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Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756.

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Der Einleitung zweyter Abschnitt.
heute noch ihren Vater an. Diodor saget: Daß Merkur nach der Sünd-
flut den Lauf der Sterne, die Zusammenstimmung des Gesanges und der Zahlen
Verhältniß wieder erfunden habe. Er soll auch der Erfinder der Leyer mit 3.
oder 4. Seyten seyn. Diesem stimmen bey Homer und Lucian: Lactantius
aber schreibet die Erfindung der Leyer dem Apollo zu; Plinius hingegen will
den Amphion zum Urheber der Musik machen (q). Und wenn endlich Mer-
kur durch die mehrern Stimmen das Recht zu seiner Leyer behält (r), solche
auch nach ihm erst in die Hände des Apollo und Orpheus gekommen ist (s):
wie läßt sich solche mit einem unserer heutigen Jnstrumenten vergleichen? Jst
uns denn die eigentliche Gestalt dieser Leyer bekannt? Und können wir etwa den
Merkur zu dem Urheber der Geiginstrumenten angeben? Bevor ich hier weiter ge-
he, will ich einen Versuch wagen, und den Anfängern zu Lieb nur im Kleinen,
eine ganz kurze musikalische Geschichte entwerfen.

Versuch
einer kurzen Geschichte der Musik.

Gott hat dem ersten Menschen gleich nach der Erschaffung alle Gelegenheit an die
Hand gegeben, die vortreffliche Wissenschaft der Musik zu erfinden. Adam
konnte den Unterschied der Töne an der menschlichen Stimme bemerken;
er hörte den Gesang verschiedener Vögel; er vernahm eine abwechselnde Höhe
und Tiefe durch das Gepfeife des zwischen die Bäume dringenden Windes: und
der Werkzeug zum Singen war ihm ja von dem gütigen Erschaffer schon zum
voraus in die Natur gepflanzet. Was soll uns denn abhalten zu glauben, daß
Adam von dem Trieb der Natur bewogen, eine Nachahmung z. E. des so an-
muthigen Vogelgesanges u. s. f. unternommen, und folglich eine Verschiedenheit
der Töne in etwas gefunden habe. Dem Jubal sind seine Verdienste nicht ab-
zusprechen; denn die H. Schrift selbst beehret ihn, mit dem Titel eines Musik-

vaters:
(q) Giuseppe Zarlino. Instit. & Dimost. di Musica. P. I. C. 1.
(r) Tevo, P. I. C. 12. pag. 11. [Roberti Stephani Thesaurus Linguae Lat. sub
Voce Chelys.]
(s) Dittionario univers. di Efraimo Chambers sub Voce Lyra. Und Polidorus Ver-
gilius de rerum Invent. pag. 51. & 52.
B 3

Der Einleitung zweyter Abſchnitt.
heute noch ihren Vater an. Diodor ſaget: Daß Merkur nach der Suͤnd-
flut den Lauf der Sterne, die Zuſammenſtimmung des Geſanges und der Zahlen
Verhaͤltniß wieder erfunden habe. Er ſoll auch der Erfinder der Leyer mit 3.
oder 4. Seyten ſeyn. Dieſem ſtimmen bey Homer und Lucian: Lactantius
aber ſchreibet die Erfindung der Leyer dem Apollo zu; Plinius hingegen will
den Amphion zum Urheber der Muſik machen (q). Und wenn endlich Mer-
kur durch die mehrern Stimmen das Recht zu ſeiner Leyer behaͤlt (r), ſolche
auch nach ihm erſt in die Haͤnde des Apollo und Orpheus gekommen iſt (s):
wie laͤßt ſich ſolche mit einem unſerer heutigen Jnſtrumenten vergleichen? Jſt
uns denn die eigentliche Geſtalt dieſer Leyer bekannt? Und koͤnnen wir etwa den
Merkur zu dem Urheber der Geiginſtrumenten angeben? Bevor ich hier weiter ge-
he, will ich einen Verſuch wagen, und den Anfaͤngern zu Lieb nur im Kleinen,
eine ganz kurze muſikaliſche Geſchichte entwerfen.

Verſuch
einer kurzen Geſchichte der Muſik.

Gott hat dem erſten Menſchen gleich nach der Erſchaffung alle Gelegenheit an die
Hand gegeben, die vortreffliche Wiſſenſchaft der Muſik zu erfinden. Adam
konnte den Unterſchied der Toͤne an der menſchlichen Stimme bemerken;
er hoͤrte den Geſang verſchiedener Voͤgel; er vernahm eine abwechſelnde Hoͤhe
und Tiefe durch das Gepfeife des zwiſchen die Baͤume dringenden Windes: und
der Werkzeug zum Singen war ihm ja von dem guͤtigen Erſchaffer ſchon zum
voraus in die Natur gepflanzet. Was ſoll uns denn abhalten zu glauben, daß
Adam von dem Trieb der Natur bewogen, eine Nachahmung z. E. des ſo an-
muthigen Vogelgeſanges u. ſ. f. unternommen, und folglich eine Verſchiedenheit
der Toͤne in etwas gefunden habe. Dem Jubal ſind ſeine Verdienſte nicht ab-
zuſprechen; denn die H. Schrift ſelbſt beehret ihn, mit dem Titel eines Muſik-

vaters:
(q) Giuſeppe Zarlino. Inſtit. & Dimoſt. di Muſica. P. I. C. 1.
(r) Tevo, P. I. C. 12. pag. 11. [Roberti Stephani Theſaurus Linguæ Lat. ſub
Voce Chelys.]
(s) Dittionario univerſ. di Efraimo Chambers ſub Voce Lyra. Und Polidorus Ver-
gilius de rerum Invent. pag. 51. & 52.
B 3
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[13/0035] Der Einleitung zweyter Abſchnitt. heute noch ihren Vater an. Diodor ſaget: Daß Merkur nach der Suͤnd- flut den Lauf der Sterne, die Zuſammenſtimmung des Geſanges und der Zahlen Verhaͤltniß wieder erfunden habe. Er ſoll auch der Erfinder der Leyer mit 3. oder 4. Seyten ſeyn. Dieſem ſtimmen bey Homer und Lucian: Lactantius aber ſchreibet die Erfindung der Leyer dem Apollo zu; Plinius hingegen will den Amphion zum Urheber der Muſik machen (q). Und wenn endlich Mer- kur durch die mehrern Stimmen das Recht zu ſeiner Leyer behaͤlt (r), ſolche auch nach ihm erſt in die Haͤnde des Apollo und Orpheus gekommen iſt (s): wie laͤßt ſich ſolche mit einem unſerer heutigen Jnſtrumenten vergleichen? Jſt uns denn die eigentliche Geſtalt dieſer Leyer bekannt? Und koͤnnen wir etwa den Merkur zu dem Urheber der Geiginſtrumenten angeben? Bevor ich hier weiter ge- he, will ich einen Verſuch wagen, und den Anfaͤngern zu Lieb nur im Kleinen, eine ganz kurze muſikaliſche Geſchichte entwerfen. Verſuch einer kurzen Geſchichte der Muſik. Gott hat dem erſten Menſchen gleich nach der Erſchaffung alle Gelegenheit an die Hand gegeben, die vortreffliche Wiſſenſchaft der Muſik zu erfinden. Adam konnte den Unterſchied der Toͤne an der menſchlichen Stimme bemerken; er hoͤrte den Geſang verſchiedener Voͤgel; er vernahm eine abwechſelnde Hoͤhe und Tiefe durch das Gepfeife des zwiſchen die Baͤume dringenden Windes: und der Werkzeug zum Singen war ihm ja von dem guͤtigen Erſchaffer ſchon zum voraus in die Natur gepflanzet. Was ſoll uns denn abhalten zu glauben, daß Adam von dem Trieb der Natur bewogen, eine Nachahmung z. E. des ſo an- muthigen Vogelgeſanges u. ſ. f. unternommen, und folglich eine Verſchiedenheit der Toͤne in etwas gefunden habe. Dem Jubal ſind ſeine Verdienſte nicht ab- zuſprechen; denn die H. Schrift ſelbſt beehret ihn, mit dem Titel eines Muſik- vaters: (q) Giuſeppe Zarlino. Inſtit. & Dimoſt. di Muſica. P. I. C. 1. (r) Tevo, P. I. C. 12. pag. 11. [Roberti Stephani Theſaurus Linguæ Lat. ſub Voce Chelys.] (s) Dittionario univerſ. di Efraimo Chambers ſub Voce Lyra. Und Polidorus Ver- gilius de rerum Invent. pag. 51. & 52. B 3

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Zitationshilfe: Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mozart_violinschule_1756/35>, abgerufen am 03.12.2024.