in ihr Lager schickt, die plötzlich Mann auf Mann dahin raft, das unaufhörlich die Scheiterhaufen der Verstorbenen lodern; so schreitet er wie die Nacht einher, spannt den silbernen Bogen, und sendet die verderblichen Pfeile in das Lager der Griechen.
Allein der jugendliche Gott des Todes zürnt nicht immer; der, dessen Pfeil verwundet, heilt auch wieder; -- er selbst wird unter dem Nah- men der Heilende mit einer Hand voll Kräuter abgebildet; -- auch zeugte er den sanften Aesku- lap, der Mittel für jeden Schmerz und jede Krankheit wußte; und selbst durch seine Kunst vom Tod' erretten konnte.
Gleichwie nun in den wohlthätigen und ver- derblichen Sonnenstrahlen, und in der befruchten- den und Verwesung brütenden Sonnenwärme, das Bildende mit dem Zerstörenden sich vereint, so war auch hier das Furchtbare mit dem Sanften in der Göttergestalt verknüpft, die jene Strahlen und jene Wärme, als ihr erhabnes Urbild in sich faßte.
Daher giebt diesen Trost ein Dichter aus dem Alterthum, indem er das Gemüth zu sanfter Freud' aufheitert: "wenn du jetzt trauern mußt, so wird es nicht stets so seyn! Nicht immer spannt Apollo den Bogen, zuweilen weckt er auch aufs neue wieder zum Saitenspiel die schwei- gende Muse!"
in ihr Lager ſchickt, die ploͤtzlich Mann auf Mann dahin raft, das unaufhoͤrlich die Scheiterhaufen der Verſtorbenen lodern; ſo ſchreitet er wie die Nacht einher, ſpannt den ſilbernen Bogen, und ſendet die verderblichen Pfeile in das Lager der Griechen.
Allein der jugendliche Gott des Todes zuͤrnt nicht immer; der, deſſen Pfeil verwundet, heilt auch wieder; — er ſelbſt wird unter dem Nah- men der Heilende mit einer Hand voll Kraͤuter abgebildet; — auch zeugte er den ſanften Aeſku- lap, der Mittel fuͤr jeden Schmerz und jede Krankheit wußte; und ſelbſt durch ſeine Kunſt vom Tod’ erretten konnte.
Gleichwie nun in den wohlthaͤtigen und ver- derblichen Sonnenſtrahlen, und in der befruchten- den und Verweſung bruͤtenden Sonnenwaͤrme, das Bildende mit dem Zerſtoͤrenden ſich vereint, ſo war auch hier das Furchtbare mit dem Sanften in der Goͤttergeſtalt verknuͤpft, die jene Strahlen und jene Waͤrme, als ihr erhabnes Urbild in ſich faßte.
Daher giebt dieſen Troſt ein Dichter aus dem Alterthum, indem er das Gemuͤth zu ſanfter Freud’ aufheitert: „wenn du jetzt trauern mußt, ſo wird es nicht ſtets ſo ſeyn! Nicht immer ſpannt Apollo den Bogen, zuweilen weckt er auch aufs neue wieder zum Saitenſpiel die ſchwei- gende Muſe!“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0142"n="112"/>
in ihr Lager ſchickt, die ploͤtzlich Mann auf Mann<lb/>
dahin raft, das unaufhoͤrlich die Scheiterhaufen<lb/>
der Verſtorbenen lodern; ſo ſchreitet er wie die<lb/>
Nacht einher, ſpannt den ſilbernen Bogen, und<lb/>ſendet die <hirendition="#fr">verderblichen Pfeile</hi> in das Lager der<lb/>
Griechen.</p><lb/><p>Allein der jugendliche Gott des Todes zuͤrnt<lb/>
nicht immer; der, deſſen Pfeil verwundet, heilt<lb/>
auch wieder; — er ſelbſt wird unter dem Nah-<lb/>
men der <hirendition="#fr">Heilende</hi> mit einer Hand voll Kraͤuter<lb/>
abgebildet; — auch zeugte er den ſanften <hirendition="#fr">Aeſku-<lb/>
lap,</hi> der Mittel fuͤr jeden Schmerz und jede<lb/>
Krankheit wußte; und ſelbſt durch ſeine Kunſt<lb/>
vom Tod’ erretten konnte.</p><lb/><p>Gleichwie nun in den wohlthaͤtigen und ver-<lb/>
derblichen Sonnenſtrahlen, und in der befruchten-<lb/>
den und Verweſung bruͤtenden Sonnenwaͤrme, das<lb/>
Bildende mit dem Zerſtoͤrenden ſich vereint, ſo<lb/>
war auch hier das Furchtbare mit dem Sanften in<lb/>
der Goͤttergeſtalt verknuͤpft, die jene Strahlen und<lb/>
jene Waͤrme, als ihr erhabnes Urbild in ſich faßte.</p><lb/><p>Daher giebt dieſen Troſt ein Dichter aus dem<lb/>
Alterthum, indem er das Gemuͤth zu ſanfter Freud’<lb/>
aufheitert: „wenn du jetzt trauern mußt, ſo wird<lb/>
es nicht ſtets ſo ſeyn! <hirendition="#fr">Nicht immer ſpannt<lb/>
Apollo den Bogen, zuweilen weckt er auch<lb/>
aufs neue wieder zum Saitenſpiel die ſchwei-<lb/>
gende Muſe!</hi>“</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[112/0142]
in ihr Lager ſchickt, die ploͤtzlich Mann auf Mann
dahin raft, das unaufhoͤrlich die Scheiterhaufen
der Verſtorbenen lodern; ſo ſchreitet er wie die
Nacht einher, ſpannt den ſilbernen Bogen, und
ſendet die verderblichen Pfeile in das Lager der
Griechen.
Allein der jugendliche Gott des Todes zuͤrnt
nicht immer; der, deſſen Pfeil verwundet, heilt
auch wieder; — er ſelbſt wird unter dem Nah-
men der Heilende mit einer Hand voll Kraͤuter
abgebildet; — auch zeugte er den ſanften Aeſku-
lap, der Mittel fuͤr jeden Schmerz und jede
Krankheit wußte; und ſelbſt durch ſeine Kunſt
vom Tod’ erretten konnte.
Gleichwie nun in den wohlthaͤtigen und ver-
derblichen Sonnenſtrahlen, und in der befruchten-
den und Verweſung bruͤtenden Sonnenwaͤrme, das
Bildende mit dem Zerſtoͤrenden ſich vereint, ſo
war auch hier das Furchtbare mit dem Sanften in
der Goͤttergeſtalt verknuͤpft, die jene Strahlen und
jene Waͤrme, als ihr erhabnes Urbild in ſich faßte.
Daher giebt dieſen Troſt ein Dichter aus dem
Alterthum, indem er das Gemuͤth zu ſanfter Freud’
aufheitert: „wenn du jetzt trauern mußt, ſo wird
es nicht ſtets ſo ſeyn! Nicht immer ſpannt
Apollo den Bogen, zuweilen weckt er auch
aufs neue wieder zum Saitenſpiel die ſchwei-
gende Muſe!“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/142>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.