Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914.pmu_030.001 9. Ein weiteres wichtiges Typenpaar ergibt sich danach, ob im Geistesleben pmu_030.020 Auch diese Typen der Konkreten und Abstrakten haben sich in der Dichtung pmu_030.031 pmu_030.001 9. Ein weiteres wichtiges Typenpaar ergibt sich danach, ob im Geistesleben pmu_030.020 Auch diese Typen der Konkreten und Abstrakten haben sich in der Dichtung pmu_030.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0040" n="30"/><lb n="pmu_030.001"/> Dichter zeichnen mit Vorliebe sensitive Schwächlinge, wie das z. B. <lb n="pmu_030.002"/> G. Hauptmann oder Hofmannstal tun, deren Gestalten nur aus Nerven <lb n="pmu_030.003"/> ohne jeden Willen zu bestehen scheinen. Umgekehrt zeigen die Gestalten <lb n="pmu_030.004"/> eines vorwiegend aktiven Dichters, wie Schiller es war, meist zwar den <lb n="pmu_030.005"/> starken Willen und die nach außen drängende Leidenschaft ihres Erzeugers, <lb n="pmu_030.006"/> aber sie ermangeln dafür der sensitiven Feinheit. Da wir in einer <lb n="pmu_030.007"/> Epoche vorwiegend sensibler Dichter leben, hat man konsequenterweise <lb n="pmu_030.008"/> Schiller zurücktreten lassen in der Schätzung. Jch bemerkte bereits, daß <lb n="pmu_030.009"/> die oben gekennzeichneten Typen des Ausdrucksdichters und Gestaltungsdichters <lb n="pmu_030.010"/> zum Teil auch auf diesen psychologischen Veranlagungen basieren. <lb n="pmu_030.011"/> Allerdings nur zum Teil, denn es kommen mannigfache Korrelationen <lb n="pmu_030.012"/> in Betracht, besonders mit der subjektiven und objektiven Veranlagung. <lb n="pmu_030.013"/> So wird der Gestaltungsdichter meist eine aktive Natur sein, <lb n="pmu_030.014"/> kann aber daneben mehr zur subjektiven wie zur objektiven Gestaltung <lb n="pmu_030.015"/> neigen. Ebenso gibt es subjektive und auch objektive Ausdrucksdichter, <lb n="pmu_030.016"/> welch letztere bei großer Sensibilität die Außenwelt doch ziemlich rein <lb n="pmu_030.017"/> widerspiegeln. Es können diese Kreuzungen hier nur angedeutet, nicht <lb n="pmu_030.018"/> im einzelnen ausgeführt werden.</p> <lb n="pmu_030.019"/> </div> <div n="3"> <p> 9. Ein weiteres wichtiges Typenpaar ergibt sich danach, ob im Geistesleben <lb n="pmu_030.020"/> die äußere Beobachtung oder das Begriffsdenken überwiegt. Man <lb n="pmu_030.021"/> könnte diese Typen die <hi rendition="#g">Konkreten und Abstrakten</hi> oder auch die <lb n="pmu_030.022"/> <hi rendition="#g">Speziellseher und Typenseher</hi> nennen. Die Konkreten oder Speziellseher <lb n="pmu_030.023"/> konstatieren überall scharf gesehene Einzelheiten, während die <lb n="pmu_030.024"/> Abstrakten oder Typenseher bedeutend weniger exakt schauen, dafür aber <lb n="pmu_030.025"/> überall das Typische, Begriffliche erfassen. Der Speziellseher z. B. bemerkt <lb n="pmu_030.026"/> bei einem ihm begegnenden Manne genau Farbe der Haare und <lb n="pmu_030.027"/> Augen, weiß nachher noch den Schnitt des Bartes und der Kleidung anzugeben, <lb n="pmu_030.028"/> während der Typenseher nur wahrnimmt, ob der Betreffende <lb n="pmu_030.029"/> Doktor oder Apotheker, Deutscher oder Franzose ist.</p> <lb n="pmu_030.030"/> <p> Auch diese Typen der Konkreten und Abstrakten haben sich in der Dichtung <lb n="pmu_030.031"/> geltend gemacht, und wir haben bereits oben gesehen, daß die Naturalisten <lb n="pmu_030.032"/> im allgemeinen konkret, die Jdealisten typisierend sehen. Man vergleiche <lb n="pmu_030.033"/> z. B., wie konkret bis in alle Einzelheiten eine Figur bei G. Hauptmann <lb n="pmu_030.034"/> gesehen ist im Vergleich zu einer Schillerschen Gestalt. Ähnliche <lb n="pmu_030.035"/> Gegensätze finden wir bei Sophokles, der Typen gab, im Vergleich zu <lb n="pmu_030.036"/> dem viel spezieller sehenden Euripides. — Dabei ist zu bemerken, daß <lb n="pmu_030.037"/> es auch hier Mischtypen gibt. So ist z. B. Goethe sicherlich von Natur <lb n="pmu_030.038"/> Speziellseher gewesen, hat sich aber später, zum Teil durch bewußte </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [30/0040]
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Dichter zeichnen mit Vorliebe sensitive Schwächlinge, wie das z. B. pmu_030.002
G. Hauptmann oder Hofmannstal tun, deren Gestalten nur aus Nerven pmu_030.003
ohne jeden Willen zu bestehen scheinen. Umgekehrt zeigen die Gestalten pmu_030.004
eines vorwiegend aktiven Dichters, wie Schiller es war, meist zwar den pmu_030.005
starken Willen und die nach außen drängende Leidenschaft ihres Erzeugers, pmu_030.006
aber sie ermangeln dafür der sensitiven Feinheit. Da wir in einer pmu_030.007
Epoche vorwiegend sensibler Dichter leben, hat man konsequenterweise pmu_030.008
Schiller zurücktreten lassen in der Schätzung. Jch bemerkte bereits, daß pmu_030.009
die oben gekennzeichneten Typen des Ausdrucksdichters und Gestaltungsdichters pmu_030.010
zum Teil auch auf diesen psychologischen Veranlagungen basieren. pmu_030.011
Allerdings nur zum Teil, denn es kommen mannigfache Korrelationen pmu_030.012
in Betracht, besonders mit der subjektiven und objektiven Veranlagung. pmu_030.013
So wird der Gestaltungsdichter meist eine aktive Natur sein, pmu_030.014
kann aber daneben mehr zur subjektiven wie zur objektiven Gestaltung pmu_030.015
neigen. Ebenso gibt es subjektive und auch objektive Ausdrucksdichter, pmu_030.016
welch letztere bei großer Sensibilität die Außenwelt doch ziemlich rein pmu_030.017
widerspiegeln. Es können diese Kreuzungen hier nur angedeutet, nicht pmu_030.018
im einzelnen ausgeführt werden.
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9. Ein weiteres wichtiges Typenpaar ergibt sich danach, ob im Geistesleben pmu_030.020
die äußere Beobachtung oder das Begriffsdenken überwiegt. Man pmu_030.021
könnte diese Typen die Konkreten und Abstrakten oder auch die pmu_030.022
Speziellseher und Typenseher nennen. Die Konkreten oder Speziellseher pmu_030.023
konstatieren überall scharf gesehene Einzelheiten, während die pmu_030.024
Abstrakten oder Typenseher bedeutend weniger exakt schauen, dafür aber pmu_030.025
überall das Typische, Begriffliche erfassen. Der Speziellseher z. B. bemerkt pmu_030.026
bei einem ihm begegnenden Manne genau Farbe der Haare und pmu_030.027
Augen, weiß nachher noch den Schnitt des Bartes und der Kleidung anzugeben, pmu_030.028
während der Typenseher nur wahrnimmt, ob der Betreffende pmu_030.029
Doktor oder Apotheker, Deutscher oder Franzose ist.
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Auch diese Typen der Konkreten und Abstrakten haben sich in der Dichtung pmu_030.031
geltend gemacht, und wir haben bereits oben gesehen, daß die Naturalisten pmu_030.032
im allgemeinen konkret, die Jdealisten typisierend sehen. Man vergleiche pmu_030.033
z. B., wie konkret bis in alle Einzelheiten eine Figur bei G. Hauptmann pmu_030.034
gesehen ist im Vergleich zu einer Schillerschen Gestalt. Ähnliche pmu_030.035
Gegensätze finden wir bei Sophokles, der Typen gab, im Vergleich zu pmu_030.036
dem viel spezieller sehenden Euripides. — Dabei ist zu bemerken, daß pmu_030.037
es auch hier Mischtypen gibt. So ist z. B. Goethe sicherlich von Natur pmu_030.038
Speziellseher gewesen, hat sich aber später, zum Teil durch bewußte
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