Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

hier nicht kümmern, wo es beym Nachdenken über
die Sache bloss aufs Unterscheiden ankömmt; und
nothwendig, so wie auf dem Globus, gewisse feste
Grenzlinien, die in der Natur selbst nicht Statt finden,
gezogen werden müssen, wenn die Begriffe sich nicht
wiederum eben so, wie ihre Gegenstände, unmerklich
in einander verlieren und verschwimmen sollen: ein
getreuerer Abdruck der Natur können sie in diesem
letztern Falle seyn, aber das eigentliche Denken, wel¬
ches nun einmal im Unterscheiden besteht, hört auf.

Nun schliesst sich aber im Sprachgebrauch das
Gute und Nützliche, so wie das Edle und Schöne,
natürlich aneinander; und diese vier verschiednen Aus¬
drücke bezeichnen eine so feine Abstufung der Begriffe,
und bilden ein so zartes Ideenspiel, dass es dem Nach¬
denken schwer werden muss, das immer ineinander
sich unmerklich wieder Verlierende gehörig auseinan¬
der zu halten, und es einzeln und abgesondert zu be¬
trachten. So viel fällt demohngeachtet deutlich in
die Augen, dass das bloss Nützliche dem Schönen und
Edlen, mehr als das Gute, entgegenstehe; weil durch
das Gute vom bloss Nützlichen zum Schönen und Ed¬
len schon der Uebergang gemacht wird.

Wir denken uns z. B. unter einem nützlichen Men¬
schen einen solchen, der nicht sowohl an und für sich
selbst, als vielmehr nur in Beziehung auf irgend einen
Zusammenhang von Dingen ausser ihm, unsre Auf¬
merksamkeit verdienet: der gute Mensch hingegen
fängt schon an und für sich selbft betrachtet, an, un¬

fre

hier nicht kümmern, wo es beym Nachdenken über
die Sache bloſs aufs Unterſcheiden ankömmt; und
nothwendig, ſo wie auf dem Globus, gewisſe feſte
Grenzlinien, die in der Natur ſelbſt nicht Statt finden,
gezogen werden müsſen, wenn die Begriffe ſich nicht
wiederum eben ſo, wie ihre Gegenſtände, unmerklich
in einander verlieren und verſchwimmen ſollen: ein
getreuerer Abdruck der Natur können ſie in dieſem
letztern Falle ſeyn, aber das eigentliche Denken, wel¬
ches nun einmal im Unterſcheiden beſteht, hört auf.

Nun ſchlieſst ſich aber im Sprachgebrauch das
Gute und Nützliche, ſo wie das Edle und Schöne,
natürlich aneinander; und dieſe vier verſchiednen Aus¬
drücke bezeichnen eine ſo feine Abſtufung der Begriffe,
und bilden ein ſo zartes Ideenſpiel, daſs es dem Nach¬
denken ſchwer werden muſs, das immer ineinander
ſich unmerklich wieder Verlierende gehörig auseinan¬
der zu halten, und es einzeln und abgeſondert zu be¬
trachten. So viel fällt demohngeachtet deutlich in
die Augen, daſs das bloſs Nützliche dem Schönen und
Edlen, mehr als das Gute, entgegenſtehe; weil durch
das Gute vom bloſs Nützlichen zum Schönen und Ed¬
len ſchon der Uebergang gemacht wird.

Wir denken uns z. B. unter einem nützlichen Men¬
ſchen einen ſolchen, der nicht ſowohl an und für ſich
ſelbſt, als vielmehr nur in Beziehung auf irgend einen
Zuſammenhang von Dingen ausſer ihm, unſre Auf¬
merkſamkeit verdienet: der gute Menſch hingegen
fängt ſchon an und für ſich ſelbft betrachtet, an, un¬

fre
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0012" n="6"/>
hier nicht kümmern, wo es beym Nachdenken über<lb/>
die Sache blo&#x017F;s aufs Unter&#x017F;cheiden ankömmt; und<lb/>
nothwendig, &#x017F;o wie auf dem Globus, gewis&#x017F;e fe&#x017F;te<lb/>
Grenzlinien, die in der Natur &#x017F;elb&#x017F;t nicht Statt finden,<lb/>
gezogen werden müs&#x017F;en, wenn die Begriffe &#x017F;ich nicht<lb/>
wiederum eben &#x017F;o, wie ihre Gegen&#x017F;tände, unmerklich<lb/>
in einander verlieren und ver&#x017F;chwimmen &#x017F;ollen: ein<lb/>
getreuerer Abdruck der Natur können &#x017F;ie in die&#x017F;em<lb/>
letztern Falle &#x017F;eyn, aber das eigentliche Denken, wel¬<lb/>
ches nun einmal im Unter&#x017F;cheiden be&#x017F;teht, hört auf.</p><lb/>
      <p>Nun &#x017F;chlie&#x017F;st &#x017F;ich aber im Sprachgebrauch das<lb/>
Gute und Nützliche, &#x017F;o wie das Edle und Schöne,<lb/>
natürlich aneinander; und die&#x017F;e vier ver&#x017F;chiednen Aus¬<lb/>
drücke bezeichnen eine &#x017F;o feine Ab&#x017F;tufung der Begriffe,<lb/>
und bilden ein &#x017F;o zartes Ideen&#x017F;piel, da&#x017F;s es dem Nach¬<lb/>
denken &#x017F;chwer werden mu&#x017F;s, das immer ineinander<lb/>
&#x017F;ich unmerklich wieder Verlierende gehörig auseinan¬<lb/>
der zu halten, und es einzeln und abge&#x017F;ondert zu be¬<lb/>
trachten. So viel fällt demohngeachtet deutlich in<lb/>
die Augen, da&#x017F;s das blo&#x017F;s Nützliche dem Schönen und<lb/>
Edlen, mehr als das Gute, entgegen&#x017F;tehe; weil durch<lb/>
das Gute vom blo&#x017F;s Nützlichen zum Schönen und Ed¬<lb/>
len &#x017F;chon der Uebergang gemacht wird.</p><lb/>
      <p>Wir denken uns z. B. unter einem nützlichen Men¬<lb/>
&#x017F;chen einen &#x017F;olchen, der nicht &#x017F;owohl an und für &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, als vielmehr nur in Beziehung auf irgend einen<lb/>
Zu&#x017F;ammenhang von Dingen aus&#x017F;er ihm, un&#x017F;re Auf¬<lb/>
merk&#x017F;amkeit verdienet: der gute Men&#x017F;ch hingegen<lb/>
fängt &#x017F;chon an und für &#x017F;ich &#x017F;elbft betrachtet, an, un¬<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fre<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0012] hier nicht kümmern, wo es beym Nachdenken über die Sache bloſs aufs Unterſcheiden ankömmt; und nothwendig, ſo wie auf dem Globus, gewisſe feſte Grenzlinien, die in der Natur ſelbſt nicht Statt finden, gezogen werden müsſen, wenn die Begriffe ſich nicht wiederum eben ſo, wie ihre Gegenſtände, unmerklich in einander verlieren und verſchwimmen ſollen: ein getreuerer Abdruck der Natur können ſie in dieſem letztern Falle ſeyn, aber das eigentliche Denken, wel¬ ches nun einmal im Unterſcheiden beſteht, hört auf. Nun ſchlieſst ſich aber im Sprachgebrauch das Gute und Nützliche, ſo wie das Edle und Schöne, natürlich aneinander; und dieſe vier verſchiednen Aus¬ drücke bezeichnen eine ſo feine Abſtufung der Begriffe, und bilden ein ſo zartes Ideenſpiel, daſs es dem Nach¬ denken ſchwer werden muſs, das immer ineinander ſich unmerklich wieder Verlierende gehörig auseinan¬ der zu halten, und es einzeln und abgeſondert zu be¬ trachten. So viel fällt demohngeachtet deutlich in die Augen, daſs das bloſs Nützliche dem Schönen und Edlen, mehr als das Gute, entgegenſtehe; weil durch das Gute vom bloſs Nützlichen zum Schönen und Ed¬ len ſchon der Uebergang gemacht wird. Wir denken uns z. B. unter einem nützlichen Men¬ ſchen einen ſolchen, der nicht ſowohl an und für ſich ſelbſt, als vielmehr nur in Beziehung auf irgend einen Zuſammenhang von Dingen ausſer ihm, unſre Auf¬ merkſamkeit verdienet: der gute Menſch hingegen fängt ſchon an und für ſich ſelbft betrachtet, an, un¬ fre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/12
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/12>, abgerufen am 26.04.2024.