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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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bisher gelesen hatte, so weit, daß er ihn so oft,
und mit solchem Entzücken las, bis er ihn bei¬
nahe auswendig wußte.

Durch diese einzige so oft wiederholte zufälli¬
ge Lektüre bekam sein Geschmack in der Poesie
eine gewisse Bildung und Festigkeit, die er seit
der Zeit nicht wieder verlohren hat; so wie in
der Prose durch den Telemach; denn er fühlte
bei der schönen Banise und Insel Felsenburg,
ohngeachtet des Vergnügens, das er darin fand,
doch sehr lebhaft das Abstechende und Unedlere
in der Schreibart.

Von poetischer Prose fiel ihm Carl v. Mosers
Daniel in der Löwengrube in die Hände, den er
verschiednemale durchlas, und woraus auch sein
Vater zuweilen vorzulesen pflegte.

Die Brunnenzeit kam wieder heran, und
Antons Vater beschloß, ihn wieder mit nach P.
zu nehmen, allein dismal sollte Anton nicht so
viel Freude als im vorigen Jahre dort genießen,
denn seine Mutter reiste mit.

Ihr unaufhörliches Verbieten von Kleinig¬
keiten und beständiges Schelten und Strafen
zu unrechter Zeit, verleidete ihm alle edlern

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bisher geleſen hatte, ſo weit, daß er ihn ſo oft,
und mit ſolchem Entzuͤcken las, bis er ihn bei¬
nahe auswendig wußte.

Durch dieſe einzige ſo oft wiederholte zufaͤlli¬
ge Lektuͤre bekam ſein Geſchmack in der Poeſie
eine gewiſſe Bildung und Feſtigkeit, die er ſeit
der Zeit nicht wieder verlohren hat; ſo wie in
der Proſe durch den Telemach; denn er fuͤhlte
bei der ſchoͤnen Baniſe und Inſel Felſenburg,
ohngeachtet des Vergnuͤgens, das er darin fand,
doch ſehr lebhaft das Abſtechende und Unedlere
in der Schreibart.

Von poetiſcher Proſe fiel ihm Carl v. Moſers
Daniel in der Loͤwengrube in die Haͤnde, den er
verſchiednemale durchlas, und woraus auch ſein
Vater zuweilen vorzuleſen pflegte.

Die Brunnenzeit kam wieder heran, und
Antons Vater beſchloß, ihn wieder mit nach P.
zu nehmen, allein dismal ſollte Anton nicht ſo
viel Freude als im vorigen Jahre dort genießen,
denn ſeine Mutter reiſte mit.

Ihr unaufhoͤrliches Verbieten von Kleinig¬
keiten und beſtaͤndiges Schelten und Strafen
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[55/0065] bisher geleſen hatte, ſo weit, daß er ihn ſo oft, und mit ſolchem Entzuͤcken las, bis er ihn bei¬ nahe auswendig wußte. Durch dieſe einzige ſo oft wiederholte zufaͤlli¬ ge Lektuͤre bekam ſein Geſchmack in der Poeſie eine gewiſſe Bildung und Feſtigkeit, die er ſeit der Zeit nicht wieder verlohren hat; ſo wie in der Proſe durch den Telemach; denn er fuͤhlte bei der ſchoͤnen Baniſe und Inſel Felſenburg, ohngeachtet des Vergnuͤgens, das er darin fand, doch ſehr lebhaft das Abſtechende und Unedlere in der Schreibart. Von poetiſcher Proſe fiel ihm Carl v. Moſers Daniel in der Loͤwengrube in die Haͤnde, den er verſchiednemale durchlas, und woraus auch ſein Vater zuweilen vorzuleſen pflegte. Die Brunnenzeit kam wieder heran, und Antons Vater beſchloß, ihn wieder mit nach P. zu nehmen, allein dismal ſollte Anton nicht ſo viel Freude als im vorigen Jahre dort genießen, denn ſeine Mutter reiſte mit. Ihr unaufhoͤrliches Verbieten von Kleinig¬ keiten und beſtaͤndiges Schelten und Strafen zu unrechter Zeit, verleidete ihm alle edlern D 4

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/65>, abgerufen am 16.05.2024.