Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

das alleräusserste wagte, und, da es ihm misslang,
ohne Bedenken seine Hand in die lodernde Flamme
streckte, ohne noch zu wissen, was sein Feind, in des¬
sen Gewalt er war, über ihn verhängen würde. --
So kann nur der handeln, welcher eine grosse That,
deren Erfolg so äusserst ungewiss ist, um dieser That
selbst willen unternimmt, wovon allein schon das
grosse Bewusstseyn ihn für jeden misslungnen Versuch
schadlos hält.

Wäre Mutius, unter andern Umständen, bloss das
Werkzeug eines Andern, dem er aus Pflicht gehorchte,
zu einer ähnlichen That gewesen, und hätte sie, mir
Beistimmung seines Herzens, vortreflich, und so wie
er sollte, ausgeführt: so hätte er zwar noch nicht
edel, aber gut gehandelt: denn obgleich seine Hand¬
lung auch schon vielen Werth in sich selber hat, so
wird doch immer ihre Güte zugleich mit durch den Er¬
folg bestimmt.

Hätte aber eben dieser Mutius den Angriff auf den
Feind seines Vaterlandes, meuchelmörderischer Weise,
aus Privatrache und persönlichem Hass gethan, und sie
wäre ihm nicht misslungen: so hätte sie seinem Vater¬
lande, ohne gut und edel zu seyn, dennoch genützt,
und hätte, ohne den mindesten innern Werth zu ha¬
ben, dennoch durch den Erfolg, eine Art von äus¬
srem Werth erhalten.

Wie nun das Gute zum Edlen, eben so muss das
Schlechte zum Unedlen sich verhalten: das Unedle ist
der Anfang des Schlechten, so wie das Gute der An¬

fang

das alleräusſerſte wagte, und, da es ihm miſslang,
ohne Bedenken ſeine Hand in die lodernde Flamme
ſtreckte, ohne noch zu wisſen, was ſein Feind, in des¬
ſen Gewalt er war, über ihn verhängen würde. —
So kann nur der handeln, welcher eine grosſe That,
deren Erfolg ſo äusſerſt ungewiſs iſt, um dieſer That
ſelbſt willen unternimmt, wovon allein ſchon das
grosſe Bewuſstſeyn ihn für jeden miſslungnen Verſuch
ſchadlos hält.

Wäre Mutius, unter andern Umſtänden, bloſs das
Werkzeug eines Andern, dem er aus Pflicht gehorchte,
zu einer ähnlichen That geweſen, und hätte ſie, mir
Beiſtimmung ſeines Herzens, vortreflich, und ſo wie
er ſollte, ausgeführt: ſo hätte er zwar noch nicht
edel, aber gut gehandelt: denn obgleich ſeine Hand¬
lung auch ſchon vielen Werth in ſich ſelber hat, ſo
wird doch immer ihre Güte zugleich mit durch den Er¬
folg beſtimmt.

Hätte aber eben dieſer Mutius den Angriff auf den
Feind ſeines Vaterlandes, meuchelmörderiſcher Weiſe,
aus Privatrache und perſönlichem Haſs gethan, und ſie
wäre ihm nicht miſslungen: ſo hätte ſie ſeinem Vater¬
lande, ohne gut und edel zu ſeyn, dennoch genützt,
und hätte, ohne den mindeſten innern Werth zu ha¬
ben, dennoch durch den Erfolg, eine Art von äus¬
ſrem Werth erhalten.

Wie nun das Gute zum Edlen, eben ſo muſs das
Schlechte zum Unedlen ſich verhalten: das Unedle iſt
der Anfang des Schlechten, ſo wie das Gute der An¬

fang
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0017" n="II"/>
das alleräus&#x017F;er&#x017F;te wagte, und, da es ihm mi&#x017F;slang,<lb/>
ohne Bedenken &#x017F;eine Hand in die lodernde Flamme<lb/>
&#x017F;treckte, ohne noch zu wis&#x017F;en, was &#x017F;ein Feind, in des¬<lb/>
&#x017F;en Gewalt er war, über ihn verhängen würde. &#x2014;<lb/>
So kann nur der handeln, welcher eine gros&#x017F;e That,<lb/>
deren Erfolg &#x017F;o äus&#x017F;er&#x017F;t ungewi&#x017F;s i&#x017F;t, um die&#x017F;er That<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t willen unternimmt, wovon allein &#x017F;chon das<lb/>
gros&#x017F;e Bewu&#x017F;st&#x017F;eyn ihn für jeden mi&#x017F;slungnen Ver&#x017F;uch<lb/>
&#x017F;chadlos hält.</p><lb/>
      <p>Wäre Mutius, unter andern Um&#x017F;tänden, blo&#x017F;s das<lb/>
Werkzeug eines Andern, dem er aus Pflicht gehorchte,<lb/>
zu einer ähnlichen That gewe&#x017F;en, und hätte &#x017F;ie, mir<lb/>
Bei&#x017F;timmung &#x017F;eines Herzens, vortreflich, und &#x017F;o wie<lb/>
er &#x017F;ollte, ausgeführt: &#x017F;o hätte er zwar noch nicht<lb/>
edel, aber gut gehandelt: denn obgleich &#x017F;eine Hand¬<lb/>
lung auch &#x017F;chon vielen Werth in &#x017F;ich &#x017F;elber hat, &#x017F;o<lb/>
wird doch immer ihre Güte zugleich mit durch den Er¬<lb/>
folg be&#x017F;timmt.</p><lb/>
      <p>Hätte aber eben die&#x017F;er Mutius den Angriff auf den<lb/>
Feind &#x017F;eines Vaterlandes, meuchelmörderi&#x017F;cher Wei&#x017F;e,<lb/>
aus Privatrache und per&#x017F;önlichem Ha&#x017F;s gethan, und &#x017F;ie<lb/>
wäre ihm nicht mi&#x017F;slungen: &#x017F;o hätte &#x017F;ie &#x017F;einem Vater¬<lb/>
lande, ohne gut und edel zu &#x017F;eyn, dennoch genützt,<lb/>
und hätte, ohne den minde&#x017F;ten innern Werth zu ha¬<lb/>
ben, dennoch durch den Erfolg, eine Art von äus¬<lb/>
&#x017F;rem Werth erhalten.</p><lb/>
      <p>Wie nun das Gute zum Edlen, eben &#x017F;o mu&#x017F;s das<lb/>
Schlechte zum Unedlen &#x017F;ich verhalten: das Unedle i&#x017F;t<lb/>
der Anfang des Schlechten, &#x017F;o wie das Gute der An¬<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fang<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[II/0017] das alleräusſerſte wagte, und, da es ihm miſslang, ohne Bedenken ſeine Hand in die lodernde Flamme ſtreckte, ohne noch zu wisſen, was ſein Feind, in des¬ ſen Gewalt er war, über ihn verhängen würde. — So kann nur der handeln, welcher eine grosſe That, deren Erfolg ſo äusſerſt ungewiſs iſt, um dieſer That ſelbſt willen unternimmt, wovon allein ſchon das grosſe Bewuſstſeyn ihn für jeden miſslungnen Verſuch ſchadlos hält. Wäre Mutius, unter andern Umſtänden, bloſs das Werkzeug eines Andern, dem er aus Pflicht gehorchte, zu einer ähnlichen That geweſen, und hätte ſie, mir Beiſtimmung ſeines Herzens, vortreflich, und ſo wie er ſollte, ausgeführt: ſo hätte er zwar noch nicht edel, aber gut gehandelt: denn obgleich ſeine Hand¬ lung auch ſchon vielen Werth in ſich ſelber hat, ſo wird doch immer ihre Güte zugleich mit durch den Er¬ folg beſtimmt. Hätte aber eben dieſer Mutius den Angriff auf den Feind ſeines Vaterlandes, meuchelmörderiſcher Weiſe, aus Privatrache und perſönlichem Haſs gethan, und ſie wäre ihm nicht miſslungen: ſo hätte ſie ſeinem Vater¬ lande, ohne gut und edel zu ſeyn, dennoch genützt, und hätte, ohne den mindeſten innern Werth zu ha¬ ben, dennoch durch den Erfolg, eine Art von äus¬ ſrem Werth erhalten. Wie nun das Gute zum Edlen, eben ſo muſs das Schlechte zum Unedlen ſich verhalten: das Unedle iſt der Anfang des Schlechten, ſo wie das Gute der An¬ fang

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/17
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788, S. II. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/17>, abgerufen am 03.12.2024.