Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite
"Die stärker und vollkommner sind, als
ich,

"Warum soll ich des Mitleids Stimme
hören,

"Und weinen schändlich über mich? --"

Da er nun also dem hohnlachenden Cirkel
seiner Mitschüler entflohn war -- so schweifte er
in der einsamen Gegend umher und entfernte
sich immer weiter von der Stadt, ohne ein Ziel
zu haben, wohin er seine Schritte richtete. --
Er ging immer querfeldein bis es dunkel wurde
-- da kam er an einen breiten Weg, der zu ei¬
nem Dorfe führte, das er vor sich liegen sahe --
der Himmel fing an, sich immer düstrer zu um¬
ziehn, und drohte Regenwetter -- die Raben
fingen an zu krächzen, und zwei, die immer über
seinem Kopfe hinflogen, schienen ihm das Geleite
zu geben -- bis er an den kleinen engen Kirch¬
hof des Dörfchens kam, welcher gleich vorne an
lag, und mit unordentlich übereinandergelegten
Steinen eingefaßt war, die eine Art von Mauer
vorstellen sollten. -- Die Kirche mit dem kleinen
spitzen Thurme, der mit Schindeln gedeckt war,

P 2
„Die ſtaͤrker und vollkommner ſind, als
ich,

„Warum ſoll ich des Mitleids Stimme
hoͤren,

„Und weinen ſchaͤndlich uͤber mich? —“

Da er nun alſo dem hohnlachenden Cirkel
ſeiner Mitſchuͤler entflohn war — ſo ſchweifte er
in der einſamen Gegend umher und entfernte
ſich immer weiter von der Stadt, ohne ein Ziel
zu haben, wohin er ſeine Schritte richtete. —
Er ging immer querfeldein bis es dunkel wurde
— da kam er an einen breiten Weg, der zu ei¬
nem Dorfe fuͤhrte, das er vor ſich liegen ſahe —
der Himmel fing an, ſich immer duͤſtrer zu um¬
ziehn, und drohte Regenwetter — die Raben
fingen an zu kraͤchzen, und zwei, die immer uͤber
ſeinem Kopfe hinflogen, ſchienen ihm das Geleite
zu geben — bis er an den kleinen engen Kirch¬
hof des Doͤrfchens kam, welcher gleich vorne an
lag, und mit unordentlich uͤbereinandergelegten
Steinen eingefaßt war, die eine Art von Mauer
vorſtellen ſollten. — Die Kirche mit dem kleinen
ſpitzen Thurme, der mit Schindeln gedeckt war,

P 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <lg type="poem">
        <pb facs="#f0237" n="227"/>
        <l>&#x201E;Die &#x017F;ta&#x0364;rker und vollkommner &#x017F;ind, als<lb/><hi rendition="#et">ich,</hi></l><lb/>
        <l>&#x201E;Warum &#x017F;oll ich des Mitleids Stimme<lb/><hi rendition="#et">ho&#x0364;ren,</hi></l><lb/>
        <l>&#x201E;Und weinen &#x017F;cha&#x0364;ndlich u&#x0364;ber mich? &#x2014;&#x201C;</l><lb/>
      </lg>
      <p>Da er nun al&#x017F;o dem hohnlachenden Cirkel<lb/>
&#x017F;einer Mit&#x017F;chu&#x0364;ler entflohn war &#x2014; &#x017F;o &#x017F;chweifte er<lb/>
in der ein&#x017F;amen Gegend umher und entfernte<lb/>
&#x017F;ich immer weiter von der Stadt, ohne ein Ziel<lb/>
zu haben, wohin er &#x017F;eine Schritte richtete. &#x2014;<lb/>
Er ging immer querfeldein bis es dunkel wurde<lb/>
&#x2014; da kam er an einen breiten Weg, der zu ei¬<lb/>
nem Dorfe fu&#x0364;hrte, das er vor &#x017F;ich liegen &#x017F;ahe &#x2014;<lb/>
der Himmel fing an, &#x017F;ich immer du&#x0364;&#x017F;trer zu um¬<lb/>
ziehn, und drohte Regenwetter &#x2014; die Raben<lb/>
fingen an zu kra&#x0364;chzen, und zwei, die immer u&#x0364;ber<lb/>
&#x017F;einem Kopfe hinflogen, &#x017F;chienen ihm das Geleite<lb/>
zu geben &#x2014; bis er an den kleinen engen Kirch¬<lb/>
hof des Do&#x0364;rfchens kam, welcher gleich vorne an<lb/>
lag, und mit unordentlich u&#x0364;bereinandergelegten<lb/>
Steinen eingefaßt war, die eine Art von Mauer<lb/>
vor&#x017F;tellen &#x017F;ollten. &#x2014; Die Kirche mit dem kleinen<lb/>
&#x017F;pitzen Thurme, der mit Schindeln gedeckt war,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P 2<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0237] „Die ſtaͤrker und vollkommner ſind, als ich, „Warum ſoll ich des Mitleids Stimme hoͤren, „Und weinen ſchaͤndlich uͤber mich? —“ Da er nun alſo dem hohnlachenden Cirkel ſeiner Mitſchuͤler entflohn war — ſo ſchweifte er in der einſamen Gegend umher und entfernte ſich immer weiter von der Stadt, ohne ein Ziel zu haben, wohin er ſeine Schritte richtete. — Er ging immer querfeldein bis es dunkel wurde — da kam er an einen breiten Weg, der zu ei¬ nem Dorfe fuͤhrte, das er vor ſich liegen ſahe — der Himmel fing an, ſich immer duͤſtrer zu um¬ ziehn, und drohte Regenwetter — die Raben fingen an zu kraͤchzen, und zwei, die immer uͤber ſeinem Kopfe hinflogen, ſchienen ihm das Geleite zu geben — bis er an den kleinen engen Kirch¬ hof des Doͤrfchens kam, welcher gleich vorne an lag, und mit unordentlich uͤbereinandergelegten Steinen eingefaßt war, die eine Art von Mauer vorſtellen ſollten. — Die Kirche mit dem kleinen ſpitzen Thurme, der mit Schindeln gedeckt war, P 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/237
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/237>, abgerufen am 21.11.2024.