Frösche, die in dem Wasser, wenn es aufgethauet ist, aufsteigen. Wie diese sind sie der Möglichkeit nach schon da. Wenn das Hinderniß besiegt ist, treten sie auch wirklich auf. Und indem sie in dem wenigen Blute, welches in den Sinnesorganen übrig, sich auflösen, tragen sie den Schein der erregenden Reize, wie das in den Wolken, was bald den Menschen bald den Kentauren gleicht, schnell sich verwandelnd. Jedwedes von diesem ist, wie gesagt, ein Ueberbleibsel der Wirkung des Wahrgenommenen (aisthema). Wenn auch das Object in Wahrheit fehlt, sagt man doch richtig, es sey ein der Person (Koriskos) Aehnliches, wenn auch nicht die Person (Koriskos) selbst. Wenn aber jenes Herrschende und Unterscheidende (to kurion kai to epikrinon) empfindet, nennt es das Empfundene nicht ein Bild, sondern versteht darunter jene wirkliche Person (Koriskos). Eben dieses, welches seine Empfindung so auslegt, wird also, wenn es nicht von dem Blute in seiner Thätigkeit ganz verhalten wird, von den in den Sin- nesorganen übrigen Bewegungen erregt. Und das Aehnli- che scheint ihm die Sache selbst. Und so groß ist die Ge- walt des Schlafes, daß er das verborgen läßt. Wie wenn einem, der das Auge mit dem Finger drückt und den Finger nicht bemerkt, eins doppelt erscheinet und dafür gehalten wird, wenn er aber auf die Ursache acht hat, erscheint es zwar, wird aber nicht für doppelt gehalten, ebenso wird im Schlafe, wenn einer weiß, daß er schläft und die Affection, worin die Empfindung im Schlafe besteht, kennt, diesem wohl etwas erscheinen, es sagt aber etwas in ihm, daß jenes den Schein der Person (Koriskos) hat, nicht aber die Person selbst ist. Denn oft sagt ein Schlafender zu sich selbst, daß die Erscheinung ein Traum ist. Wenn er aber nicht weiß, daß er schläft, wird nichts seiner Phan- tasie widersprechen.
Daß wir aber Wahres sagen, und daß die phantasti-
Froͤſche, die in dem Waſſer, wenn es aufgethauet iſt, aufſteigen. Wie dieſe ſind ſie der Moͤglichkeit nach ſchon da. Wenn das Hinderniß beſiegt iſt, treten ſie auch wirklich auf. Und indem ſie in dem wenigen Blute, welches in den Sinnesorganen uͤbrig, ſich aufloͤſen, tragen ſie den Schein der erregenden Reize, wie das in den Wolken, was bald den Menſchen bald den Kentauren gleicht, ſchnell ſich verwandelnd. Jedwedes von dieſem iſt, wie geſagt, ein Ueberbleibſel der Wirkung des Wahrgenommenen (αἴσϑημα). Wenn auch das Object in Wahrheit fehlt, ſagt man doch richtig, es ſey ein der Perſon (Κοριςκος) Aehnliches, wenn auch nicht die Perſon (Κοριςκος) ſelbſt. Wenn aber jenes Herrſchende und Unterſcheidende (τὸ κύριον καὶ τὸ ἐπικρῖνον) empfindet, nennt es das Empfundene nicht ein Bild, ſondern verſteht darunter jene wirkliche Perſon (Κοριςκος). Eben dieſes, welches ſeine Empfindung ſo auslegt, wird alſo, wenn es nicht von dem Blute in ſeiner Thaͤtigkeit ganz verhalten wird, von den in den Sin- nesorganen uͤbrigen Bewegungen erregt. Und das Aehnli- che ſcheint ihm die Sache ſelbſt. Und ſo groß iſt die Ge- walt des Schlafes, daß er das verborgen laͤßt. Wie wenn einem, der das Auge mit dem Finger druͤckt und den Finger nicht bemerkt, eins doppelt erſcheinet und dafuͤr gehalten wird, wenn er aber auf die Urſache acht hat, erſcheint es zwar, wird aber nicht fuͤr doppelt gehalten, ebenſo wird im Schlafe, wenn einer weiß, daß er ſchlaͤft und die Affection, worin die Empfindung im Schlafe beſteht, kennt, dieſem wohl etwas erſcheinen, es ſagt aber etwas in ihm, daß jenes den Schein der Perſon (Κοριςκος) hat, nicht aber die Perſon ſelbſt iſt. Denn oft ſagt ein Schlafender zu ſich ſelbſt, daß die Erſcheinung ein Traum iſt. Wenn er aber nicht weiß, daß er ſchlaͤft, wird nichts ſeiner Phan- taſie widerſprechen.
Daß wir aber Wahres ſagen, und daß die phantaſti-
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Froͤſche, die in dem Waſſer, wenn es aufgethauet
iſt, aufſteigen. Wie dieſe ſind ſie der Moͤglichkeit nach
ſchon da. Wenn das Hinderniß beſiegt iſt, treten ſie
auch wirklich auf. Und indem ſie in dem wenigen Blute,
welches in den Sinnesorganen uͤbrig, ſich aufloͤſen, tragen ſie
den Schein der erregenden Reize, wie das in den Wolken,
was bald den Menſchen bald den Kentauren gleicht, ſchnell
ſich verwandelnd. Jedwedes von dieſem iſt, wie geſagt,
ein Ueberbleibſel der Wirkung des Wahrgenommenen
(αἴσϑημα). Wenn auch das Object in Wahrheit fehlt,
ſagt man doch richtig, es ſey ein der Perſon (Κοριςκος)
Aehnliches, wenn auch nicht die Perſon (Κοριςκος) ſelbſt.
Wenn aber jenes Herrſchende und Unterſcheidende (τὸ κύριον
καὶ τὸ ἐπικρῖνον) empfindet, nennt es das Empfundene
nicht ein Bild, ſondern verſteht darunter jene wirkliche
Perſon (Κοριςκος). Eben dieſes, welches ſeine Empfindung
ſo auslegt, wird alſo, wenn es nicht von dem Blute in
ſeiner Thaͤtigkeit ganz verhalten wird, von den in den Sin-
nesorganen uͤbrigen Bewegungen erregt. Und das Aehnli-
che ſcheint ihm die Sache ſelbſt. Und ſo groß iſt die Ge-
walt des Schlafes, daß er das verborgen laͤßt. Wie wenn
einem, der das Auge mit dem Finger druͤckt und den Finger
nicht bemerkt, eins doppelt erſcheinet und dafuͤr gehalten
wird, wenn er aber auf die Urſache acht hat, erſcheint es
zwar, wird aber nicht fuͤr doppelt gehalten, ebenſo wird im
Schlafe, wenn einer weiß, daß er ſchlaͤft und die Affection,
worin die Empfindung im Schlafe beſteht, kennt, dieſem
wohl etwas erſcheinen, es ſagt aber etwas in ihm, daß
jenes den Schein der Perſon (Κοριςκος) hat, nicht aber
die Perſon ſelbſt iſt. Denn oft ſagt ein Schlafender zu ſich
ſelbſt, daß die Erſcheinung ein Traum iſt. Wenn er
aber nicht weiß, daß er ſchlaͤft, wird nichts ſeiner Phan-
taſie widerſprechen.
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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/131>, abgerufen am 11.02.2025.
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