Messiade zusammen lasen, so machte sich Reiser wieder auf den Weg, und N... begleitete ihn noch eine ganze Strecke hin, bis es dunkel wurde.
Da umarmten sie sich, und nahmen auf die rührendste Weise von einander Abschied, indem sie sich bei diesem Abschiede zum erstenmal Bru¬ der nannten. Reiser riß sich loß, und eilte schnell fort, indem er seinem Freunde zurief: nun reit zurück!
Als er aber schon in einiger Entfernung war, sah er sich wieder um, und rief noch einmal: gute Nacht! Sobald er dieß Wort gesagt hatte, war es ihm fatal, und er ärgerte sich darüber, so oft es ihm wieder einfiel. Denn die ganze empfindsame Scene hatte selbst in der Erinnerung dadurch einen Stoß erlitten, weil es komisch klingt, einem, den man auf lange Zeit oder vielleicht auf immer schon lebe wohl ge¬ sagt hat, nun noch einmal ordentlich eine gute Nacht zu wünschen, gleichsam als wenn man am andern Morgen wieder einen Besuch bei ihm ablegen würde. --
Es war eine schneidende Kälte. Reiser aber wanderte nun, ohne irgend eine Bürde zu tra¬
Meſſiade zuſammen laſen, ſo machte ſich Reiſer wieder auf den Weg, und N... begleitete ihn noch eine ganze Strecke hin, bis es dunkel wurde.
Da umarmten ſie ſich, und nahmen auf die ruͤhrendſte Weiſe von einander Abſchied, indem ſie ſich bei dieſem Abſchiede zum erſtenmal Bru¬ der nannten. Reiſer riß ſich loß, und eilte ſchnell fort, indem er ſeinem Freunde zurief: nun reit zuruͤck!
Als er aber ſchon in einiger Entfernung war, ſah er ſich wieder um, und rief noch einmal: gute Nacht! Sobald er dieß Wort geſagt hatte, war es ihm fatal, und er aͤrgerte ſich daruͤber, ſo oft es ihm wieder einfiel. Denn die ganze empfindſame Scene hatte ſelbſt in der Erinnerung dadurch einen Stoß erlitten, weil es komiſch klingt, einem, den man auf lange Zeit oder vielleicht auf immer ſchon lebe wohl ge¬ ſagt hat, nun noch einmal ordentlich eine gute Nacht zu wuͤnſchen, gleichſam als wenn man am andern Morgen wieder einen Beſuch bei ihm ablegen wuͤrde. —
Es war eine ſchneidende Kaͤlte. Reiſer aber wanderte nun, ohne irgend eine Buͤrde zu tra¬
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0210"n="196"/>
Meſſiade zuſammen laſen, ſo machte ſich Reiſer<lb/>
wieder auf den Weg, und N... begleitete ihn<lb/>
noch eine ganze Strecke hin, bis es dunkel wurde.<lb/></p><p>Da umarmten ſie ſich, und nahmen auf die<lb/>
ruͤhrendſte Weiſe von einander Abſchied, indem<lb/>ſie ſich bei dieſem Abſchiede zum erſtenmal Bru¬<lb/>
der nannten. Reiſer riß ſich loß, und eilte<lb/>ſchnell fort, indem er ſeinem Freunde zurief: nun<lb/>
reit zuruͤck!</p><lb/><p>Als er aber ſchon in einiger Entfernung war,<lb/>ſah er ſich wieder um, und rief noch einmal:<lb/><hirendition="#fr">gute Nacht</hi>! Sobald er dieß Wort geſagt<lb/>
hatte, war es ihm fatal, und er aͤrgerte ſich<lb/>
daruͤber, ſo oft es ihm wieder einfiel. Denn<lb/>
die ganze empfindſame Scene hatte ſelbſt in der<lb/>
Erinnerung dadurch einen Stoß erlitten, weil<lb/>
es komiſch klingt, einem, den man auf lange<lb/>
Zeit oder vielleicht auf immer ſchon lebe wohl ge¬<lb/>ſagt hat, nun noch einmal ordentlich eine gute<lb/>
Nacht zu wuͤnſchen, gleichſam als wenn man<lb/>
am andern Morgen wieder einen Beſuch bei ihm<lb/>
ablegen wuͤrde. —</p><lb/><p>Es war eine ſchneidende Kaͤlte. Reiſer aber<lb/>
wanderte nun, ohne irgend eine Buͤrde zu tra¬<lb/></p></body></text></TEI>
[196/0210]
Meſſiade zuſammen laſen, ſo machte ſich Reiſer
wieder auf den Weg, und N... begleitete ihn
noch eine ganze Strecke hin, bis es dunkel wurde.
Da umarmten ſie ſich, und nahmen auf die
ruͤhrendſte Weiſe von einander Abſchied, indem
ſie ſich bei dieſem Abſchiede zum erſtenmal Bru¬
der nannten. Reiſer riß ſich loß, und eilte
ſchnell fort, indem er ſeinem Freunde zurief: nun
reit zuruͤck!
Als er aber ſchon in einiger Entfernung war,
ſah er ſich wieder um, und rief noch einmal:
gute Nacht! Sobald er dieß Wort geſagt
hatte, war es ihm fatal, und er aͤrgerte ſich
daruͤber, ſo oft es ihm wieder einfiel. Denn
die ganze empfindſame Scene hatte ſelbſt in der
Erinnerung dadurch einen Stoß erlitten, weil
es komiſch klingt, einem, den man auf lange
Zeit oder vielleicht auf immer ſchon lebe wohl ge¬
ſagt hat, nun noch einmal ordentlich eine gute
Nacht zu wuͤnſchen, gleichſam als wenn man
am andern Morgen wieder einen Beſuch bei ihm
ablegen wuͤrde. —
Es war eine ſchneidende Kaͤlte. Reiſer aber
wanderte nun, ohne irgend eine Buͤrde zu tra¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/210>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.