Die Kunst, wahrscheinlicher zu lügen, als selbst die Wahrheit spricht;
und so erwächst dann die unseelige, sich alles zu gut haltende und erlaubende, sich über al- les hinwegsetzende jezt höfische so genannte Zufriedenheit mit sich selbst, welche die alten groben Theologen voriger Generationen Fühllosigkeit, Verhärtung, Verstockung nannten.
So war es vor Zeiten nicht. Die Könige und Fürsten hielten noch mehr auf ihren moralischen guten Nahmen, sie fragten noch mehr nach dem Urtheil der grossen Welt, sie respectirten noch die Stimme ihres eigenen Volks; sie waren we- niger gleichgültig gegen dessen Liebe und Ach- tung, weniger gleichgültig gegen die Meinung und Hochschätzung ihrer Mit-Fürsten, sie schämten sich noch. Wie hat sich noch, um nur bey diesem einigen Beyspiel stehen zu blei- ben, Kayser Maximilian I. über die auf ihn un- ter dem Nahmen: Die Nachtigall, erschienene Spottschrift gegrämt; wie hat er sichs angele- gen seyn lassen, seinen guten Nahmen und Eh- re vor aller Welt zu vertheidigen; mit was für unzähliger Mühe hat er gesucht, den Ur- heber dieser Spottschrift zu entdecken?
Die Kunst, wahrscheinlicher zu lügen, als selbst die Wahrheit spricht;
und so erwächst dann die unseelige, sich alles zu gut haltende und erlaubende, sich über al- les hinwegsetzende jezt höfische so genannte Zufriedenheit mit sich selbst, welche die alten groben Theologen voriger Generationen Fühllosigkeit, Verhärtung, Verstockung nannten.
So war es vor Zeiten nicht. Die Könige und Fürsten hielten noch mehr auf ihren moralischen guten Nahmen, sie fragten noch mehr nach dem Urtheil der groſsen Welt, sie respectirten noch die Stimme ihres eigenen Volks; sie waren we- niger gleichgültig gegen dessen Liebe und Ach- tung, weniger gleichgültig gegen die Meinung und Hochschätzung ihrer Mit-Fürsten, sie schämten sich noch. Wie hat sich noch, um nur bey diesem einigen Beyspiel stehen zu blei- ben, Kayser Maximilian I. über die auf ihn un- ter dem Nahmen: Die Nachtigall, erschienene Spottschrift gegrämt; wie hat er sichs angele- gen seyn lassen, seinen guten Nahmen und Eh- re vor aller Welt zu vertheidigen; mit was für unzähliger Mühe hat er gesucht, den Ur- heber dieser Spottschrift zu entdecken?
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Die Kunst, wahrscheinlicher zu lügen, als
selbst die Wahrheit spricht;
und so erwächst dann die unseelige, sich alles
zu gut haltende und erlaubende, sich über al-
les hinwegsetzende jezt höfische so genannte
Zufriedenheit mit sich selbst, welche die
alten groben Theologen voriger Generationen
Fühllosigkeit, Verhärtung, Verstockung nannten.
So war es vor Zeiten nicht. Die Könige und
Fürsten hielten noch mehr auf ihren moralischen
guten Nahmen, sie fragten noch mehr nach dem
Urtheil der groſsen Welt, sie respectirten noch
die Stimme ihres eigenen Volks; sie waren we-
niger gleichgültig gegen dessen Liebe und Ach-
tung, weniger gleichgültig gegen die Meinung
und Hochschätzung ihrer Mit-Fürsten, sie
schämten sich noch. Wie hat sich noch, um
nur bey diesem einigen Beyspiel stehen zu blei-
ben, Kayser Maximilian I. über die auf ihn un-
ter dem Nahmen: Die Nachtigall, erschienene
Spottschrift gegrämt; wie hat er sichs angele-
gen seyn lassen, seinen guten Nahmen und Eh-
re vor aller Welt zu vertheidigen; mit was
für unzähliger Mühe hat er gesucht, den Ur-
heber dieser Spottschrift zu entdecken?
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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/195>, abgerufen am 21.11.2024.
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