ruhenden Vorfahren bey sich selbst sprechen mag: Sit Divus, dummodo non sit vivus.
Vor zweyhundert Jahren begnügte man sich, von einem verstorbenen Chur- und Fürsten zu sagen: Unser lieber, oder frommer, seeliger Herr; denn damahls waren viele von ihnen noch lieb und fromm: Im vorigen Jahrhundert wurden sie höchstseelig gemacht; heut zu Tag heissen sie: Unser in Gott ruhender Herr Vater, oder Oheim, höchstseeliger Ge- dächtniss, oder glorwürdigen Andenkens; ohngeachtet alle Welt glaubt, dass der Verstor- bene an ganz einem anderm Ort als in Gott ruhen mag, und sein Andenken, der Wahrheit nach, eher schandreich als glorreich genannt zu werden verdiente *).
Noch tief in das jezige Jahrhundert hinein wusste man von nichts anders, als von Für- sten-Hut und Fürsten-Stuhl; heut zu Tag ists Fürsten-Crone und Fürsten-Thron; kein Wunder also, dass die Reichsgrafen ebenfalls
nach-
*) Wer daran zweifelt, kann sich aus den alten Canzley- Formular-Büchern des sechszehenden Jahrhunderts und aus den zu Ende des vorigen Säculi erschienenen zween Folianten von Spatens Deutschen Secretariat-Kunst zur Genüge überzeugen.
ruhenden Vorfahren bey sich selbst sprechen mag: Sit Divus, dummodo non sit vivus.
Vor zweyhundert Jahren begnügte man sich, von einem verstorbenen Chur- und Fürsten zu sagen: Unser lieber, oder frommer, seeliger Herr; denn damahls waren viele von ihnen noch lieb und fromm: Im vorigen Jahrhundert wurden sie höchstseelig gemacht; heut zu Tag heissen sie: Unser in Gott ruhender Herr Vater, oder Oheim, höchstseeliger Ge- dächtniſs, oder glorwürdigen Andenkens; ohngeachtet alle Welt glaubt, daſs der Verstor- bene an ganz einem anderm Ort als in Gott ruhen mag, und sein Andenken, der Wahrheit nach, eher schandreich als glorreich genannt zu werden verdiente *).
Noch tief in das jezige Jahrhundert hinein wuſste man von nichts anders, als von Für- sten-Hut und Fürsten-Stuhl; heut zu Tag ists Fürsten-Crone und Fürsten-Thron; kein Wunder also, daſs die Reichsgrafen ebenfalls
nach-
*) Wer daran zweifelt, kann sich aus den alten Canzley- Formular-Büchern des sechszehenden Jahrhunderts und aus den zu Ende des vorigen Säculi erschienenen zween Folianten von Spatens Deutschen Secretariat-Kunst zur Genüge überzeugen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0198"n="192"/>
ruhenden Vorfahren bey sich selbst sprechen<lb/>
mag: <hirendition="#i">Sit Divus, dummodo non sit vivus.</hi></p><lb/><p>Vor zweyhundert Jahren begnügte man sich,<lb/>
von einem verstorbenen Chur- und Fürsten zu<lb/>
sagen: Unser lieber, oder frommer, <hirendition="#i"><hirendition="#g">seeliger</hi></hi><lb/>
Herr; denn damahls waren viele von ihnen<lb/>
noch lieb und fromm: Im vorigen Jahrhundert<lb/>
wurden sie <hirendition="#i"><hirendition="#g">höchstseelig</hi></hi> gemacht; heut zu<lb/>
Tag heissen sie: Unser <hirendition="#i"><hirendition="#g">in Gott ruhender</hi></hi><lb/>
Herr Vater, oder Oheim, höchstseeliger Ge-<lb/>
dächtniſs, oder <hirendition="#i"><hirendition="#g">glorwürdigen Andenkens</hi>;</hi><lb/>
ohngeachtet alle Welt glaubt, daſs der Verstor-<lb/>
bene an ganz einem anderm Ort als in Gott<lb/>
ruhen mag, und sein Andenken, der Wahrheit<lb/>
nach, eher schandreich als glorreich genannt<lb/>
zu werden verdiente <noteplace="foot"n="*)">Wer daran zweifelt, kann sich aus den alten Canzley-<lb/>
Formular-Büchern des sechszehenden Jahrhunderts und<lb/>
aus den zu Ende des vorigen Säculi erschienenen zween<lb/>
Folianten von <hirendition="#i">Spatens</hi> Deutschen Secretariat-Kunst zur<lb/>
Genüge überzeugen.</note>.</p><lb/><p>Noch tief in das jezige Jahrhundert hinein<lb/>
wuſste man von nichts anders, als von Für-<lb/>
sten-<hirendition="#i"><hirendition="#g">Hut</hi></hi> und Fürsten-<hirendition="#i"><hirendition="#g">Stuhl</hi>;</hi> heut zu Tag<lb/>
ists Fürsten-<hirendition="#i"><hirendition="#g">Crone</hi></hi> und Fürsten-<hirendition="#i"><hirendition="#g">Thron</hi>;</hi> kein<lb/>
Wunder also, daſs die Reichsgrafen ebenfalls<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nach-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[192/0198]
ruhenden Vorfahren bey sich selbst sprechen
mag: Sit Divus, dummodo non sit vivus.
Vor zweyhundert Jahren begnügte man sich,
von einem verstorbenen Chur- und Fürsten zu
sagen: Unser lieber, oder frommer, seeliger
Herr; denn damahls waren viele von ihnen
noch lieb und fromm: Im vorigen Jahrhundert
wurden sie höchstseelig gemacht; heut zu
Tag heissen sie: Unser in Gott ruhender
Herr Vater, oder Oheim, höchstseeliger Ge-
dächtniſs, oder glorwürdigen Andenkens;
ohngeachtet alle Welt glaubt, daſs der Verstor-
bene an ganz einem anderm Ort als in Gott
ruhen mag, und sein Andenken, der Wahrheit
nach, eher schandreich als glorreich genannt
zu werden verdiente *).
Noch tief in das jezige Jahrhundert hinein
wuſste man von nichts anders, als von Für-
sten-Hut und Fürsten-Stuhl; heut zu Tag
ists Fürsten-Crone und Fürsten-Thron; kein
Wunder also, daſs die Reichsgrafen ebenfalls
nach-
*) Wer daran zweifelt, kann sich aus den alten Canzley-
Formular-Büchern des sechszehenden Jahrhunderts und
aus den zu Ende des vorigen Säculi erschienenen zween
Folianten von Spatens Deutschen Secretariat-Kunst zur
Genüge überzeugen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/198>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.