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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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Fünfte Periode.
Von 606 der St. (Ol. 158, 3.) bis in das Mittelalter.

1. Allgemeines über den Charakter und Geist der Zeit.

183. Wie die gesammte Geschichte des gebildeten1
Menschengeschlechts (mit Ausnahme Indiens): so concen-
trirt sich auch jetzt die Kunstgeschichte in Rom. Aber nur
durch Roms politische Uebermacht, nicht künstlerische Ta-
lente. Die Römer, obgleich nach der einen Seite hin
den Griechen innig verwandt, waren doch als Ganzes
aus einem derberen, minder fein organisirten Stoffe.
Ihr Geist blieb den äußern Verhältnissen der Menschen2
untereinander, durch welche deren Thätigkeit im Allge-
meinen bedingt und bestimmt wird, (dem praktischen Le-
ben) zugekehrt; zuerst mehr den auf die Gesammtheit bezüg-
lichen (politischen), dann, als die Freiheit sich überlebt
hatte, denen der Einzelnen untereinander (Privatleben),
besonders den durch die Beziehung der Menschen zu den
äußern Gütern gegebnen. Die res familiaris zu erhal-
ten, zu mehren, zu schützen, wurde nirgends so sehr wie
hier als Pflicht angesehn. Die sorglose Unbefangenheit3
und spielende Freiheit des Geistes, welche, innern
Trieben sich rücksichtslos hingebend, die Künste erzeugt,
war den Römern fremd; auch die Religion, in Griechen-
land die Mutter der Kunst, war bei den Römern sowohl
in ihrer frühern Gestalt, als Ausfluß der Etruskischen
Disciplin, als auch in ihrer spätern, wo die Vergötte-
rung ethisch-politischer Begriffe vorherrscht, absichtlich

Fuͤnfte Periode.
Von 606 der St. (Ol. 158, 3.) bis in das Mittelalter.

1. Allgemeines uͤber den Charakter und Geiſt der Zeit.

183. Wie die geſammte Geſchichte des gebildeten1
Menſchengeſchlechts (mit Ausnahme Indiens): ſo concen-
trirt ſich auch jetzt die Kunſtgeſchichte in Rom. Aber nur
durch Roms politiſche Uebermacht, nicht kuͤnſtleriſche Ta-
lente. Die Roͤmer, obgleich nach der einen Seite hin
den Griechen innig verwandt, waren doch als Ganzes
aus einem derberen, minder fein organiſirten Stoffe.
Ihr Geiſt blieb den aͤußern Verhaͤltniſſen der Menſchen2
untereinander, durch welche deren Thaͤtigkeit im Allge-
meinen bedingt und beſtimmt wird, (dem praktiſchen Le-
ben) zugekehrt; zuerſt mehr den auf die Geſammtheit bezuͤg-
lichen (politiſchen), dann, als die Freiheit ſich uͤberlebt
hatte, denen der Einzelnen untereinander (Privatleben),
beſonders den durch die Beziehung der Menſchen zu den
aͤußern Guͤtern gegebnen. Die res familiaris zu erhal-
ten, zu mehren, zu ſchuͤtzen, wurde nirgends ſo ſehr wie
hier als Pflicht angeſehn. Die ſorgloſe Unbefangenheit3
und ſpielende Freiheit des Geiſtes, welche, innern
Trieben ſich ruͤckſichtslos hingebend, die Kuͤnſte erzeugt,
war den Roͤmern fremd; auch die Religion, in Griechen-
land die Mutter der Kunſt, war bei den Roͤmern ſowohl
in ihrer fruͤhern Geſtalt, als Ausfluß der Etruskiſchen
Diſciplin, als auch in ihrer ſpaͤtern, wo die Vergoͤtte-
rung ethiſch-politiſcher Begriffe vorherrſcht, abſichtlich

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[169/0191] Fuͤnfte Periode. Von 606 der St. (Ol. 158, 3.) bis in das Mittelalter. 1. Allgemeines uͤber den Charakter und Geiſt der Zeit. 183. Wie die geſammte Geſchichte des gebildeten Menſchengeſchlechts (mit Ausnahme Indiens): ſo concen- trirt ſich auch jetzt die Kunſtgeſchichte in Rom. Aber nur durch Roms politiſche Uebermacht, nicht kuͤnſtleriſche Ta- lente. Die Roͤmer, obgleich nach der einen Seite hin den Griechen innig verwandt, waren doch als Ganzes aus einem derberen, minder fein organiſirten Stoffe. Ihr Geiſt blieb den aͤußern Verhaͤltniſſen der Menſchen untereinander, durch welche deren Thaͤtigkeit im Allge- meinen bedingt und beſtimmt wird, (dem praktiſchen Le- ben) zugekehrt; zuerſt mehr den auf die Geſammtheit bezuͤg- lichen (politiſchen), dann, als die Freiheit ſich uͤberlebt hatte, denen der Einzelnen untereinander (Privatleben), beſonders den durch die Beziehung der Menſchen zu den aͤußern Guͤtern gegebnen. Die res familiaris zu erhal- ten, zu mehren, zu ſchuͤtzen, wurde nirgends ſo ſehr wie hier als Pflicht angeſehn. Die ſorgloſe Unbefangenheit und ſpielende Freiheit des Geiſtes, welche, innern Trieben ſich ruͤckſichtslos hingebend, die Kuͤnſte erzeugt, war den Roͤmern fremd; auch die Religion, in Griechen- land die Mutter der Kunſt, war bei den Roͤmern ſowohl in ihrer fruͤhern Geſtalt, als Ausfluß der Etruskiſchen Diſciplin, als auch in ihrer ſpaͤtern, wo die Vergoͤtte- rung ethiſch-politiſcher Begriffe vorherrſcht, abſichtlich 1 2 3

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/191>, abgerufen am 21.11.2024.