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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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ordentlichen jungen Menschen hätte umschaffen
können, wäre eine einzige wohlangewandte Be¬
mühung seiner Lehrer gewesen, ihn bei seinen Mit¬
schülern wieder in Achtung zu setzen. Und das
hätten sie durch eine etwas nähere Prüfung sei¬
ner Fähigkeiten, und ein wenig mehr Aufmerk¬
samkeit auf ihn sehr leicht bewirken können. --

So verstrich nun dieser Winter für ihn
höchst traurig -- seine kleine Oekonomie war
gänzlich zerrüttet -- er hatte sich in seinem schlech¬
ten Aufzuge nicht getraut, sein monathliches
Geld von dem Prinz zu hohlen. -- Bei dem Bü¬
cherantiquarius, war er für seine Einkünfte tief
in Schulden gerathen -- auch hatte er seine übri¬
gen nothwendigsten Bedürfnisse an Wäsche und
Schuhen, von den wenigen Groschen, die er wö¬
chentlich einnahm, und dem Chorgelde, das er
erhielt, nicht bestreiten können, da er überdem
dem Bücherantiquarius alles zubrachte.

Unter diesen Umständen reißte er in den
Osterferien zu seinen Eltern, wo er den Degen
ansteckte, mit dem er sich im Philotas erstochen
hatte -- und nun seinen Brüdern täglich diese
Rolle noch einmal vorspielte -- sich auch von sei¬

ordentlichen jungen Menſchen haͤtte umſchaffen
koͤnnen, waͤre eine einzige wohlangewandte Be¬
muͤhung ſeiner Lehrer geweſen, ihn bei ſeinen Mit¬
ſchuͤlern wieder in Achtung zu ſetzen. Und das
haͤtten ſie durch eine etwas naͤhere Pruͤfung ſei¬
ner Faͤhigkeiten, und ein wenig mehr Aufmerk¬
ſamkeit auf ihn ſehr leicht bewirken koͤnnen. —

So verſtrich nun dieſer Winter fuͤr ihn
hoͤchſt traurig — ſeine kleine Oekonomie war
gaͤnzlich zerruͤttet — er hatte ſich in ſeinem ſchlech¬
ten Aufzuge nicht getraut, ſein monathliches
Geld von dem Prinz zu hohlen. — Bei dem Buͤ¬
cherantiquarius, war er fuͤr ſeine Einkuͤnfte tief
in Schulden gerathen — auch hatte er ſeine uͤbri¬
gen nothwendigſten Beduͤrfniſſe an Waͤſche und
Schuhen, von den wenigen Groſchen, die er woͤ¬
chentlich einnahm, und dem Chorgelde, das er
erhielt, nicht beſtreiten koͤnnen, da er uͤberdem
dem Buͤcherantiquarius alles zubrachte.

Unter dieſen Umſtaͤnden reißte er in den
Oſterferien zu ſeinen Eltern, wo er den Degen
anſteckte, mit dem er ſich im Philotas erſtochen
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[154/0164] ordentlichen jungen Menſchen haͤtte umſchaffen koͤnnen, waͤre eine einzige wohlangewandte Be¬ muͤhung ſeiner Lehrer geweſen, ihn bei ſeinen Mit¬ ſchuͤlern wieder in Achtung zu ſetzen. Und das haͤtten ſie durch eine etwas naͤhere Pruͤfung ſei¬ ner Faͤhigkeiten, und ein wenig mehr Aufmerk¬ ſamkeit auf ihn ſehr leicht bewirken koͤnnen. — So verſtrich nun dieſer Winter fuͤr ihn hoͤchſt traurig — ſeine kleine Oekonomie war gaͤnzlich zerruͤttet — er hatte ſich in ſeinem ſchlech¬ ten Aufzuge nicht getraut, ſein monathliches Geld von dem Prinz zu hohlen. — Bei dem Buͤ¬ cherantiquarius, war er fuͤr ſeine Einkuͤnfte tief in Schulden gerathen — auch hatte er ſeine uͤbri¬ gen nothwendigſten Beduͤrfniſſe an Waͤſche und Schuhen, von den wenigen Groſchen, die er woͤ¬ chentlich einnahm, und dem Chorgelde, das er erhielt, nicht beſtreiten koͤnnen, da er uͤberdem dem Buͤcherantiquarius alles zubrachte. Unter dieſen Umſtaͤnden reißte er in den Oſterferien zu ſeinen Eltern, wo er den Degen anſteckte, mit dem er ſich im Philotas erſtochen hatte — und nun ſeinen Bruͤdern taͤglich dieſe Rolle noch einmal vorſpielte — ſich auch von ſei¬

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/164>, abgerufen am 24.11.2024.