Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

kommen wären, und der Gottheit bukolische Hymnen,
Bukoliasmen, gesungen hätten 1. Diese sonst freilich
sehr verworrne Nachricht, läßt doch abnehmen, daß
im nördlichen Lakonika ebenfalls Anfänge einer hirtli-
chen Poesie einheimisch waren. Weit bekannter sind
indeß in dieser Hinsicht die Hirten Italiens und na-
mentlich Siciliens geworden, deren Bukoliasmen als
eine Art Tanz und Gesang Epicharm erwähnte 2, und
vor ihm schon Stesichoros zu einer lyrischen Gattung
ausgebildet hatte 3. Indessen weist auf gleichartige
Anfänge an beiden Orten hin, daß der Name Tity-
ros
für den leitenden Bock oder Widder der Heerde
in Lakonika wie in Italien gebräuchlich war 4. Daß
derselbe Name den thierischen und den menschlichen
Führer der Heerde bezeichnet, ist ein Zug der Natur-
einfalt jener Menschen, die ihr Leben in Thalschluchten
und auf Waldwiesen in harmloser Sorge für ihre
Heerden zubringend, von andern Kreisen menschlicher
Thätigkeit weiter keine Notiz nahmen, als daß sie die
Erzeugnisse derselben von Zeit zu Zeit nach der Stadt
sandten. In Sicilien waren nun diese Hirten der Ab-

1 Diomed. 3. p. 483. Putsch. Servius ad Virg. Ecl. 1.
Donatus Vita Virg. 84 sq. Diomed knüpft auch die Sicilischen
Bukoliasmen an Sacra der Artemis Lue an.
2 en Al-
kuoni kai en Odussei nauago bei Ath. 14, 619 a. vgl. Hesych und
Etym. M. s. v.
3 Aelian V. G. 10, 18.
4 Tityros
nach Serv. ad Ecl. 1, 1. aries maior, qui gregem anteire
consueverit, lingua Lac.,
ein Bock nach Schol. Theokr. 3, 2.
Phot. Lex. Tituros ist dorisch für sisuros, welches also ursprüng-
lich auch Bock, davon sisurna (sisurina) oder sisura Ziegenpelz;
mit saturos dagegen ist tituros unmittelbar nicht verwandt (wie
Schol. Theokr. 3, 2. 7, 72. Eust. Il. 18. p. 1157, 39 R. wol-
len. vgl. auch Creuzer Symbol. 3. S. 197.). Die Flöte titure-
nos bei den Italischen Doriern, Artemidor bei Ath. 4, 182 d. Eust.
Il. 18. p. 1157, 38., hat erst vom Hirten den Namen.

kommen waͤren, und der Gottheit bukoliſche Hymnen,
Bukoliasmen, geſungen haͤtten 1. Dieſe ſonſt freilich
ſehr verworrne Nachricht, laͤßt doch abnehmen, daß
im noͤrdlichen Lakonika ebenfalls Anfaͤnge einer hirtli-
chen Poëſie einheimiſch waren. Weit bekannter ſind
indeß in dieſer Hinſicht die Hirten Italiens und na-
mentlich Siciliens geworden, deren Bukoliasmen als
eine Art Tanz und Geſang Epicharm erwaͤhnte 2, und
vor ihm ſchon Steſichoros zu einer lyriſchen Gattung
ausgebildet hatte 3. Indeſſen weiſt auf gleichartige
Anfaͤnge an beiden Orten hin, daß der Name Tity-
ros
fuͤr den leitenden Bock oder Widder der Heerde
in Lakonika wie in Italien gebraͤuchlich war 4. Daß
derſelbe Name den thieriſchen und den menſchlichen
Fuͤhrer der Heerde bezeichnet, iſt ein Zug der Natur-
einfalt jener Menſchen, die ihr Leben in Thalſchluchten
und auf Waldwieſen in harmloſer Sorge fuͤr ihre
Heerden zubringend, von andern Kreiſen menſchlicher
Thaͤtigkeit weiter keine Notiz nahmen, als daß ſie die
Erzeugniſſe derſelben von Zeit zu Zeit nach der Stadt
ſandten. In Sicilien waren nun dieſe Hirten der Ab-

1 Diomed. 3. p. 483. Putſch. Servius ad Virg. Ecl. 1.
Donatus Vita Virg. 84 sq. Diomed knuͤpft auch die Siciliſchen
Bukoliasmen an Sacra der Ἄϱτεμις Λύη an.
2 ἐν Ἁλ-
κυόνι καὶ ἐν ̕Οδυσσεῖ ναυαγῷ bei Ath. 14, 619 a. vgl. Heſych und
Etym. M. s. v.
3 Aelian V. G. 10, 18.
4 Tityros
nach Serv. ad Ecl. 1, 1. aries maior, qui gregem anteire
consueverit, lingua Lac.,
ein Bock nach Schol. Theokr. 3, 2.
Phot. Lex. Τίτυϱος iſt doriſch fuͤr σίσυϱος, welches alſo urſpruͤng-
lich auch Bock, davon σισύϱνα (σισυϱίνα) oder σισύϱα Ziegenpelz;
mit σάτυϱος dagegen iſt τίτυϱος unmittelbar nicht verwandt (wie
Schol. Theokr. 3, 2. 7, 72. Euſt. Il. 18. p. 1157, 39 R. wol-
len. vgl. auch Creuzer Symbol. 3. S. 197.). Die Floͤte τιτύϱε-
νος bei den Italiſchen Doriern, Artemidor bei Ath. 4, 182 d. Euſt.
Il. 18. p. 1157, 38., hat erſt vom Hirten den Namen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0352" n="346"/>
kommen wa&#x0364;ren, und der Gottheit bukoli&#x017F;che Hymnen,<lb/>
Bukoliasmen, ge&#x017F;ungen ha&#x0364;tten <note place="foot" n="1">Diomed. 3. <hi rendition="#aq">p.</hi> 483. Put&#x017F;ch. Servius <hi rendition="#aq">ad Virg. Ecl.</hi> 1.<lb/>
Donatus <hi rendition="#aq">Vita Virg. 84 sq.</hi> Diomed knu&#x0364;pft auch die Sicili&#x017F;chen<lb/>
Bukoliasmen an Sacra der &#x1F0C;&#x03F1;&#x03C4;&#x03B5;&#x03BC;&#x03B9;&#x03C2; &#x039B;&#x03CD;&#x03B7; an.</note>. Die&#x017F;e &#x017F;on&#x017F;t freilich<lb/>
&#x017F;ehr verworrne Nachricht, la&#x0364;ßt doch abnehmen, daß<lb/>
im no&#x0364;rdlichen Lakonika ebenfalls Anfa&#x0364;nge einer hirtli-<lb/>
chen Poë&#x017F;ie einheimi&#x017F;ch waren. Weit bekannter &#x017F;ind<lb/>
indeß in die&#x017F;er Hin&#x017F;icht die Hirten Italiens und na-<lb/>
mentlich Siciliens geworden, deren Bukoliasmen als<lb/>
eine Art Tanz und Ge&#x017F;ang Epicharm erwa&#x0364;hnte <note place="foot" n="2">&#x1F10;&#x03BD; &#x1F09;&#x03BB;-<lb/>
&#x03BA;&#x03C5;&#x03CC;&#x03BD;&#x03B9; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x1F10;&#x03BD; &#x0315;&#x039F;&#x03B4;&#x03C5;&#x03C3;&#x03C3;&#x03B5;&#x1FD6; &#x03BD;&#x03B1;&#x03C5;&#x03B1;&#x03B3;&#x1FF7; bei Ath. 14, 619 <hi rendition="#aq">a.</hi> vgl. He&#x017F;ych und<lb/>
Etym. M. <hi rendition="#aq">s. v.</hi></note>, und<lb/>
vor ihm &#x017F;chon Ste&#x017F;ichoros zu einer lyri&#x017F;chen Gattung<lb/>
ausgebildet hatte <note place="foot" n="3">Aelian V. G. 10, 18.</note>. Inde&#x017F;&#x017F;en wei&#x017F;t auf gleichartige<lb/>
Anfa&#x0364;nge an beiden Orten hin, daß der Name <hi rendition="#g">Tity-<lb/>
ros</hi> fu&#x0364;r den leitenden Bock oder Widder der Heerde<lb/>
in Lakonika wie in Italien gebra&#x0364;uchlich war <note place="foot" n="4">Tityros<lb/>
nach Serv. <hi rendition="#aq">ad Ecl. 1, 1. aries maior, qui gregem anteire<lb/>
consueverit, lingua Lac.,</hi> ein Bock nach Schol. Theokr. 3, 2.<lb/>
Phot. Lex. &#x03A4;&#x03AF;&#x03C4;&#x03C5;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C2; i&#x017F;t dori&#x017F;ch fu&#x0364;r &#x03C3;&#x03AF;&#x03C3;&#x03C5;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C2;, welches al&#x017F;o ur&#x017F;pru&#x0364;ng-<lb/>
lich auch Bock, davon &#x03C3;&#x03B9;&#x03C3;&#x03CD;&#x03F1;&#x03BD;&#x03B1; (&#x03C3;&#x03B9;&#x03C3;&#x03C5;&#x03F1;&#x03AF;&#x03BD;&#x03B1;) oder &#x03C3;&#x03B9;&#x03C3;&#x03CD;&#x03F1;&#x03B1; Ziegenpelz;<lb/>
mit &#x03C3;&#x03AC;&#x03C4;&#x03C5;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C2; dagegen i&#x017F;t &#x03C4;&#x03AF;&#x03C4;&#x03C5;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C2; unmittelbar nicht verwandt (wie<lb/>
Schol. Theokr. 3, 2. 7, 72. Eu&#x017F;t. Il. 18. <hi rendition="#aq">p.</hi> 1157, 39 R. wol-<lb/>
len. vgl. auch Creuzer Symbol. 3. S. 197.). Die Flo&#x0364;te &#x03C4;&#x03B9;&#x03C4;&#x03CD;&#x03F1;&#x03B5;-<lb/>
&#x03BD;&#x03BF;&#x03C2; bei den Itali&#x017F;chen Doriern, Artemidor bei Ath. 4, 182 <hi rendition="#aq">d.</hi> Eu&#x017F;t.<lb/>
Il. 18. <hi rendition="#aq">p.</hi> 1157, 38., hat er&#x017F;t vom Hirten den Namen.</note>. Daß<lb/>
der&#x017F;elbe Name den thieri&#x017F;chen und den men&#x017F;chlichen<lb/>
Fu&#x0364;hrer der Heerde bezeichnet, i&#x017F;t ein Zug der Natur-<lb/>
einfalt jener Men&#x017F;chen, die ihr Leben in Thal&#x017F;chluchten<lb/>
und auf Waldwie&#x017F;en in harmlo&#x017F;er Sorge fu&#x0364;r ihre<lb/>
Heerden zubringend, von andern Krei&#x017F;en men&#x017F;chlicher<lb/>
Tha&#x0364;tigkeit weiter keine Notiz nahmen, als daß &#x017F;ie die<lb/>
Erzeugni&#x017F;&#x017F;e der&#x017F;elben von Zeit zu Zeit nach der Stadt<lb/>
&#x017F;andten. In Sicilien waren nun die&#x017F;e Hirten der Ab-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0352] kommen waͤren, und der Gottheit bukoliſche Hymnen, Bukoliasmen, geſungen haͤtten 1. Dieſe ſonſt freilich ſehr verworrne Nachricht, laͤßt doch abnehmen, daß im noͤrdlichen Lakonika ebenfalls Anfaͤnge einer hirtli- chen Poëſie einheimiſch waren. Weit bekannter ſind indeß in dieſer Hinſicht die Hirten Italiens und na- mentlich Siciliens geworden, deren Bukoliasmen als eine Art Tanz und Geſang Epicharm erwaͤhnte 2, und vor ihm ſchon Steſichoros zu einer lyriſchen Gattung ausgebildet hatte 3. Indeſſen weiſt auf gleichartige Anfaͤnge an beiden Orten hin, daß der Name Tity- ros fuͤr den leitenden Bock oder Widder der Heerde in Lakonika wie in Italien gebraͤuchlich war 4. Daß derſelbe Name den thieriſchen und den menſchlichen Fuͤhrer der Heerde bezeichnet, iſt ein Zug der Natur- einfalt jener Menſchen, die ihr Leben in Thalſchluchten und auf Waldwieſen in harmloſer Sorge fuͤr ihre Heerden zubringend, von andern Kreiſen menſchlicher Thaͤtigkeit weiter keine Notiz nahmen, als daß ſie die Erzeugniſſe derſelben von Zeit zu Zeit nach der Stadt ſandten. In Sicilien waren nun dieſe Hirten der Ab- 1 Diomed. 3. p. 483. Putſch. Servius ad Virg. Ecl. 1. Donatus Vita Virg. 84 sq. Diomed knuͤpft auch die Siciliſchen Bukoliasmen an Sacra der Ἄϱτεμις Λύη an. 2 ἐν Ἁλ- κυόνι καὶ ἐν ̕Οδυσσεῖ ναυαγῷ bei Ath. 14, 619 a. vgl. Heſych und Etym. M. s. v. 3 Aelian V. G. 10, 18. 4 Tityros nach Serv. ad Ecl. 1, 1. aries maior, qui gregem anteire consueverit, lingua Lac., ein Bock nach Schol. Theokr. 3, 2. Phot. Lex. Τίτυϱος iſt doriſch fuͤr σίσυϱος, welches alſo urſpruͤng- lich auch Bock, davon σισύϱνα (σισυϱίνα) oder σισύϱα Ziegenpelz; mit σάτυϱος dagegen iſt τίτυϱος unmittelbar nicht verwandt (wie Schol. Theokr. 3, 2. 7, 72. Euſt. Il. 18. p. 1157, 39 R. wol- len. vgl. auch Creuzer Symbol. 3. S. 197.). Die Floͤte τιτύϱε- νος bei den Italiſchen Doriern, Artemidor bei Ath. 4, 182 d. Euſt. Il. 18. p. 1157, 38., hat erſt vom Hirten den Namen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/352
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/352>, abgerufen am 24.11.2024.