Hofmeister des naͤchsten Dorfs nehmlich, der ein Nachtwandler war, stand einst des Nachts von seinem Lager auf, und gieng nach dem Kirchhofe dieses Dorfs, mit einem Kodex der juͤdischen Ritualgesetze in der Hand. Nachdem er da einige Zeit verweilt hatte, kam er wieder nach dem Lager zuruͤck. Des Morgens stand er auf, ohne sich das Mindeste von dem, was in der Nacht vorgefallen war, zu erinnern, und gieng bey seinen Koffer, wo dieser Kodex eingeschlossen zu seyn pflegte, um sich den ersten Theil davon, <hi rendition="#b">Orach chaiim</hi>*)<note place="foot"><p>*) Orach chaiim, der Weg zum Leben.</p></note> genannt, worinnen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [57/0057]
Hier wurde auch B. J. einst als Prowodnik aufgefangen. Er wußte zwar den rechten Weg nicht, aber zum Gluͤcke traf er denselben zufaͤlliger Weise. Er kam also mit der bloßen Drohung, daß wenn er sie irre fuͤhren wuͤrde, er alsdann lebendig geschunden werden sollte (welches den Russen gern zuzutrauen war), und mit haͤufigen Faustschlaͤgen und Rippenstoͤßen gluͤcklich am gehoͤrigen Orte an.
B. J. uͤbrigen Hofmeisterstellen waren mehr oder weniger dieser aͤhnlich.
Jn einer dieser Stellen ereignete sich eine merkwuͤrdige psychologische Begebenheit, worin er die Hauptperson war, und die in der Folge beschrieben werden soll. Jn einer andern ereignete sich eine Begebenheit von eben derselben Art, wovon er aber bloß Augenzeuge war.
Der Hofmeister des naͤchsten Dorfs nehmlich, der ein Nachtwandler war, stand einst des Nachts von seinem Lager auf, und gieng nach dem Kirchhofe dieses Dorfs, mit einem Kodex der juͤdischen Ritualgesetze in der Hand. Nachdem er da einige Zeit verweilt hatte, kam er wieder nach dem Lager zuruͤck. Des Morgens stand er auf, ohne sich das Mindeste von dem, was in der Nacht vorgefallen war, zu erinnern, und gieng bey seinen Koffer, wo dieser Kodex eingeschlossen zu seyn pflegte, um sich den ersten Theil davon, Orach chaiim*) genannt, worinnen
*) Orach chaiim, der Weg zum Leben.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/57 |
| Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/57>, abgerufen am 27.11.2024. |
