So hielt sie dem Paris ihr Wort, ganz unbe- kümmert, was für Zerstörung und Jammer dar- aus entstehen würde. -- Im Kriege vor Troja hüllte sie den Paris, als Menelaus im Zweikampf ihn tödten wollte, in nächtliches Dunkel ein, und führte ihn in sein duftendes Schlafgemach, wo sie selber die Helena zu ihm rief. --
Und als diese, ihre Schuld bereuend, sich wei- gerte, der Liebesgöttiu Ruf zu folgen, so sprach Venus mit zürnenden Worten: Elende! reitze mich nicht, damit ich nicht eben so sehr dich hasse, als ich bis jetzt dich liebte. -- Unter den Troja- nern und Griechen stifte ich dennoch verderblichen Hader an, dich aber soll ein unseeliges Schicksal treffen! --
Und nun läßt die gebietende Venus, dem rechtmäßigen erzürnten Gatten gleichsam zum Trotz, den wollüstigen Paris die Freuden der Liebe genießen. -- Wenn nun diese Göttergestalt zugleich die kalte Weisheit der Minerva, oder den Ernst der Themis, in sich vereinte, so würde sie freilich nicht so ungerecht, um die verderbliche Lust eines einzigen Lieblings zu begünstigen, der alles verwüstenden Zerstörung, die sie dadurch ver- anlaßt, ruhig zusehn.
Dann wäre sie aber auch nicht mehr aus- schließend die Göttin der Liebe; sie bliebe kein Gegenstand der Phantasie; und wäre nicht mehr
So hielt ſie dem Paris ihr Wort, ganz unbe- kuͤmmert, was fuͤr Zerſtoͤrung und Jammer dar- aus entſtehen wuͤrde. — Im Kriege vor Troja huͤllte ſie den Paris, als Menelaus im Zweikampf ihn toͤdten wollte, in naͤchtliches Dunkel ein, und fuͤhrte ihn in ſein duftendes Schlafgemach, wo ſie ſelber die Helena zu ihm rief. —
Und als dieſe, ihre Schuld bereuend, ſich wei- gerte, der Liebesgoͤttiu Ruf zu folgen, ſo ſprach Venus mit zuͤrnenden Worten: Elende! reitze mich nicht, damit ich nicht eben ſo ſehr dich haſſe, als ich bis jetzt dich liebte. — Unter den Troja- nern und Griechen ſtifte ich dennoch verderblichen Hader an, dich aber ſoll ein unſeeliges Schickſal treffen! —
Und nun laͤßt die gebietende Venus, dem rechtmaͤßigen erzuͤrnten Gatten gleichſam zum Trotz, den wolluͤſtigen Paris die Freuden der Liebe genießen. — Wenn nun dieſe Goͤttergeſtalt zugleich die kalte Weisheit der Minerva, oder den Ernſt der Themis, in ſich vereinte, ſo wuͤrde ſie freilich nicht ſo ungerecht, um die verderbliche Luſt eines einzigen Lieblings zu beguͤnſtigen, der alles verwuͤſtenden Zerſtoͤrung, die ſie dadurch ver- anlaßt, ruhig zuſehn.
Dann waͤre ſie aber auch nicht mehr aus- ſchließend die Goͤttin der Liebe; ſie bliebe kein Gegenſtand der Phantaſie; und waͤre nicht mehr
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So hielt ſie dem Paris ihr Wort, ganz unbe-
kuͤmmert, was fuͤr Zerſtoͤrung und Jammer dar-
aus entſtehen wuͤrde. — Im Kriege vor Troja
huͤllte ſie den Paris, als Menelaus im Zweikampf
ihn toͤdten wollte, in naͤchtliches Dunkel ein, und
fuͤhrte ihn in ſein duftendes Schlafgemach, wo
ſie ſelber die Helena zu ihm rief. —
Und als dieſe, ihre Schuld bereuend, ſich wei-
gerte, der Liebesgoͤttiu Ruf zu folgen, ſo ſprach
Venus mit zuͤrnenden Worten: Elende! reitze
mich nicht, damit ich nicht eben ſo ſehr dich haſſe,
als ich bis jetzt dich liebte. — Unter den Troja-
nern und Griechen ſtifte ich dennoch verderblichen
Hader an, dich aber ſoll ein unſeeliges Schickſal
treffen! —
Und nun laͤßt die gebietende Venus, dem
rechtmaͤßigen erzuͤrnten Gatten gleichſam zum
Trotz, den wolluͤſtigen Paris die Freuden der
Liebe genießen. — Wenn nun dieſe Goͤttergeſtalt
zugleich die kalte Weisheit der Minerva, oder den
Ernſt der Themis, in ſich vereinte, ſo wuͤrde ſie
freilich nicht ſo ungerecht, um die verderbliche
Luſt eines einzigen Lieblings zu beguͤnſtigen, der
alles verwuͤſtenden Zerſtoͤrung, die ſie dadurch ver-
anlaßt, ruhig zuſehn.
Dann waͤre ſie aber auch nicht mehr aus-
ſchließend die Goͤttin der Liebe; ſie bliebe kein
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/170>, abgerufen am 25.11.2024.
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