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Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788.

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weit er kann; da einmal die reine unschuldige Be¬
schauung seinen Durst nach ausgedehntem wirklichen
Daseyn nicht ersetzen kann.

Mit dem sich angeschliffnen Stahle seines einge¬
schränkten Daseyns nicht mehr froh, strebt er, ausser
sich selber, ein grösseres Ganze, als er selbst, zu
seyn; stellt sich, zu einem Volk, zu einem Staat sich
bildend, mit Wesen seiner Art zusammen, um Wesen
seines gleichen, die sich ihm unterordnend ihm nicht
dienen, mit ihm nicht eins seyn wollen, zu zerstören. --

Er steht auf dem höchsten Punkte seiner Wirk¬
samkeit; der Krieg, die Wuth, das Feldgeschrei, das
höchste Leben, ist nah an den Grenzen seiner Zer¬
störung da. --

Kommen dann endlich die strebende Kräfte wieder
in ein glückliches Gleichgewicht; und macht die un¬
ruhige Wirksamkeit der stillen Beschauung Platz: so
muss nothwendig in dem zum erstenmal in sich ver¬
sunknen Menschen der Sinn für die umgebende Natur
erwachen, die nie zerstört, als wo sie muss, und scho¬
net, wo sie kann. -- Er lernt allmälig das Einzelne
im Ganzen, und in Beziehung auf das Ganze, sehen;
fängt die grossen Verhältnisse dunkel an zu ahnden, nach
welchen unzählige Wesen auf und ab, so wenig wie
möglich sich verdrängen, und doch so nah wie mög¬
lich an einanderstossen. --

Dann steigt in seinen ruhigsten Momenten die Ge¬
schichte der Vorwelt, das ganze wunderbare Gewebe
des Menschenlebens in alle seinen Zweigen vor ihm

auf. --
C 2

weit er kann; da einmal die reine unſchuldige Be¬
ſchauung ſeinen Durſt nach ausgedehntem wirklichen
Daſeyn nicht erſetzen kann.

Mit dem ſich angeſchliffnen Stahle ſeines einge¬
ſchränkten Daſeyns nicht mehr froh, ſtrebt er, ausſer
ſich ſelber, ein grösſeres Ganze, als er ſelbſt, zu
ſeyn; ſtellt ſich, zu einem Volk, zu einem Staat ſich
bildend, mit Weſen ſeiner Art zuſammen, um Weſen
ſeines gleichen, die ſich ihm unterordnend ihm nicht
dienen, mit ihm nicht eins ſeyn wollen, zu zerſtören. —

Er ſteht auf dem höchſten Punkte ſeiner Wirk¬
ſamkeit; der Krieg, die Wuth, das Feldgeſchrei, das
höchſte Leben, iſt nah an den Grenzen ſeiner Zer¬
ſtörung da. —

Kommen dann endlich die ſtrebende Kräfte wieder
in ein glückliches Gleichgewicht; und macht die un¬
ruhige Wirkſamkeit der ſtillen Beſchauung Platz: ſo
muſs nothwendig in dem zum erſtenmal in ſich ver¬
ſunknen Menſchen der Sinn für die umgebende Natur
erwachen, die nie zerſtört, als wo ſie muſs, und ſcho¬
net, wo ſie kann. — Er lernt allmälig das Einzelne
im Ganzen, und in Beziehung auf das Ganze, ſehen;
fängt die grosſen Verhältnisſe dunkel an zu ahnden, nach
welchen unzählige Weſen auf und ab, ſo wenig wie
möglich ſich verdrängen, und doch ſo nah wie mög¬
lich an einanderſtosſen. —

Dann ſteigt in ſeinen ruhigſten Momenten die Ge¬
ſchichte der Vorwelt, das ganze wunderbare Gewebe
des Menſchenlebens in alle ſeinen Zweigen vor ihm

auf. —
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[35/0041] weit er kann; da einmal die reine unſchuldige Be¬ ſchauung ſeinen Durſt nach ausgedehntem wirklichen Daſeyn nicht erſetzen kann. Mit dem ſich angeſchliffnen Stahle ſeines einge¬ ſchränkten Daſeyns nicht mehr froh, ſtrebt er, ausſer ſich ſelber, ein grösſeres Ganze, als er ſelbſt, zu ſeyn; ſtellt ſich, zu einem Volk, zu einem Staat ſich bildend, mit Weſen ſeiner Art zuſammen, um Weſen ſeines gleichen, die ſich ihm unterordnend ihm nicht dienen, mit ihm nicht eins ſeyn wollen, zu zerſtören. — Er ſteht auf dem höchſten Punkte ſeiner Wirk¬ ſamkeit; der Krieg, die Wuth, das Feldgeſchrei, das höchſte Leben, iſt nah an den Grenzen ſeiner Zer¬ ſtörung da. — Kommen dann endlich die ſtrebende Kräfte wieder in ein glückliches Gleichgewicht; und macht die un¬ ruhige Wirkſamkeit der ſtillen Beſchauung Platz: ſo muſs nothwendig in dem zum erſtenmal in ſich ver¬ ſunknen Menſchen der Sinn für die umgebende Natur erwachen, die nie zerſtört, als wo ſie muſs, und ſcho¬ net, wo ſie kann. — Er lernt allmälig das Einzelne im Ganzen, und in Beziehung auf das Ganze, ſehen; fängt die grosſen Verhältnisſe dunkel an zu ahnden, nach welchen unzählige Weſen auf und ab, ſo wenig wie möglich ſich verdrängen, und doch ſo nah wie mög¬ lich an einanderſtosſen. — Dann ſteigt in ſeinen ruhigſten Momenten die Ge¬ ſchichte der Vorwelt, das ganze wunderbare Gewebe des Menſchenlebens in alle ſeinen Zweigen vor ihm auf. — C 2

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/41>, abgerufen am 25.04.2024.