die hohe dichterische Darstellung desjenigen, was in der ganzen Natur mit unwiderstehlichem Reitze unaufhörlich fortwirkt, unbekümmert, ob es Spu- ren blutiger Kriege oder glücklich durchlebter Men- schenalter hinter sich zurück läßt. --
Ueberhaupt ist es das Mangelhafte, oder die gleichsam fehlenden Züge, in den Erscheinungen der Göttergestalten, was denselben den höchsten Reitz giebt, und wodurch eben diese Dichtungen ineinander verflochten werden.
Der hohen Juno mangelt es an sanftem Lieb- reitz; sie muß den Gürtel der Venus borgen. -- Die überlegende Weisheit fehlt dem mächtigen Krieges- gotte; Minerva lenkt seinen Ungestüm.
Venus besitzt den höchsten Liebreitz; aber Mi- nerva, der es ganz an weiblicher Zärtlichkeit man- gelt, ist ihr an Macht weit überlegen. Im Tref- fen vor Troja, wo zuletzt die Götter selber sich zum Streit auffordern, und Venus den Trojanern, Minerva den Griechen beisteht, giebt Minerva der Venus, die dem Mars zu Hülfe eilt, mit starker Hand einen Schlag auf die Brust, daß ihre Knie sinken; und Minerva sagt triumphie- rend: mögen doch alle, die den Trojanern beiste- hen, der Venus an Tapferkeit und Kühnheit glei- chen!
Als Venus vom Diomed in die Hand ver- wundet gen Himmel stieg, und bei ihrer Mutter
die hohe dichteriſche Darſtellung desjenigen, was in der ganzen Natur mit unwiderſtehlichem Reitze unaufhoͤrlich fortwirkt, unbekuͤmmert, ob es Spu- ren blutiger Kriege oder gluͤcklich durchlebter Men- ſchenalter hinter ſich zuruͤck laͤßt. —
Ueberhaupt iſt es das Mangelhafte, oder die gleichſam fehlenden Zuͤge, in den Erſcheinungen der Goͤttergeſtalten, was denſelben den hoͤchſten Reitz giebt, und wodurch eben dieſe Dichtungen ineinander verflochten werden.
Der hohen Juno mangelt es an ſanftem Lieb- reitz; ſie muß den Guͤrtel der Venus borgen. — Die uͤberlegende Weisheit fehlt dem maͤchtigen Krieges- gotte; Minerva lenkt ſeinen Ungeſtuͤm.
Venus beſitzt den hoͤchſten Liebreitz; aber Mi- nerva, der es ganz an weiblicher Zaͤrtlichkeit man- gelt, iſt ihr an Macht weit uͤberlegen. Im Tref- fen vor Troja, wo zuletzt die Goͤtter ſelber ſich zum Streit auffordern, und Venus den Trojanern, Minerva den Griechen beiſteht, giebt Minerva der Venus, die dem Mars zu Huͤlfe eilt, mit ſtarker Hand einen Schlag auf die Bruſt, daß ihre Knie ſinken; und Minerva ſagt triumphie- rend: moͤgen doch alle, die den Trojanern beiſte- hen, der Venus an Tapferkeit und Kuͤhnheit glei- chen!
Als Venus vom Diomed in die Hand ver- wundet gen Himmel ſtieg, und bei ihrer Mutter
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die hohe dichteriſche Darſtellung desjenigen, was
in der ganzen Natur mit unwiderſtehlichem Reitze
unaufhoͤrlich fortwirkt, unbekuͤmmert, ob es Spu-
ren blutiger Kriege oder gluͤcklich durchlebter Men-
ſchenalter hinter ſich zuruͤck laͤßt. —
Ueberhaupt iſt es das Mangelhafte, oder die
gleichſam fehlenden Zuͤge, in den Erſcheinungen
der Goͤttergeſtalten, was denſelben den hoͤchſten
Reitz giebt, und wodurch eben dieſe Dichtungen
ineinander verflochten werden.
Der hohen Juno mangelt es an ſanftem Lieb-
reitz; ſie muß den Guͤrtel der Venus borgen. — Die
uͤberlegende Weisheit fehlt dem maͤchtigen Krieges-
gotte; Minerva lenkt ſeinen Ungeſtuͤm.
Venus beſitzt den hoͤchſten Liebreitz; aber Mi-
nerva, der es ganz an weiblicher Zaͤrtlichkeit man-
gelt, iſt ihr an Macht weit uͤberlegen. Im Tref-
fen vor Troja, wo zuletzt die Goͤtter ſelber ſich
zum Streit auffordern, und Venus den Trojanern,
Minerva den Griechen beiſteht, giebt Minerva
der Venus, die dem Mars zu Huͤlfe eilt, mit
ſtarker Hand einen Schlag auf die Bruſt, daß
ihre Knie ſinken; und Minerva ſagt triumphie-
rend: moͤgen doch alle, die den Trojanern beiſte-
hen, der Venus an Tapferkeit und Kuͤhnheit glei-
chen!
Als Venus vom Diomed in die Hand ver-
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/171>, abgerufen am 25.11.2024.
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