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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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wichtigen Schritte, und war mit sich selber un¬
zufrieden, daß er nicht noch weit gerührter war;
aber die Blicke der Frau des Garnisonküsters wa¬
ren es, welche alle sanfte und angenehme Empfin¬
dungen aus seinem Herzen weggescheucht hatten.

Er konnte sich doch nicht recht freuen, weil
niemand war, der an seiner Freude recht nahen
Antheil nahm, weil er dachte, daß er auch selbst
an diesem Tage an fremden Tischen essen mußte.
Da er indes in die Kirche kam, und nun vor den
Altar trat, und oben an in der Reihe stand, so
erwärmete das alles zwar wieder seine Phantasie
-- aber es war doch lange das nicht, was er sich
versprochen hatte. -- Und gerade das wichtig¬
ste und feierlichste, die Ablegung des Glaubens¬
bekenntnisses, welches einer im Nahmen der übri¬
gen thun mußte, kam nicht an ihn, und er hatte
sich doch schon viele Tage vorher auf Miene, Be¬
wegung, und Ton geübt, womit er es ablegen
wollte.

Er dachte, der Pastor M... würde ihn etwa
den Nachmittag zu sich kommen lassen, aber er
ließ ihn nicht zu sich kommen -- und während,
daß seine Mitschüler nun zu Hause giengen, und

wichtigen Schritte, und war mit ſich ſelber un¬
zufrieden, daß er nicht noch weit geruͤhrter war;
aber die Blicke der Frau des Garniſonkuͤſters wa¬
ren es, welche alle ſanfte und angenehme Empfin¬
dungen aus ſeinem Herzen weggeſcheucht hatten.

Er konnte ſich doch nicht recht freuen, weil
niemand war, der an ſeiner Freude recht nahen
Antheil nahm, weil er dachte, daß er auch ſelbſt
an dieſem Tage an fremden Tiſchen eſſen mußte.
Da er indes in die Kirche kam, und nun vor den
Altar trat, und oben an in der Reihe ſtand, ſo
erwaͤrmete das alles zwar wieder ſeine Phantaſie
— aber es war doch lange das nicht, was er ſich
verſprochen hatte. — Und gerade das wichtig¬
ſte und feierlichſte, die Ablegung des Glaubens¬
bekenntniſſes, welches einer im Nahmen der uͤbri¬
gen thun mußte, kam nicht an ihn, und er hatte
ſich doch ſchon viele Tage vorher auf Miene, Be¬
wegung, und Ton geuͤbt, womit er es ablegen
wollte.

Er dachte, der Paſtor M... wuͤrde ihn etwa
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[29/0039] wichtigen Schritte, und war mit ſich ſelber un¬ zufrieden, daß er nicht noch weit geruͤhrter war; aber die Blicke der Frau des Garniſonkuͤſters wa¬ ren es, welche alle ſanfte und angenehme Empfin¬ dungen aus ſeinem Herzen weggeſcheucht hatten. Er konnte ſich doch nicht recht freuen, weil niemand war, der an ſeiner Freude recht nahen Antheil nahm, weil er dachte, daß er auch ſelbſt an dieſem Tage an fremden Tiſchen eſſen mußte. Da er indes in die Kirche kam, und nun vor den Altar trat, und oben an in der Reihe ſtand, ſo erwaͤrmete das alles zwar wieder ſeine Phantaſie — aber es war doch lange das nicht, was er ſich verſprochen hatte. — Und gerade das wichtig¬ ſte und feierlichſte, die Ablegung des Glaubens¬ bekenntniſſes, welches einer im Nahmen der uͤbri¬ gen thun mußte, kam nicht an ihn, und er hatte ſich doch ſchon viele Tage vorher auf Miene, Be¬ wegung, und Ton geuͤbt, womit er es ablegen wollte. Er dachte, der Paſtor M... wuͤrde ihn etwa den Nachmittag zu ſich kommen laſſen, aber er ließ ihn nicht zu ſich kommen — und waͤhrend, daß ſeine Mitſchuͤler nun zu Hauſe giengen, und

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/39>, abgerufen am 21.11.2024.