Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

unbeschreibliches Entzücken empfand, wenn er
rund um sich her jedes Auge in Thränen erblickte,
und darin den Beweiß laß, daß ihm sein End¬
zweck, durch die Sache, die er vorlaß, zu rüh¬
ren, gelungen war. --

Ueberhaupt brachte er die vergnügtesten Stun¬
den seines damaligen Lebens entweder für sich
allein, oder in diesem Cirkel, bei seinem Vetter,
dem Peruquenmacher zu, wo er gleichsam die
Herrschaft über die Geister führen, und sich zum
Mittelpunkte ihrer Aufmerksamkeit machen konn¬
te -- denn hier wurde er gehört -- hier konnte
er vorlesen, deklamiren, erzählen, und lehren
-- und er ließ sich wirklich mit den Handwerks¬
gesellen, welche dort zusammen kamen, zu¬
weilen in Dispüte über sehr wichtige Materien,
als über das Wesen der Seele, die Entstehung
der Dinge, den Weltgeist und dergleichen, ein,
wodurch er die Köpfe verwirrte -- indem er die
Aufmerksamkeit dieser Leute auf Dinge lenkte,
an die sie in ihrem Leben nicht gedacht hatten --

Mit einem Schneidergesellen insbesondre, der
anfing, an seinen Grübeleien Gefallen zu finden,
unterhielt er sich oft Stundenlang -- über die

K

unbeſchreibliches Entzuͤcken empfand, wenn er
rund um ſich her jedes Auge in Thraͤnen erblickte,
und darin den Beweiß laß, daß ihm ſein End¬
zweck, durch die Sache, die er vorlaß, zu ruͤh¬
ren, gelungen war. —

Ueberhaupt brachte er die vergnuͤgteſten Stun¬
den ſeines damaligen Lebens entweder fuͤr ſich
allein, oder in dieſem Cirkel, bei ſeinem Vetter,
dem Peruquenmacher zu, wo er gleichſam die
Herrſchaft uͤber die Geiſter fuͤhren, und ſich zum
Mittelpunkte ihrer Aufmerkſamkeit machen konn¬
te — denn hier wurde er gehoͤrt — hier konnte
er vorleſen, deklamiren, erzaͤhlen, und lehren
— und er ließ ſich wirklich mit den Handwerks¬
geſellen, welche dort zuſammen kamen, zu¬
weilen in Diſpuͤte uͤber ſehr wichtige Materien,
als uͤber das Weſen der Seele, die Entſtehung
der Dinge, den Weltgeiſt und dergleichen, ein,
wodurch er die Koͤpfe verwirrte — indem er die
Aufmerkſamkeit dieſer Leute auf Dinge lenkte,
an die ſie in ihrem Leben nicht gedacht hatten —

Mit einem Schneidergeſellen insbeſondre, der
anfing, an ſeinen Gruͤbeleien Gefallen zu finden,
unterhielt er ſich oft Stundenlang — uͤber die

K
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0155" n="145"/>
unbe&#x017F;chreibliches Entzu&#x0364;cken empfand, wenn er<lb/>
rund um &#x017F;ich her jedes Auge in Thra&#x0364;nen erblickte,<lb/>
und darin den Beweiß laß, daß ihm &#x017F;ein End¬<lb/>
zweck, durch die Sache, die er vorlaß, zu ru&#x0364;<lb/>
ren, gelungen war. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Ueberhaupt brachte er die vergnu&#x0364;gte&#x017F;ten Stun¬<lb/>
den &#x017F;eines damaligen Lebens entweder fu&#x0364;r &#x017F;ich<lb/>
allein, oder in die&#x017F;em Cirkel, bei &#x017F;einem Vetter,<lb/>
dem Peruquenmacher zu, wo er gleich&#x017F;am die<lb/>
Herr&#x017F;chaft u&#x0364;ber die Gei&#x017F;ter fu&#x0364;hren, und &#x017F;ich zum<lb/>
Mittelpunkte ihrer Aufmerk&#x017F;amkeit machen konn¬<lb/>
te &#x2014; denn hier wurde er geho&#x0364;rt &#x2014; hier konnte<lb/>
er vorle&#x017F;en, deklamiren, erza&#x0364;hlen, und lehren<lb/>
&#x2014; und er ließ &#x017F;ich wirklich mit den Handwerks¬<lb/>
ge&#x017F;ellen, welche dort zu&#x017F;ammen kamen, zu¬<lb/>
weilen in Di&#x017F;pu&#x0364;te u&#x0364;ber &#x017F;ehr wichtige Materien,<lb/>
als u&#x0364;ber das We&#x017F;en der Seele, die Ent&#x017F;tehung<lb/>
der Dinge, den Weltgei&#x017F;t und dergleichen, ein,<lb/>
wodurch er die Ko&#x0364;pfe verwirrte &#x2014; indem er die<lb/>
Aufmerk&#x017F;amkeit die&#x017F;er Leute auf Dinge lenkte,<lb/>
an die &#x017F;ie in ihrem Leben nicht gedacht hatten &#x2014;</p><lb/>
      <p>Mit einem Schneiderge&#x017F;ellen insbe&#x017F;ondre, der<lb/>
anfing, an &#x017F;einen Gru&#x0364;beleien Gefallen zu finden,<lb/>
unterhielt er &#x017F;ich oft Stundenlang &#x2014; u&#x0364;ber die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0155] unbeſchreibliches Entzuͤcken empfand, wenn er rund um ſich her jedes Auge in Thraͤnen erblickte, und darin den Beweiß laß, daß ihm ſein End¬ zweck, durch die Sache, die er vorlaß, zu ruͤh¬ ren, gelungen war. — Ueberhaupt brachte er die vergnuͤgteſten Stun¬ den ſeines damaligen Lebens entweder fuͤr ſich allein, oder in dieſem Cirkel, bei ſeinem Vetter, dem Peruquenmacher zu, wo er gleichſam die Herrſchaft uͤber die Geiſter fuͤhren, und ſich zum Mittelpunkte ihrer Aufmerkſamkeit machen konn¬ te — denn hier wurde er gehoͤrt — hier konnte er vorleſen, deklamiren, erzaͤhlen, und lehren — und er ließ ſich wirklich mit den Handwerks¬ geſellen, welche dort zuſammen kamen, zu¬ weilen in Diſpuͤte uͤber ſehr wichtige Materien, als uͤber das Weſen der Seele, die Entſtehung der Dinge, den Weltgeiſt und dergleichen, ein, wodurch er die Koͤpfe verwirrte — indem er die Aufmerkſamkeit dieſer Leute auf Dinge lenkte, an die ſie in ihrem Leben nicht gedacht hatten — Mit einem Schneidergeſellen insbeſondre, der anfing, an ſeinen Gruͤbeleien Gefallen zu finden, unterhielt er ſich oft Stundenlang — uͤber die K

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/155
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/155>, abgerufen am 21.11.2024.