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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796.

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Ein Kammerherr oder Kammerdiener, wel-
cher treuherzig glaubt, dass sein Fürst über die
den gemeinen Mann bindende Gesetze erhaben;
dass bey Ihm Ehebruch und Hurerey kein La-
ster noch Sünde, sondern höchstens eine leicht
verzeihliche menschliche Schwachheit sey, wird
sich, ohne mit Haaren dazu gezogen zu wer-
den, zum Kuppler und Mäckler gebrauchen las-
sen, wenn die Wahl seines Serenissimi auch
sein eigenes Weib oder Tochter träfe. So vie-
ler anderer ähnlicher Fälle, die auf Rechnung ir-
riger Einsicht gesezt werden müssen, nicht zu
gedenken.


Die Geschichte der Lehre vom Gehorsam
überhaupt ist innigst verwoben mit der uns noch
viel zu unbekannten, dunkeln, zweifelvollen,
räthselhaften Geschichte der Menschheit, wo
Wahrheiten und Muthmassungen noch so un-
gesondert beysammen liegen wie das Chaos bey
Schöpfung der Erde; wo der schärfste Denker
bey jedem Schritt immer Abgründe vor sich
sieht, die er zwar durch künstliche Brücken
von Hypothesen zu verbinden, und sich Bahn
und Zusammenhang zu machen sucht, wo aber
das feste Land durch neue Klüfte stets wieder

Ein Kammerherr oder Kammerdiener, wel-
cher treuherzig glaubt, daſs sein Fürst über die
den gemeinen Mann bindende Gesetze erhaben;
daſs bey Ihm Ehebruch und Hurerey kein La-
ster noch Sünde, sondern höchstens eine leicht
verzeihliche menschliche Schwachheit sey, wird
sich, ohne mit Haaren dazu gezogen zu wer-
den, zum Kuppler und Mäckler gebrauchen las-
sen, wenn die Wahl seines Serenissimi auch
sein eigenes Weib oder Tochter träfe. So vie-
ler anderer ähnlicher Fälle, die auf Rechnung ir-
riger Einsicht gesezt werden müssen, nicht zu
gedenken.


Die Geschichte der Lehre vom Gehorsam
überhaupt ist innigst verwoben mit der uns noch
viel zu unbekannten, dunkeln, zweifelvollen,
räthselhaften Geschichte der Menschheit, wo
Wahrheiten und Muthmaſsungen noch so un-
gesondert beysammen liegen wie das Chaos bey
Schöpfung der Erde; wo der schärfste Denker
bey jedem Schritt immer Abgründe vor sich
sieht, die er zwar durch künstliche Brücken
von Hypothesen zu verbinden, und sich Bahn
und Zusammenhang zu machen sucht, wo aber
das feste Land durch neue Klüfte stets wieder

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[89/0095] Ein Kammerherr oder Kammerdiener, wel- cher treuherzig glaubt, daſs sein Fürst über die den gemeinen Mann bindende Gesetze erhaben; daſs bey Ihm Ehebruch und Hurerey kein La- ster noch Sünde, sondern höchstens eine leicht verzeihliche menschliche Schwachheit sey, wird sich, ohne mit Haaren dazu gezogen zu wer- den, zum Kuppler und Mäckler gebrauchen las- sen, wenn die Wahl seines Serenissimi auch sein eigenes Weib oder Tochter träfe. So vie- ler anderer ähnlicher Fälle, die auf Rechnung ir- riger Einsicht gesezt werden müssen, nicht zu gedenken. Die Geschichte der Lehre vom Gehorsam überhaupt ist innigst verwoben mit der uns noch viel zu unbekannten, dunkeln, zweifelvollen, räthselhaften Geschichte der Menschheit, wo Wahrheiten und Muthmaſsungen noch so un- gesondert beysammen liegen wie das Chaos bey Schöpfung der Erde; wo der schärfste Denker bey jedem Schritt immer Abgründe vor sich sieht, die er zwar durch künstliche Brücken von Hypothesen zu verbinden, und sich Bahn und Zusammenhang zu machen sucht, wo aber das feste Land durch neue Klüfte stets wieder

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Zitationshilfe: Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796/95>, abgerufen am 29.04.2024.