Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

mann, der darnach strebt, und also auch von mir so¬
wohl, als von meinem Vorbilde, mit dem ich zu
wetteifern suche, erreicht werden kann. Weil ich
aber diesem Vorbilde doch einmal nachstehe, und ein
gewisser Grad von edler Gesinnung und Handlungs¬
weise mir ohne dasselbe vielleicht nicht so bald, oder
gar nie denkbar geworden wäre: so nenne ich mein
Streben nach einem gemeinschaftlichen Gute, dass auch
von meinem Vorbilde erst musste errungen werden,
eine Nachahmung dieses Vorbildes.

Ich ahme meinem Vorbilde nach; ich strebe ihm
nach; ich suche mit ihm zu wetteifern. -- Durch
mein Vorbild ist mir bloss das Ziel höher, als von mir
selbst, hinaufgesteckt. Nach diesem Ziele muss ich nun,
nach meinen Kräften, auf meine Weise, streben; zu¬
letzt mein Vorbild selbst vergessen, und suchen, wenn
es möglich wäre, das Ziel noch weiter hinaus zu
stecken.

Durch diese Gesinnung muss das Nachahmen im
edlern moralischen Sinn erst seinen eigentlichen Werth
erhalten. -- Und es frägt sich nun: wie von diesem
Nachahmen im moralischen Sinn, das Nachahmen in
den schönen Künsten, oder von der Nachahmung des
Guten und Edlen, die Nachahmung des Schönen un¬
terschieden sey? --

Diese Frage muss sich alsdann von selbst beantwor¬
ten, wenn wir die Begriffe von Schön und Gut, wie¬
derum nach dem Sprachgebrauch, gehörig unterschei¬
den: denn dass dieser sie oft verwechselt, darf uns

hier
A 3

mann, der darnach ſtrebt, und alſo auch von mir ſo¬
wohl, als von meinem Vorbilde, mit dem ich zu
wetteifern ſuche, erreicht werden kann. Weil ich
aber dieſem Vorbilde doch einmal nachſtehe, und ein
gewisſer Grad von edler Geſinnung und Handlungs¬
weiſe mir ohne dasſelbe vielleicht nicht ſo bald, oder
gar nie denkbar geworden wäre: ſo nenne ich mein
Streben nach einem gemeinſchaftlichen Gute, daſs auch
von meinem Vorbilde erſt muſste errungen werden,
eine Nachahmung dieſes Vorbildes.

Ich ahme meinem Vorbilde nach; ich ſtrebe ihm
nach; ich ſuche mit ihm zu wetteifern. — Durch
mein Vorbild iſt mir bloſs das Ziel höher, als von mir
ſelbſt, hinaufgeſteckt. Nach dieſem Ziele muſs ich nun,
nach meinen Kräften, auf meine Weiſe, ſtreben; zu¬
letzt mein Vorbild ſelbſt vergeſſen, und ſuchen, wenn
es möglich wäre, das Ziel noch weiter hinaus zu
ſtecken.

Durch dieſe Geſinnung muſs das Nachahmen im
edlern moraliſchen Sinn erſt ſeinen eigentlichen Werth
erhalten. — Und es frägt ſich nun: wie von dieſem
Nachahmen im moraliſchen Sinn, das Nachahmen in
den ſchönen Künſten, oder von der Nachahmung des
Guten und Edlen, die Nachahmung des Schönen un¬
terſchieden ſey? —

Dieſe Frage muſs ſich alsdann von ſelbſt beantwor¬
ten, wenn wir die Begriffe von Schön und Gut, wie¬
derum nach dem Sprachgebrauch, gehörig unterſchei¬
den: denn daſs dieſer ſie oft verwechſelt, darf uns

hier
A 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0011" n="5"/>
mann, der darnach &#x017F;trebt, und al&#x017F;o auch von mir &#x017F;<lb/>
wohl, als von meinem Vorbilde, mit dem ich zu<lb/>
wetteifern &#x017F;uche, erreicht werden kann. Weil ich<lb/>
aber die&#x017F;em Vorbilde doch einmal nach&#x017F;tehe, und ein<lb/>
gewis&#x017F;er Grad von edler Ge&#x017F;innung und Handlungs¬<lb/>
wei&#x017F;e mir ohne das&#x017F;elbe vielleicht nicht &#x017F;o bald, oder<lb/>
gar nie denkbar geworden wäre: &#x017F;o nenne ich mein<lb/>
Streben nach einem gemein&#x017F;chaftlichen Gute, da&#x017F;s auch<lb/>
von meinem Vorbilde er&#x017F;t mu&#x017F;ste errungen werden,<lb/>
eine Nachahmung die&#x017F;es Vorbildes.</p><lb/>
      <p>Ich ahme meinem Vorbilde nach; ich &#x017F;trebe ihm<lb/>
nach; ich &#x017F;uche mit ihm zu wetteifern. &#x2014; Durch<lb/>
mein Vorbild i&#x017F;t mir blo&#x017F;s das Ziel höher, als von mir<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, hinaufge&#x017F;teckt. Nach die&#x017F;em Ziele mu&#x017F;s ich nun,<lb/>
nach meinen Kräften, auf meine Wei&#x017F;e, &#x017F;treben; zu¬<lb/>
letzt mein Vorbild &#x017F;elb&#x017F;t verge&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;uchen, wenn<lb/>
es möglich wäre, das Ziel noch weiter hinaus zu<lb/>
&#x017F;tecken.</p><lb/>
      <p>Durch die&#x017F;e Ge&#x017F;innung mu&#x017F;s das Nachahmen im<lb/>
edlern morali&#x017F;chen Sinn er&#x017F;t &#x017F;einen eigentlichen Werth<lb/>
erhalten. &#x2014; Und es frägt &#x017F;ich nun: wie von die&#x017F;em<lb/>
Nachahmen im morali&#x017F;chen Sinn, das Nachahmen in<lb/>
den &#x017F;chönen Kün&#x017F;ten, oder von der Nachahmung des<lb/>
Guten und Edlen, die Nachahmung des Schönen un¬<lb/>
ter&#x017F;chieden &#x017F;ey? &#x2014;</p><lb/>
      <p>Die&#x017F;e Frage mu&#x017F;s &#x017F;ich alsdann von &#x017F;elb&#x017F;t beantwor¬<lb/>
ten, wenn wir die Begriffe von Schön und Gut, wie¬<lb/>
derum nach dem Sprachgebrauch, gehörig unter&#x017F;chei¬<lb/>
den: denn da&#x017F;s die&#x017F;er &#x017F;ie oft verwech&#x017F;elt, darf uns<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 3<lb/></fw> <fw place="bottom" type="catch">hier<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0011] mann, der darnach ſtrebt, und alſo auch von mir ſo¬ wohl, als von meinem Vorbilde, mit dem ich zu wetteifern ſuche, erreicht werden kann. Weil ich aber dieſem Vorbilde doch einmal nachſtehe, und ein gewisſer Grad von edler Geſinnung und Handlungs¬ weiſe mir ohne dasſelbe vielleicht nicht ſo bald, oder gar nie denkbar geworden wäre: ſo nenne ich mein Streben nach einem gemeinſchaftlichen Gute, daſs auch von meinem Vorbilde erſt muſste errungen werden, eine Nachahmung dieſes Vorbildes. Ich ahme meinem Vorbilde nach; ich ſtrebe ihm nach; ich ſuche mit ihm zu wetteifern. — Durch mein Vorbild iſt mir bloſs das Ziel höher, als von mir ſelbſt, hinaufgeſteckt. Nach dieſem Ziele muſs ich nun, nach meinen Kräften, auf meine Weiſe, ſtreben; zu¬ letzt mein Vorbild ſelbſt vergeſſen, und ſuchen, wenn es möglich wäre, das Ziel noch weiter hinaus zu ſtecken. Durch dieſe Geſinnung muſs das Nachahmen im edlern moraliſchen Sinn erſt ſeinen eigentlichen Werth erhalten. — Und es frägt ſich nun: wie von dieſem Nachahmen im moraliſchen Sinn, das Nachahmen in den ſchönen Künſten, oder von der Nachahmung des Guten und Edlen, die Nachahmung des Schönen un¬ terſchieden ſey? — Dieſe Frage muſs ſich alsdann von ſelbſt beantwor¬ ten, wenn wir die Begriffe von Schön und Gut, wie¬ derum nach dem Sprachgebrauch, gehörig unterſchei¬ den: denn daſs dieſer ſie oft verwechſelt, darf uns hier A 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/11
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/11>, abgerufen am 19.04.2024.