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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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Systematischer Theil.
hat gewiß Recht, daß die dem alten Bacchus zugetheilten Hermen zum
großen Theil dem Hermes gehören. Sicherlich z. B. der Kopf
Mus. Nap. i, 6. wo weder große Haarfülle, noch eine Kopfbinde,
noch ein Epheukranz den Dionysos charakterisiren. Das Alter-
thum wandte dgl. Hermen überall an, selbst als Spinnrocken,
geron genannt, Pollux vii, 16, 73., an Bettstellen Etym. M.
p.
376. vgl. Ant. Erc. vi, 65. Man füllte sie, wie die Si-
lenen, mit andern Bilderchen, Etym. M. p. 147. Die Stein-
bilder des Hermes sind wahrscheinlich so alt wie er selbst, da
Hermes von erma abzuleiten sehr viel für sich hat.

3. Bei Homer ist H. kratus, sokos, aber proton upe-
netes, tou per khariestate ebe nur in einer Verwandlung.
Doch hat diese Stelle auf die spätre Kunst großen Einfluß gehabt.
S. Lucian de sacrif. 11. Den Keilbart hatten nach Pollux
auch die Boten der Bühne. Das Fliegen mit den pedilois
wird wenigstens Il. xxiv, 345. 347. dem Schreiten auf das
Bestimmteste entgegengesetzt; und unterscheidet man zwischen dem,
was in der Poesie Eindruck macht, und den Hülfsmitteln, die der
plastische Künstler brauchen muß, so verschwindet der behauptete
Gegensatz ziemlich. Vgl. Voß Mythol. Br. i. S. 81. ä. A. u.
§. 334, 1. Die Kopfflügel sind jünger. Der caduceus ist
ursprünglich der Olivenstab mit den stemmasin, die hernach in
Schlangen ausgebildet werden. Böttiger Amalth. i. S. 104. Stel-
len über H. Schlangen bei Plum ad Pers. i, 113. p. 150.

4. So an der Ara Borghese, der runden Capitol. Ara (§. 96,
16., das Capitol. Puteal hat eine jüngere Figur des H. aufgenom-
men), an der Vase des Sosibios (§. 364., 5.) im Louvre, auf der
Gemme des Aetion G. M. 50., 205. u. andern, Lipp. ii, 117.,
auf Vasen, §. 99, 2, 4. Millin Vas. i, 70. Tischb. iv, 3.

1380. Die höhere Ausbildung der Hermes-Gestalt
ging indeß von den Gymnasien aus, denen der Gott,
als Spender leiblichen Wohlgedeihns, seit alten Zeiten
2in phallischen Pfeilerbüsten vorgestanden hatte. Jetzt
wurde er der gymnastisch vollendete Ephebos (vgl. §. 373,
3.) mit breiter ausgearbeiteter Brust, schlanken aber kräf-
tigen Gliedmaßen; die Züge des Gesichts geben einen
ruhigen und feinen Verstand und ein freundliches Wohl-
wollen kund, welches sich auch in der leisen Neigung des
Hauptes ausspricht. Die Formen des Gesichtes erstreben

Syſtematiſcher Theil.
hat gewiß Recht, daß die dem alten Bacchus zugetheilten Hermen zum
großen Theil dem Hermes gehören. Sicherlich z. B. der Kopf
Mus. Nap. i, 6. wo weder große Haarfülle, noch eine Kopfbinde,
noch ein Epheukranz den Dionyſos charakteriſiren. Das Alter-
thum wandte dgl. Hermen überall an, ſelbſt als Spinnrocken,
γέρων genannt, Pollux vii, 16, 73., an Bettſtellen Etym. M.
p.
376. vgl. Ant. Erc. vi, 65. Man füllte ſie, wie die Si-
lenen, mit andern Bilderchen, Etym. M. p. 147. Die Stein-
bilder des Hermes ſind wahrſcheinlich ſo alt wie er ſelbſt, da
Hermes von ἕρμα abzuleiten ſehr viel für ſich hat.

3. Bei Homer iſt H. κρατὺς, σῶκος, aber πρῶτον ὑπη-
νήτης, τοῦ περ χαριεστάτη ἥβη nur in einer Verwandlung.
Doch hat dieſe Stelle auf die ſpätre Kunſt großen Einfluß gehabt.
S. Lucian de sacrif. 11. Den Keilbart hatten nach Pollux
auch die Boten der Bühne. Das Fliegen mit den πεδίλοις
wird wenigſtens Il. xxiv, 345. 347. dem Schreiten auf das
Beſtimmteſte entgegengeſetzt; und unterſcheidet man zwiſchen dem,
was in der Poeſie Eindruck macht, und den Hülfsmitteln, die der
plaſtiſche Künſtler brauchen muß, ſo verſchwindet der behauptete
Gegenſatz ziemlich. Vgl. Voß Mythol. Br. i. S. 81. ä. A. u.
§. 334, 1. Die Kopfflügel ſind jünger. Der caduceus iſt
urſprünglich der Olivenſtab mit den στέμμασιν, die hernach in
Schlangen ausgebildet werden. Böttiger Amalth. i. S. 104. Stel-
len über H. Schlangen bei Plum ad Pers. i, 113. p. 150.

4. So an der Ara Borgheſe, der runden Capitol. Ara (§. 96,
16., das Capitol. Puteal hat eine jüngere Figur des H. aufgenom-
men), an der Vaſe des Soſibios (§. 364., 5.) im Louvre, auf der
Gemme des Aetion G. M. 50., 205. u. andern, Lipp. ii, 117.,
auf Vaſen, §. 99, 2, 4. Millin Vas. i, 70. Tiſchb. iv, 3.

1380. Die hoͤhere Ausbildung der Hermes-Geſtalt
ging indeß von den Gymnaſien aus, denen der Gott,
als Spender leiblichen Wohlgedeihns, ſeit alten Zeiten
2in phalliſchen Pfeilerbuͤſten vorgeſtanden hatte. Jetzt
wurde er der gymnaſtiſch vollendete Ephebos (vgl. §. 373,
3.) mit breiter ausgearbeiteter Bruſt, ſchlanken aber kraͤf-
tigen Gliedmaßen; die Zuͤge des Geſichts geben einen
ruhigen und feinen Verſtand und ein freundliches Wohl-
wollen kund, welches ſich auch in der leiſen Neigung des
Hauptes ausſpricht. Die Formen des Geſichtes erſtreben

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[504/0526] Syſtematiſcher Theil. hat gewiß Recht, daß die dem alten Bacchus zugetheilten Hermen zum großen Theil dem Hermes gehören. Sicherlich z. B. der Kopf Mus. Nap. i, 6. wo weder große Haarfülle, noch eine Kopfbinde, noch ein Epheukranz den Dionyſos charakteriſiren. Das Alter- thum wandte dgl. Hermen überall an, ſelbſt als Spinnrocken, γέρων genannt, Pollux vii, 16, 73., an Bettſtellen Etym. M. p. 376. vgl. Ant. Erc. vi, 65. Man füllte ſie, wie die Si- lenen, mit andern Bilderchen, Etym. M. p. 147. Die Stein- bilder des Hermes ſind wahrſcheinlich ſo alt wie er ſelbſt, da Hermes von ἕρμα abzuleiten ſehr viel für ſich hat. 3. Bei Homer iſt H. κρατὺς, σῶκος, aber πρῶτον ὑπη- νήτης, τοῦ περ χαριεστάτη ἥβη nur in einer Verwandlung. Doch hat dieſe Stelle auf die ſpätre Kunſt großen Einfluß gehabt. S. Lucian de sacrif. 11. Den Keilbart hatten nach Pollux auch die Boten der Bühne. Das Fliegen mit den πεδίλοις wird wenigſtens Il. xxiv, 345. 347. dem Schreiten auf das Beſtimmteſte entgegengeſetzt; und unterſcheidet man zwiſchen dem, was in der Poeſie Eindruck macht, und den Hülfsmitteln, die der plaſtiſche Künſtler brauchen muß, ſo verſchwindet der behauptete Gegenſatz ziemlich. Vgl. Voß Mythol. Br. i. S. 81. ä. A. u. §. 334, 1. Die Kopfflügel ſind jünger. Der caduceus iſt urſprünglich der Olivenſtab mit den στέμμασιν, die hernach in Schlangen ausgebildet werden. Böttiger Amalth. i. S. 104. Stel- len über H. Schlangen bei Plum ad Pers. i, 113. p. 150. 4. So an der Ara Borgheſe, der runden Capitol. Ara (§. 96, 16., das Capitol. Puteal hat eine jüngere Figur des H. aufgenom- men), an der Vaſe des Soſibios (§. 364., 5.) im Louvre, auf der Gemme des Aetion G. M. 50., 205. u. andern, Lipp. ii, 117., auf Vaſen, §. 99, 2, 4. Millin Vas. i, 70. Tiſchb. iv, 3. 380. Die hoͤhere Ausbildung der Hermes-Geſtalt ging indeß von den Gymnaſien aus, denen der Gott, als Spender leiblichen Wohlgedeihns, ſeit alten Zeiten in phalliſchen Pfeilerbuͤſten vorgeſtanden hatte. Jetzt wurde er der gymnaſtiſch vollendete Ephebos (vgl. §. 373, 3.) mit breiter ausgearbeiteter Bruſt, ſchlanken aber kraͤf- tigen Gliedmaßen; die Zuͤge des Geſichts geben einen ruhigen und feinen Verſtand und ein freundliches Wohl- wollen kund, welches ſich auch in der leiſen Neigung des Hauptes ausſpricht. Die Formen des Geſichtes erſtreben 1 2

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/526>, abgerufen am 22.11.2024.