Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


Handschrift abzulernen und auch nachbilden zu können. -- Ein neuer Beweiß ist mir dies, wie wenig willkührlich die Zeichnung der Buchstaben ist, und wie genau mit der Nervenmodifikation und mit dem denkenden Charakter zusammenhängend, da es bei aller Mühe seine Hand zu verstellen so schwer ist. Nur mit deinem Charakter legst du die Handschrift ab: so wie nur mit deiner Nervenmodifikation deinen Charakter.

Die Anthropologie hat noch keinen sichern Maasstab, wornach sie die Reizbarkeit, Empfindlichkeit des Nervens bestimmen, und hieraus die Empfindlichkeit des Charakters angeben könnte. -- Jch glaube, daß die Handschrift wohl der sicherste, bestimmteste und zugleich sinnlichste Maasstab, dafür seyn könnte, -- sicherer weniger täuschend, als, wie Lavater will, das Haar, wobei das Gefühl so täuschend, und das Auge bei der Vergleichung so wenig bestimmt entscheidend seyn kann. Die vielen Nerven, die die Hand umgeben, und die fast unmittelbare Würkung derselben auf die Handschrift bürgt uns dafür, daß wir aus derselben sichere Resultate und Schlüsse auf die Lebhaftigkeit, Ruhe, Feinheit der Empfindung, auf den Muth, die Kühnheit, Standhaftigkeit, Ausdaurung des Menschen machen können, daß wir schon aus der Handschrift schließen können, welchen Patriotismus diesen beseelt -- ob er blos aufbrausender Sanguinismus


Handschrift abzulernen und auch nachbilden zu koͤnnen. — Ein neuer Beweiß ist mir dies, wie wenig willkuͤhrlich die Zeichnung der Buchstaben ist, und wie genau mit der Nervenmodifikation und mit dem denkenden Charakter zusammenhaͤngend, da es bei aller Muͤhe seine Hand zu verstellen so schwer ist. Nur mit deinem Charakter legst du die Handschrift ab: so wie nur mit deiner Nervenmodifikation deinen Charakter.

Die Anthropologie hat noch keinen sichern Maasstab, wornach sie die Reizbarkeit, Empfindlichkeit des Nervens bestimmen, und hieraus die Empfindlichkeit des Charakters angeben koͤnnte. — Jch glaube, daß die Handschrift wohl der sicherste, bestimmteste und zugleich sinnlichste Maasstab, dafuͤr seyn koͤnnte, — sicherer weniger taͤuschend, als, wie Lavater will, das Haar, wobei das Gefuͤhl so taͤuschend, und das Auge bei der Vergleichung so wenig bestimmt entscheidend seyn kann. Die vielen Nerven, die die Hand umgeben, und die fast unmittelbare Wuͤrkung derselben auf die Handschrift buͤrgt uns dafuͤr, daß wir aus derselben sichere Resultate und Schluͤsse auf die Lebhaftigkeit, Ruhe, Feinheit der Empfindung, auf den Muth, die Kuͤhnheit, Standhaftigkeit, Ausdaurung des Menschen machen koͤnnen, daß wir schon aus der Handschrift schließen koͤnnen, welchen Patriotismus diesen beseelt — ob er blos aufbrausender Sanguinismus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0055" n="55"/><lb/>
Handschrift abzulernen                         und auch nachbilden zu ko&#x0364;nnen. &#x2014; Ein neuer Beweiß ist mir dies, wie wenig                         willku&#x0364;hrlich die Zeichnung der Buchstaben ist, und wie genau mit der                         Nervenmodifikation und mit dem denkenden Charakter zusammenha&#x0364;ngend, da es                         bei aller Mu&#x0364;he seine Hand zu verstellen so schwer ist. Nur mit deinem                         Charakter legst du die Handschrift ab: so wie nur mit deiner                         Nervenmodifikation deinen Charakter. </p>
            <p>Die Anthropologie hat noch keinen sichern Maasstab, wornach sie die                         Reizbarkeit, Empfindlichkeit des Nervens bestimmen, und hieraus die                         Empfindlichkeit des Charakters angeben ko&#x0364;nnte. &#x2014; Jch glaube, daß die                         Handschrift wohl der sicherste, bestimmteste und zugleich sinnlichste                         Maasstab, dafu&#x0364;r seyn ko&#x0364;nnte, &#x2014; sicherer weniger ta&#x0364;uschend, als, wie                             <persName ref="#ref0027"><note type="editorial">Lavater, Johann Caspar</note>Lavater</persName>                         will, das Haar, wobei das Gefu&#x0364;hl so ta&#x0364;uschend, und das Auge bei der                         Vergleichung so wenig bestimmt entscheidend seyn kann. Die vielen Nerven,                         die die Hand umgeben, und die fast unmittelbare Wu&#x0364;rkung derselben auf die                         Handschrift bu&#x0364;rgt uns dafu&#x0364;r, daß wir aus derselben sichere Resultate und                         Schlu&#x0364;sse auf die Lebhaftigkeit, Ruhe, Feinheit der Empfindung, auf den Muth,                         die Ku&#x0364;hnheit, Standhaftigkeit, Ausdaurung des Menschen machen ko&#x0364;nnen, daß                         wir schon aus der Handschrift schließen ko&#x0364;nnen, welchen Patriotismus diesen                         beseelt &#x2014; ob er blos aufbrausender Sanguinismus<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0055] Handschrift abzulernen und auch nachbilden zu koͤnnen. — Ein neuer Beweiß ist mir dies, wie wenig willkuͤhrlich die Zeichnung der Buchstaben ist, und wie genau mit der Nervenmodifikation und mit dem denkenden Charakter zusammenhaͤngend, da es bei aller Muͤhe seine Hand zu verstellen so schwer ist. Nur mit deinem Charakter legst du die Handschrift ab: so wie nur mit deiner Nervenmodifikation deinen Charakter. Die Anthropologie hat noch keinen sichern Maasstab, wornach sie die Reizbarkeit, Empfindlichkeit des Nervens bestimmen, und hieraus die Empfindlichkeit des Charakters angeben koͤnnte. — Jch glaube, daß die Handschrift wohl der sicherste, bestimmteste und zugleich sinnlichste Maasstab, dafuͤr seyn koͤnnte, — sicherer weniger taͤuschend, als, wie Lavater will, das Haar, wobei das Gefuͤhl so taͤuschend, und das Auge bei der Vergleichung so wenig bestimmt entscheidend seyn kann. Die vielen Nerven, die die Hand umgeben, und die fast unmittelbare Wuͤrkung derselben auf die Handschrift buͤrgt uns dafuͤr, daß wir aus derselben sichere Resultate und Schluͤsse auf die Lebhaftigkeit, Ruhe, Feinheit der Empfindung, auf den Muth, die Kuͤhnheit, Standhaftigkeit, Ausdaurung des Menschen machen koͤnnen, daß wir schon aus der Handschrift schließen koͤnnen, welchen Patriotismus diesen beseelt — ob er blos aufbrausender Sanguinismus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/55
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/55>, abgerufen am 21.11.2024.