Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.Mein Lehrer hielt sich oft in seiner Abwesenheit über ihn auf; und als ich einst fragte: ob E. denn nicht recht hätte, antwortete er mir; es sei freilich nicht zu läugnen, daß E. ein geschickter Mensch sei; aber er bilde sich zu viel darauf ein. Selbst diese scherzhafte Aeußerung seiner Verdienste käme zu oft, um nicht für etwas mehr, als Scherz, um nicht für übertriebnen Stolz aufgenommen werden zu müssen. Einige Zeit nachher hatte er einen Wortstreit über Religionssachen mit seinem Herrn, der ihn darüber für einen gefährlichen Menschen, einen Ketzer ansah, und ihm auf eine kränkende Art seinen Abschied gab. E. glaubte sich dem Hause unentbehrlich gemacht zu haben, und sah sich betrogen. Sein Stolz war dadurch zu sehr gebeugt, um länger an einem Orte zu verweilen, in welchem es, nach seinem erfolgten Abschiede, Leute geben mußte, die aus Schadenfreude seiner gespottet haben würden. Er verließ daher Berlin plötzlich, ohne seinen Freunden und Bekannten Lebewohl zu sagen, und reisete nach H., seinem Geburtsorte, zu seinen Brüdern. Diese, die ihn in ihre Handlung nicht brauchen konnten, drangen in ihn, aufs neue in Kondition zu treten; und, da er wirklich die Wechselgeschäfte gründlich verstand, glückte es ihm auch bald, eine Mein Lehrer hielt sich oft in seiner Abwesenheit uͤber ihn auf; und als ich einst fragte: ob E. denn nicht recht haͤtte, antwortete er mir; es sei freilich nicht zu laͤugnen, daß E. ein geschickter Mensch sei; aber er bilde sich zu viel darauf ein. Selbst diese scherzhafte Aeußerung seiner Verdienste kaͤme zu oft, um nicht fuͤr etwas mehr, als Scherz, um nicht fuͤr uͤbertriebnen Stolz aufgenommen werden zu muͤssen. Einige Zeit nachher hatte er einen Wortstreit uͤber Religionssachen mit seinem Herrn, der ihn daruͤber fuͤr einen gefaͤhrlichen Menschen, einen Ketzer ansah, und ihm auf eine kraͤnkende Art seinen Abschied gab. E. glaubte sich dem Hause unentbehrlich gemacht zu haben, und sah sich betrogen. Sein Stolz war dadurch zu sehr gebeugt, um laͤnger an einem Orte zu verweilen, in welchem es, nach seinem erfolgten Abschiede, Leute geben mußte, die aus Schadenfreude seiner gespottet haben wuͤrden. Er verließ daher Berlin ploͤtzlich, ohne seinen Freunden und Bekannten Lebewohl zu sagen, und reisete nach H., seinem Geburtsorte, zu seinen Bruͤdern. Diese, die ihn in ihre Handlung nicht brauchen konnten, drangen in ihn, aufs neue in Kondition zu treten; und, da er wirklich die Wechselgeschaͤfte gruͤndlich verstand, gluͤckte es ihm auch bald, eine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0068" n="68"/><lb/> <p>Mein Lehrer hielt sich oft in seiner Abwesenheit uͤber ihn auf; und als ich einst fragte: ob E. denn nicht recht haͤtte, antwortete er mir; es sei freilich nicht zu laͤugnen, daß E. ein geschickter Mensch sei; aber er bilde sich zu viel darauf ein. Selbst diese scherzhafte Aeußerung seiner Verdienste kaͤme zu oft, um nicht fuͤr etwas mehr, als Scherz, um nicht fuͤr uͤbertriebnen Stolz aufgenommen werden zu muͤssen. </p> <p>Einige Zeit nachher hatte er einen Wortstreit uͤber Religionssachen mit seinem Herrn, der ihn daruͤber fuͤr einen gefaͤhrlichen Menschen, einen Ketzer ansah, und ihm auf eine kraͤnkende Art seinen Abschied gab. E. glaubte sich dem Hause unentbehrlich gemacht zu haben, und sah sich betrogen. Sein Stolz war dadurch zu sehr gebeugt, um laͤnger an einem Orte zu verweilen, in welchem es, nach seinem erfolgten Abschiede, Leute geben mußte, die aus Schadenfreude seiner gespottet haben wuͤrden. Er verließ daher Berlin ploͤtzlich, ohne seinen Freunden und Bekannten Lebewohl zu sagen, und reisete nach H., seinem Geburtsorte, zu seinen Bruͤdern. </p> <p>Diese, die ihn in ihre Handlung nicht brauchen konnten, drangen in ihn, aufs neue in Kondition zu treten; und, da er wirklich die Wechselgeschaͤfte gruͤndlich verstand, gluͤckte es ihm auch bald, eine<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [68/0068]
Mein Lehrer hielt sich oft in seiner Abwesenheit uͤber ihn auf; und als ich einst fragte: ob E. denn nicht recht haͤtte, antwortete er mir; es sei freilich nicht zu laͤugnen, daß E. ein geschickter Mensch sei; aber er bilde sich zu viel darauf ein. Selbst diese scherzhafte Aeußerung seiner Verdienste kaͤme zu oft, um nicht fuͤr etwas mehr, als Scherz, um nicht fuͤr uͤbertriebnen Stolz aufgenommen werden zu muͤssen.
Einige Zeit nachher hatte er einen Wortstreit uͤber Religionssachen mit seinem Herrn, der ihn daruͤber fuͤr einen gefaͤhrlichen Menschen, einen Ketzer ansah, und ihm auf eine kraͤnkende Art seinen Abschied gab. E. glaubte sich dem Hause unentbehrlich gemacht zu haben, und sah sich betrogen. Sein Stolz war dadurch zu sehr gebeugt, um laͤnger an einem Orte zu verweilen, in welchem es, nach seinem erfolgten Abschiede, Leute geben mußte, die aus Schadenfreude seiner gespottet haben wuͤrden. Er verließ daher Berlin ploͤtzlich, ohne seinen Freunden und Bekannten Lebewohl zu sagen, und reisete nach H., seinem Geburtsorte, zu seinen Bruͤdern.
Diese, die ihn in ihre Handlung nicht brauchen konnten, drangen in ihn, aufs neue in Kondition zu treten; und, da er wirklich die Wechselgeschaͤfte gruͤndlich verstand, gluͤckte es ihm auch bald, eine
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/68>, abgerufen am 16.02.2025. |