Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

3. Sonderbare Art des Trübsinnes

Jm Jahre 1783 wurde mir ein junger Mann, Namens El--n, der seit einiger Zeit trübsinnig geworden, von meinem Freunde aus K. in P. empfohlen. Er war 1775 Komptoirschreiber in einem Hause, in welchem ich Gesellschafter der Kinder war; und durch die Art von Bekanntschaft, die ich dadurch mit ihm gemacht hatte, glaubte mein Freund in K., daß ich mich des Unglücklichen nicht ungern annehmen würde. Als ein Kind von zwölf Jahren war ich, bei meiner ersten Bekanntschaft mit ihm, nicht im Stande, etwas Sonderbares an ihm zu bemerken; vielleicht hatte er damals auch noch gar nichts Auszeichnendes an sich. Doch erinnere ich mich noch ganz deutlich, daß er, nach geendigter Arbeit, mit meinem Lehrer Schach oder Piket zu spielen, und sich gewöhnlich an den Spieltisch mit den Worten zu setzen pflegte: nicht wahr, Freund! es ist mir erlaubt ein Stündchen zu spielen. Jch erfülle, Gott sei Dank, meine Pflichten treulich, und kann sie erfüllen, wie es nur immer einer kann! wer will mir nun die Erholungsstunde versagen?



3. Sonderbare Art des Truͤbsinnes

Jm Jahre 1783 wurde mir ein junger Mann, Namens El—n, der seit einiger Zeit truͤbsinnig geworden, von meinem Freunde aus K. in P. empfohlen. Er war 1775 Komptoirschreiber in einem Hause, in welchem ich Gesellschafter der Kinder war; und durch die Art von Bekanntschaft, die ich dadurch mit ihm gemacht hatte, glaubte mein Freund in K., daß ich mich des Ungluͤcklichen nicht ungern annehmen wuͤrde. Als ein Kind von zwoͤlf Jahren war ich, bei meiner ersten Bekanntschaft mit ihm, nicht im Stande, etwas Sonderbares an ihm zu bemerken; vielleicht hatte er damals auch noch gar nichts Auszeichnendes an sich. Doch erinnere ich mich noch ganz deutlich, daß er, nach geendigter Arbeit, mit meinem Lehrer Schach oder Piket zu spielen, und sich gewoͤhnlich an den Spieltisch mit den Worten zu setzen pflegte: nicht wahr, Freund! es ist mir erlaubt ein Stuͤndchen zu spielen. Jch erfuͤlle, Gott sei Dank, meine Pflichten treulich, und kann sie erfuͤllen, wie es nur immer einer kann! wer will mir nun die Erholungsstunde versagen?


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0067" n="67"/><lb/><lb/>
          </div>
          <div n="3">
            <head>3.                 Sonderbare Art des Tru&#x0364;bsinnes</head><lb/>
            <note type="editorial">
              <bibl>
                <persName ref="#ref50"><note type="editorial"/>Bendavid, Lazarus</persName>
              </bibl>
            </note>
            <p>Jm Jahre 1783 wurde mir ein junger Mann, Namens El&#x2014;n, der                         seit einiger Zeit tru&#x0364;bsinnig geworden, von meinem Freunde aus K. in P.                         empfohlen. Er war 1775 Komptoirschreiber in einem Hause, in welchem ich                         Gesellschafter der Kinder war; und durch die Art von Bekanntschaft, die ich                         dadurch mit ihm gemacht hatte, glaubte mein Freund in K., daß ich mich des                         Unglu&#x0364;cklichen nicht ungern annehmen wu&#x0364;rde. Als ein Kind von zwo&#x0364;lf Jahren war                         ich, bei meiner ersten Bekanntschaft mit ihm, nicht im Stande, etwas                         Sonderbares an ihm zu bemerken; vielleicht hatte er damals auch noch gar                         nichts Auszeichnendes an sich. Doch erinnere ich mich noch ganz deutlich,                         daß er, nach geendigter Arbeit, mit meinem Lehrer Schach oder Piket zu                         spielen, und sich gewo&#x0364;hnlich an den Spieltisch mit den Worten zu setzen                         pflegte: nicht wahr, Freund! es ist mir erlaubt ein Stu&#x0364;ndchen zu spielen.                         Jch erfu&#x0364;lle, Gott sei Dank, meine Pflichten treulich, und kann sie erfu&#x0364;llen,                         wie es nur immer einer kann! wer will mir nun die Erholungsstunde versagen? </p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0067] 3. Sonderbare Art des Truͤbsinnes Jm Jahre 1783 wurde mir ein junger Mann, Namens El—n, der seit einiger Zeit truͤbsinnig geworden, von meinem Freunde aus K. in P. empfohlen. Er war 1775 Komptoirschreiber in einem Hause, in welchem ich Gesellschafter der Kinder war; und durch die Art von Bekanntschaft, die ich dadurch mit ihm gemacht hatte, glaubte mein Freund in K., daß ich mich des Ungluͤcklichen nicht ungern annehmen wuͤrde. Als ein Kind von zwoͤlf Jahren war ich, bei meiner ersten Bekanntschaft mit ihm, nicht im Stande, etwas Sonderbares an ihm zu bemerken; vielleicht hatte er damals auch noch gar nichts Auszeichnendes an sich. Doch erinnere ich mich noch ganz deutlich, daß er, nach geendigter Arbeit, mit meinem Lehrer Schach oder Piket zu spielen, und sich gewoͤhnlich an den Spieltisch mit den Worten zu setzen pflegte: nicht wahr, Freund! es ist mir erlaubt ein Stuͤndchen zu spielen. Jch erfuͤlle, Gott sei Dank, meine Pflichten treulich, und kann sie erfuͤllen, wie es nur immer einer kann! wer will mir nun die Erholungsstunde versagen?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/67
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/67>, abgerufen am 18.05.2024.